Grober Keil auf Kriegsklotz: Heldengedenken mal anders

In Hamburg will man ein Kriegsdenkmal für Gefallene aus dem Ersten Weltkrieg umdeuten. Die Evangelische Kirche und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme wollen es nutzen, um Deserteuren zu gedenken.

Mit fliegender Fahne: Demonstranten schreiten am Kriegsklotz vorbei. Bild: dpa

HAMBURG taz | Einmal, zur Zeit des Kosovo-Krieges waren die Helme der Soldaten rot-grün angemalt. Am Volkstrauertag legen Hinterbliebene hier Kränze nieder. Kürzlich, im Mai, war das gesamte Denkmal in Plastikfolie gehüllt, die Unbekannte wieder abgerissen haben. Dafür hinterließen sie eingeschweißt in Plastik, damit der Hamburger Regen ihm nichts anhaben könnte, den Text vom "Guten Kameraden".

Das Denkmal für die gefallenen Soldaten des ersten Weltkriegs am Hamburger Dammtordamm ist umkämpft, es geht darum, an wen wie erinnert wird und gelegentlich, noch grundsätzlicher, um die Haltung zum Militär an und für sich.

Zu übersehen ist es nicht: ein sieben Meter hoher Block aus Muschelkalk, um den ein Relief mit 88 lebensgroßen marschierenden Soldaten läuft. Es ist 1936 von dem Bildhauer Richard Kuöhl geschaffen worden und über die Soldaten ist gemeißelt: "Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen". Geht es nach dem Bündnis für ein Deserteursdenkmal in Hamburg, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und auch der Evangelischen Akademie der Nordelbischen Kirche, ist es höchste Zeit, diese Botschaft umzudrehen. Und an eben dieser Stelle an jene zu erinnern, die nicht mitmarschiert sind: die Deserteure. Dokumentiert sind 366 Fälle für Hamburg im Zweiten Weltkrieg, das Bündnis für Deserteursgedenken glaubt, dass es 1.000 Fälle waren.

Die Entstehungsgeschichte ist holprig: der Bauantrag des Bundes der 76er Vereine, benannt nach dem 76er Regiment war vom Senat zunächst ignoriert und beim zweiten Anlauf abgelehnt worden. Erst 1932 gab die SPD die Genehmigung, um bei den bürgerlichen Koalitionspartnern zu punkten. Daraufhin sammelten die 76er-Vereine Privatspenden, viele Prominente unterstützten das Projekt.

1979 formulierte sich der erste Unmut: Sechs Kunstgeschichtsstudenten rekonstruierten die Geschichte des Denkmals, drei Jahre später schrieb die Kulturbehörde einen Wettbewerb zur Umgestaltung aus. Da ihr keiner der eingereichten Entwürfe zusagte, beauftragte sie den österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka. Der schlug vier Plastiken vor: eine zum Hamburger Feuersturm, auf der Leichen und zerstörte Häuser das Ausmaß des Grauens zeigen und eine zweite, 1989 eingeweihte, "Fluchtgruppe Cap Arcona", die das Ertrinken von KZ-Häftlingen zeigt, deren Transportschiff bombardiert worden war.

Hrdlicka hatte noch zwei weitere Teile vorgesehen, "Soldatentod" und "Frauenbild und Faschismus", stellte sie aber nicht fertig, weil das Budget von 900.000 Mark bereits aufgebraucht war und der damalige Kultursenator von Münch (FDP) kein weiteres Geld bewilligen wollte. Doch damaligen und heutigen Kritikern war mit seiner Arbeit das Problem ohnehin nicht gelöst: Sie bezögen sich auf Ereignisse, die durch britische Luftangriffe ausgelöst wurden, nicht auf das Handeln deutscher Soldaten. Und, praktischer noch: wegen der 20 Meter Entfernung zwischen altem und neuen Denkmal sei nicht ersichtlich, dass sich das eine auf das andere beziehe.

Pastor Ulrich Hentschel von der Evangelischen Akademie der Nordelbischen Kirche ist sich sicher, dass "die Mehrheit der Hamburger mit dem Kriegsklotz nicht einverstanden" sei. Er will ihn nicht abreißen, er soll als Zeichen sichtbar bleiben - umgestaltet, so dass auch an jene erinnert wird, die nicht mitmarschiert sind. Schließlich, sagt Hentschel, müsse man sich auch heute als Soldat fragen, wofür man kämpfe. Deswegen hat er gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte zu einer Tagung zu Hamburger Kriegsgerichten und Deserteuren eingeladen. Es wird eine Diskussion mit den Vertretern aller Hamburger Parteien geben - die Kultursenatorin hatte andere Termin-Verpflichtungen - und auf dem Einladungszettel ist vermerkt, dass die verschiedenen Träger und Auffassungen "das Interesse an einer kritischen und öffentlichen Debatte" verbinde.

Der Sprecher der Kulturbehörde, Enno Isermann, begrüßt eben jene "dringend benötigte" Diskussion. Zu einer Umgestaltung und der Erinnerung an Deserteure an dem Ort möchte er sich aber nicht äußern.

Kritik gibt es bislang nur von einer Seite: Der Bund für Denkmal-Erhaltung, früher Verein zur Erhaltung des 76er Denkmals, kann sich mit der Idee eines Deserteur-Gedenkens an dieser Stelle keineswegs anfreunden. Herbert Schlupp, der erste Vorsitzende, kann nichts Militaristisches am Denkmal finden, schließlich marschierten die Soldaten Richtung Hamburg, und das Weglaufen von Soldaten habe mit dem Sinn einer Stadtverteidigung wie sie der Ursprung des 76er Regiments gewesen sei, nichts zu tun.

In die Praxis ist dagegen das "Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal" gegangen. Koordinator René Senenko sagt, dass man einen Antrag bei der Kommission für Kunst im öffentlichen Raum eingereicht habe. Der verlange nur "ganz wenig Aufwand": eine Figur, die man vor den marschierenden Soldaten installiert. Sie läuft in die Gegenrichtung.

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