„Schüchterne Menschen sind unberechenbar und gefährlich“

INTENSITÄT „Tatort“-Kommissarin Andrea Sawatzki über Urängste, die sie mit ihrer Figur Charlotte Sänger teilt, Beziehungsglück und Fernsehen als Geräuschkulisse

■ Die Privatperson: Jahrgang 1963, ist mit dem Schauspieler-Kollegen Christian Berkel verheiratet und hat zwei Kinder.

■ Die Schauspielerin: Sawatzki begann als Theaterschauspielerin und wurde erst Mitte der 1990er einem breiteren Kinopublikum bekannt. Seitdem spielt sie in zahlreichen Fernseh- und Kinoproduktionen.

■ Die „Tatort“-Ermittlerin: Am Sonntag wird einer der letzten „Tatorte“ ausgestrahlt, in denen Sawatzki als Frankfurter Ermittlerin Charlotte Sänger zu sehen sein wird. Seit 2002 verkörpert sie diese Figur, ihre letzter „Tatort“ wird voraussichtlich im Herbst 2010 ausgestrahlt.

INTERVIEW JAN FEDDERSEN
FOTOS BERND HARTUNG

taz: Frau Sawatzki, fliegen Sie in den Drehpausen nach Hause oder igeln Sie sich lieber in Ihrer Rolle als „Tatort“-Kommissarin Charlotte Sänger ein?

Andrea Sawatzki: Ich fliege am Wochenende immer heim. Und ich bin telefonisch immer zu erreichen. Ich will auf dem Laufenden bleiben.

Klappt die Rollenaufteilung gut mit Ihrem Mann, dem Schauspieler Christian Berkel?

Ja, aber es gab auch Jahre, in denen sich unsere Drehs überschnitten haben. Aber für unsere Kinder klappt alles ganz gut.

Wie wäre es denen am liebsten?

Dass wir immer beide da sind. Immer.

Wie war es in Ihrem Elternhaus?

Meine Mutter, Krankenschwester, war voll beschäftigt. Mein Vater lebte woanders. So kenne ich das gut, wenn niemand da ist. Das ist nicht so schön.

Wie haben Sie es gehalten mit Ihren Kindern?

Ich würde jetzt sagen, dass Kinder bis zum zweiten Lebensjahr bei der Mutter sein sollten. Aber ich konnte nicht auf das Arbeiten verzichten, ich habe schon nach sechs Wochen nach ihren Geburten wieder gedreht.

Würden Sie es bei einem nächsten Kind anders handeln?

Ja. Ich habe damals versucht, die Kinder mit zur Arbeit zu nehmen, habe die Milch abgepumpt, damit sie keine Flaschenkinder werden. Ich wollte eine hundertprozentige Mutter sein und trotzdem berufstätig. Das war eine ziemliche Überforderung. Für alle, glaube ich.

Geht es Ihnen heute gut? Sie sind eine prominente Schauspielerin, haben mächtigen Erfolg und sind beim Publikum beliebt.

Mit dem Älterwerden wird man gelassener, auch wenn man einen Monat kein Angebot hat. Es gibt dann immer noch genug, was einen ausfüllt.

Sie hatten einmal berichtet, immer Angst vor der Zeit zu haben, in der es keine Angebote für Sie gibt.

Ich habe längere Zeit gebraucht, um in diesen Beruf hineinzuwachsen. Und ich habe ihm nicht getraut. Ich war ja relativ spät erfolgreich und habe von meinem beruflichen Erfolg alles abhängig gemacht, mein ganzes Lebensglück.

Und das Private?

Damals habe ich dem Familienleben auch nicht getraut.

Weshalb denn nicht?

Weil ich keine Vorstellung davon hatte, wie das funktioniert. An Familie habe ich nicht geglaubt. Vielleicht, weil ich das selbst nicht erlebt habe. Unbewusst fragte ich mich immer: Wie schafft man es, so lange zusammen zu sein? Deswegen wollte ich mir das Türchen in Sachen Freiheit offen halten, zum Beruf.

Lag das dann an Ihrem Elternhaus?

Meine Eltern sind sehr spät zusammengekommen, da war ich acht Jahre alt, und mein Vater ist ja dann sechs Jahre später gestorben. Das Stetige kannte ich von zu Hause nicht. Jetzt weiß ich, dass es funktioniert.

