Erdbebenfolgen in der Türkei: Arm und Reich sind nicht gleich

Das schwere Erdbeben im Osten des Landes hat eine tiefe Kluft zwischen den sozialen Schichten gerissen. Auch politische Allianzen bestimmen, wer zuerst Hilfe bekommt.

Wer wird als erstes bedient? Vermutlich die reichen und politisch genehmen. Bild: dapd

VAN taz | Abgesehen von einigen Rissen in den Wänden und etwas abgeplatztem Putz scheint Van nach dem schweren Erdebeben vom vergangenen Sonntag zum normalen Alltagsleben zurückzukehren.

Tagsüber sind die Bürgersteige der Innenstadt gefüllt, und auf den Straßen herrscht das übliche Verkehrschaos. Nachts jedoch ist Van eine verlassene Geisterstadt: die mehrstöckigen Appartmentblocks, die das Stadtbild beherrschen, stehen größtenteils leer, nur vereinzelt sind Fenster erleuchtet.

Über 5.000 Gebäude sind wegen statischer Bedenken für unbewohnbar erklärt worden. Während es die Mittelschicht vorzog, der Stadt vorläufig zu entfliehen, bleibt den ärmeren Bewohnern keine Wahl, als bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt die Nächte in Zelten zu verbringen. Die Naturkatastrophe hat - wie so oft - die bereits Benachteiligten am härtesten getroffen.

Hinzu kommt, dass die nur schleppend anlaufenden Hilfsmaßnahmen vom türkisch-kurdischen Konflikt gezeichnet sind. So waren als erste Reaktion auf das Erdbeben auf Internetportalen zahlreiche Kommentare zu lesen, die die Naturkatastrophe als gerechte Strafe Gottes für die Kurden bewertete.

Ebenfalls am Tag des Erdbebens griffen nationalistische Türken das Gebäude der kurdischen Partei BDP in Istanbul an, das als Sammelpunkt für Hilfsgüter für die Erdbebenopfer diente, wobei es zu schweren Auseinandersetzungen kam.

"Wir schlafen alle im Sitzen"

Seitdem sind zahlreiche Hilfskonvois aus BDP-regierten Städten und Gemeinden unter dem Vorwand, sie leisteten Unterstützung für die kurdische Guerrillabewegung PKK, von der türkischen Gendarmerie auf dem Weg nach Van gestoppt worden.

Die Hilfsgüter wurden beschlagnahmt und in die staatlichen Hilfsdepots überführt - nur um von dort im Namen der türkischen Armee selbst verteilt zu werden. Die staatlichen Hilfsdepots in Van und Ercis, der am schlimmsten betroffenen Stadt, sind immerhin prall gefüllt.

Doch weiter leben Hunderte Menschen, vor allem in den Dörfern und armen Vororten, in notdürftig gezimmerten Unterkünften aus Nylonplanen; es fehlt an Baby- und Kleinkindnahrung, warmer Kleidung und Sanitäranlagen. Seit einigen Tagen hat der Rote Halbmond begonnen, Fertighäuser zu verteilen.

Der Dorfälteste von Alaköy nahe der Küste des Vansees kommentiert jedoch: "In jedem der Häuser müssen bis zu 15 Menschen unterkommen. Wir schlafen alle im Sitzen. Es gibt keinen Platz, um sich hinzulegen." Aus seiner Stimme spricht Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Hilfsverteilung entspricht Wahlergebnis

Alaköy liegt nahe dem Epizentrum des Bebens und ist fast vollkommen zerstört. Die einfachen Lehmhäuser sind nahezu ausnahmslos eingestürzt und haben die kläglichen Besitztürmer der Dorfbewohner unter sich begraben. Jetzt lebt das gesamte Dorf in Zelten und einigen Fertighäusern, ohne fließendes Wasser, geheizt wird mit den wenigen Öfen, die aus den zerstörten Häusern gerettet werden konnten.

Während der Rote Halbmond und die Armee einige Dörfer und Vororte reichlich versorgten, sind andere, trotz des gleichen Grads der Zerstörung, mit keinerlei oder nur den notdürftigsten Hilfsgütern eingedeckt worden. Zum Teil ist dies sicherlich ein Koordinationsproblem, zum Teil aber auch das Resultat politischer Prioritäten. Stadtteile Vans beispielsweise, die mehrheitlich von BDP-nahen Kurden bewohnt sind, haben kaum Hilfgsüter erhalten.

Das gleiche Bild zeigt sich in der Provinz, wo sich die Hilfsverteilung nahezu mit den Wahlergebnissen deckt: Dörfer, die mehrheitlich für die BDP stimmten, erhielten Zelte, Decken und Lebensmittel oft erst eine Woche nach dem Beben, während solche, die der Regierungspartei AKP nahestehen, kaum über einen Mangel an Hilfsgütern klagen können.

"Dank sei dem Staat, dank sei dem Premierminister, uns mangelt es an nichts", hört man dort. Findet trotz allem doch eine Ladung Hilfsgüter ihren Weg in die armen Vororte und Dörfer, kommt es nicht selten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen über die wenigen Decken und Zelte.

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