Darf man sagen: Sie haben Ihr Urmisstrauen abgeschüttelt?

Ja. Und nicht auf Anhieb. Ich musste das schon erst lernen. Vertrauen, ohne zu kontrollieren, das ist ein großes Thema bei uns. Den anderen lassen und ihm dennoch nah sein. Und trotzdem zu empfinden: Ich gehöre zu dir, ich bin bei dir, ich bin dir nah.

Das sind sehr starke Worte, oder?

„Die Deutschen scheinen’s zu mögen, das Harmlose. Manche mögen Filme, bei denen man zwischendurch was anderes machen kann“

Ich spüre, dass sie bei anderen Paaren als einengend erlebt werden. Bei uns, bei meinem Mann und mir, sind sie ein gegenseitiger Schutz, und das ist sehr schön.

Gibt es ein Geheimnis für eine gute Beziehung?

Ich glaube, es funktioniert nur, wenn man selbst gern lebt, wenn man sich selbst mag. Wenn es ein Problem gibt in der Beziehung, sollte man nicht sofort die Schuld beim Partner suchen, sondern sich selbst hinterfragen: Worum mache ich mir Sorgen? Warum engt mich etwas jetzt ein? Wenn man das herausgefunden hat, muss man den Partner nicht mehr anklagen. Das hat mit Selbstvertrauen zu tun.

Haben Sie Ihren Mann als Geliebten gleich erkannt?

Wahrscheinlich schon, instinktiv, ja. Er war der erste Mann, mit dem ich Kinder haben wollte. Das muss eine Ahnung gewesen sein.

Sie spielen seit vielen Jahren die „Tatort“-Kommissarin Charlotte Sänger. Wie viel von dieser Figur ist in Ihnen?

Die Charlotte hat viel von meinen Urängsten. Sie ist schon sehr schüchtern, leicht umzustimmen, aber wenn sie etwas will, kriegt sie es doch. Sie hat Angst vor ihrer Weiblichkeit. Wenn sie sich etwas hingibt, dem Tanzen, was jetzt im allerletzten „Tatort“ noch einmal vorkommt, dann geht sie ganz darin auf.

Und nun, am Schluss dieser Rolle?

Es war schön, dieser Ausflug in meine Urängste, jetzt ist es auch gut.

Aber bizarr bleibt eben doch, dass eine erwachsene Frau in dem Haus wohnen bleibt, in dem ihre Eltern ermordet wurden.

Ich wollte sie bis zum Schluss nicht ausziehen lassen. Eine eigene Wohnung hätte sie haben können, aber ich habe mich gesträubt, denn wenn sie es geschafft hätte, wäre Charlotte Sänger für das Fernsehen zu normal geworden. Ich bin ganz froh, dass Charlotte sich bis zum Schluss nicht gebessert hat mit ihrer schwierigen Art.

Mochten Sie die britische TV-Serie „Heißer Verdacht“ mit Helen Mirren als Kommissarin, einer starken Einzelkämpferin?

Ja sehr. Die hatte etwas sehr Taffes, sehr Verdrängendes, sehr Aggressives. Charlotte Sänger hätte das auch sein können. Diese Züge kamen leider nur in sehr wenigen Szenen zum Vorschein. Ich glaube ja, dass sehr schüchterne Menschen lange an sich halten können. So habe ich mir meine Figur auch vorgestellt: dass sie in sich eine ganz starke kriminelle Energie hat.

Die woher rührt?

Sie prägt eine große Verletztheit. In der Rolle Helen Mirrens war es vielleicht kein Wunder, dass sie mit der Zeit sehr skrupellos wird. Sie wird sich gesagt haben: Okay, wenn ich keine Familie hab, dann mach ich meinen Job gut und komme an die Spitze.

Das Publikum nimmt Sie, auch in Ihrer „Tatort“-Rolle, als ätherisch wahr. Ist das triftig?

Ätherisch? Ich glaube, das wechselt. Wenn mich jemand ärgert, dann kann ich auch aggressiv sein. Ich hab das mittlerweile etwas unter Kontrolle.

Waren Sie jähzornig?

Früher ja. Das ist ja auch ein Charakterzug von schüchternen Menschen. Das macht sie ja so unberechenbar, gefährlich. Dass man manchmal denkt, man hat sich in diesem Menschen gründlich getäuscht. Ätherisch? Klingt schön.

Hätten Sie gern in „Kill Bill“ die Rolle Uma Thurmans übernommen und eine Frau auf Rachefeldzug gespielt?

Durchaus. Ein Film, in dem man körperlich oder psychisch an seine Grenzen stößt. Oder beides.

„Fernsehen ist dazu da, aus Einsamkeit herauszuholen. Nicht durch Gedudel, sondern mit Ehrlichkeit“

Sie – eine Killerin?

Ja. Das könnte ich mir durchaus vorstellen. Das ist doch wunderbar. Da ist man zu Hause ganz ruhig, wenn man vom Dreh kommt.

Weil man sich am Set ausagiert hat?

Austherapiert, ausagiert, meinetwegen. Ich könnte sehr gern auch böse Charaktere spielen. Ich spiele zwar auch gern komische Rollen, aber böse Menschen zu spielen finde ich spannender.

Warum gibt es in Deutschland so wenig Rollen für Frauen, in denen das Böse nicht sofort relativiert wird?

Man sagt, dass das Publikum sie nicht so gern sieht.

Und was sagen Sie?

Das Merkwürdige ist, wenn man zum Beispiel „Dr. House“ nimmt, der ja bei den Deutschen sehr beliebt ist, da heißt es, der ist so unsympathisch, so böse, aber wenn man das anschaut, dann ist er das gar nicht. Man müsste mal eine Figur finden, die ihr Ding durchzieht, aber etwas hat, das das Publikum trotzdem fesselt. Irgendeine kleine Macke, etwas, was die Figur sehr liebenswert macht. Nicht dass man eine Figur im Seicht-Menschlichen bricht, dass man denkt, ach, die ist ja doch nicht so böse.

Würden Sie wieder eine Kommissarin spielen?

Sehr gerne. Eine Figur mit vielen Facetten, deren Handeln unberechenbar und verstörend, aber letztendlich nachvollziehbar für den Zuschauer wäre. Vielleicht auch mal am Rande der Legalität, aber trotzdem Sympathieträger. So ein bisschen wie bei der amerikanischen Krimiserie „The Shield“.

Sie klingen nicht besonders zufrieden mit dem Verlauf der „Tatort“-Figur, die Sie ja mit entworfen haben.

Doch, es war eine schöne Zeit und ich werde Frankfurt und das HR-Team vermissen. Aber ich hätte schon gern zeigen wollen, woraus die Unfähigkeit der Charlotte Sänger erwächst, mit anderen Menschen umzugehen, sich zu äußern, Kritik zu üben.

Das steht auch in manchen Kritiken über diesen „Tatort“.

Ich kann ja nicht spielen, was nicht im Buch steht. Ich wäre gern auch noch weiter gegangen und noch radikaler geworden.

Möglicherweise möchte das Publikum nichts Radikales. Lieber hat es Schmus und Schmand.

Die Deutschen scheinen’s zu mögen, das Harmlose. Manche mögen Filme, bei denen man zwischendurch was anderes machen kann. Sich unterhalten. Das geht bei anspruchsvollen Filmen nicht. Fernsehen ist oft nur Geräuschkulisse. Ich glaube einfach, dass Filme oftmals gar nicht ernsthaft geguckt werden.

Was gucken Sie gerne?

„Ich sehe mich nicht in pinkem Escada“

Ich muss gestehen, ich gucke nie Fernsehen. Wir haben sehr viele DVDs. Ich finde viele deutsche Krimis gut, bei den Komödien sehe ich Nachholbedarf. Die zu gucken schaffe ich meist gar nicht, weil sie entweder so beliebig oder so lieb sind. Schenkelklopfwitze ohne Sinn und Verstand. Es ist nie wie bei den Engländern. Es fehlt das Böse, das Verzweifelte. Das Sichwiedererkennen im Kampf des Lebens, wenn etwas nicht zum Ziel kommt. In Deutschland gibt es meist nur Klamauk, und der ist nicht lebensbedrohlich.

Wäre es für Sie verlockend, mal bei einer „Traumschiff“-Folge mitzumachen?

Ich habe ja schon gehört, das ist gar nicht so schlimm. Man fährt drei Wochen auf See, hat fünf Drehtage und viel Landgang. Früher hätte ich aufgeschrien, aber mittlerweile?

Otto Sander hat auch schon beim „Traumschiff“ mitgewankt.

Ja, das ist wahr. Aber ich sehe mich nicht in pinkem Escada. Nein, ich glaube, da mach ich lieber Normalurlaub.

Frau Sawatzki, würden Sie sich erweichen lassen, für Pedro Almodóvar zu spielen?

Ich würde nicht Nein sagen, ich mag seine Filme, sehr. Der liebt einfach Frauen.

Warum gibt es keinen Almodóvar in deutscher Variante?

Keine Ahnung. Liegt’s an der Vergangenheit? Wollen wir immer gut enden, so dass wir nicht mehr angeklagt werden können? Es gibt ja manchmal deutsche Filme, die schon hart sind, die Preise bekommen, aber die keiner sich anguckt.

Die Filme Almodóvars sind oft ziemlich brutal.

Liegt es nicht auch schon daran, dass die spanischen Schauspieler ganz anders spielen? Sie sind erzogen, Spielfreude zu haben. Das ist bei den Deutschen verpönt, weil man es mit Oberflächlichkeit gleichsetzt. Bei uns sind Schauspieler, die nicht psychologisch spielen, nicht besonders anerkannt. Ich finde Schauspielerei am Rande des Nervenzusammenbruchs gut, wenn man sich ins Fahrwasser begibt, wenn man nicht mehr richtig kontrolliert, wenn’s auch total schiefgehen kann oder man Gefahr läuft, sich zu blamieren. Ich finde, wenn man nichts wagt, wird es so mittelmäßig, blass oder eben gefällig.

Deutsche Schauspieler irritieren weder im Guten noch im Bösen, oder?

Ich hatte einmal in einem Therapeutenfilm gespielt. Später habe ich mir die Quotenkurve angeguckt.

Die Zahl der Zuschauer stürzte rapide ab.

„Ich bin ganz froh, dass Charlotte sich bis zum Schluss nicht gebessert hat mit ihrer schwierigen Art“

Ja, auffällig war vor allem, dass viele Zuschauer abschalteten, als ich mich in meiner Rolle mit einem magersüchtigen Mädchen zu unterhalten begann. Zwei Millionen waren weggeschaltet. Die Geschichte von einem missbrauchten Kind schockierte wohl zu krass.

Haben Sie daraus einen Schluss gezogen?

Man müsste zehn Teile von einer solchen Reihe drehen und Woche für Woche die Folgen zeigen. Die Menschen mit dem Stoff konfrontieren. Fernsehen ist dazu da, Menschen aus ihrer Einsamkeit herauszubringen. Aber nicht durch Gedudel, sondern mit Ehrlichkeit.

Ist das Ihre Aufgabe?

Genau so. Das sehe ich auch für Komödien so. Auch sie müssen etwas Wahres haben, aber aus einer Not heraus, aus Verzweiflung oder Einsamkeit, nicht weil es so ein bisschen doof ist.

Das Publikum will also ganz einfach nur beplätschert werden?

Es ist verrückt: Egal, wen man spricht, diese Filme, die im Seichten bleiben, sieht angeblich niemand. Aber irgendwo müssen die Zuschauer ja sein. Ich glaube, viele genieren sich zuzugeben, dass Fernsehfilme nur als Geräuschkulisse gut sind – und wirkliche Qualität nur selten bieten.

Läuft nur noch Schund im deutschen TV, Frau Sawatzki?

Nein, auf keinen Fall. Für das ZDF habe ich bei einer Miniserie mitgemacht, sie heißt „Der Klimawechsel“. Doris Dörrie hat sie zusammen mit Ruth Stadler geschrieben und zwei Folgen inszeniert. Storys über Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, wirklich. Ulrike Kriener, Juliane Köhler, Maria Happel spielen mit, ebenso Maren Kroymann als böse Frauenärztin. Frauen in der Midlifekrise – wir spielen uns wirklich wund.

Und wann wird sie ausgestrahlt?

Leider weiß ich das nicht, aber hoffentlich im Jahre 2010. Diese Serie geht in die ehrliche Richtung. An sie wird sich das Publikum gewöhnen müssen, will es sich ernst genommen fühlen.