Avanti Dilettanti!

Vom Überleben in der Krise

VON JENS BERGER

Italien hat gewählt – das Ergebnis schmeckt den Meinungsmachern in den deutschen Zeitungen, Radio- und TV-Redaktionen überhaupt nicht. Offenbar kommt der hiesige Drang zur ökonomischen Selbstkasteiung, der sich in Begriffen wie Sparpolitik und Reformbedarf ausdrückt, südlich der Alpen nicht so gut an. Mario Monti, unser Mann in Rom, wurde vom Wähler genauso wie das sparfreudige Mitte-links-Bündnis abgestraft. Avanti Dilettanti? Nicht unbedingt, bei genauer Betrachtung zeigt sich vielmehr, dass die deutschen Kommentatoren die eigentlichen Dilettanten sind.

Wenn Deutschlands Meinungsmacher erzürnt sind, setzen sie sich gerne die verbale Pickelhaube auf. So fragte sich das Volksorgan mit den vier großen Buchstaben anlässlich des Wahlergebnisses, ob „zu viel Pasta doch blöd“ und die Italiener „jetzt unseren [sic!] Euro kaputt machen“. Hier staunt der Laie, der Fachmann wundert sich. Vergessen wir mal für einen Moment den Chauvi-Unterton und fragen uns, wie das Kaputtmachen funktionieren könnte. Selbst ein (unwahrscheinlicher) Staatsbankrott Roms würde den Euro nicht kaputt machen, sondern lediglich einigen Gläubigern arge Kopfschmerzen bereiten. Es stellt sich hier jedoch vor allem die Frage, ob die von Merkel, Bild und Co favorisierte Kürzungspolitik den Euro retten könnte. Die Antwort auf diese Frage kann auf Basis empirischer Daten nur Nein sein.

Nicht zu viel Pasta, sondern ein Job bei der Bild macht anscheinend blöd. Es ist allerdings nicht nur das Leitmedium der Minderbemittelten, das kein publizistisches Fettnäpfchen auslässt, wenn es um Italien geht. Stellvertretend für die angeblich „seriösen“ Publikationen unkte diese Woche der Focus, dass Silvio Berlusconi als der „Hauptverantwortliche für Rezession und Schuldenkrise“ gelte.

Es ist eine undankbare Aufgabe, ausgerechnet den Cavaliere in Schutz zu nehmen. Aber was nicht stimmt, stimmt nun einmal nicht. Den historischen Vorkrisenhöchststand erreichte die italienische Staatsschuldenquote im Jahre 1994 mit 121,8 Prozent, als Berlusconi zum ersten Mal Ministerpräsident wurde. Seitdem sank die Quote langsam, aber stetig auf 103,3 Prozent im Vorkrisenjahr 2007. In Deutschland stieg sie im gleichen Zeitraum um zehn Punkte.

Dumm für die Leitartikler: Nicht Deutschland, sondern Italien hat also seine Staatsschuldenquote mustergültig reduziert. Der Klassenstreber war, wieder einmal, nicht der Klassenbeste. Aber was interessieren schon Fakten, wenn sie die tolle Story vom Superteutonen und den chaotischen Spaghettis kaputt machen? Komplett faktenresistent zeigte sich erneut die ARD-Börsenberichterstattung. Hier kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es den bösen Märkten nicht gefällt. Und das Votum der Italiener hat den Märkten überhaupt nicht gefallen. Wie meist, wenn die ARD von der Börse berichtet, hatte das Fremdschämpotenzial dabei einen echten Bullenmarkt. Nach Auszählung der italienischen Stimmen gaben die öffentlich-rechtlichen Spökenkieker diesmal eine „Sturmwarnung für Europa“ ab, raunten von einem „Schock für die Finanzmärkte“ und plapperten ansonsten den Sprech der „Analysten“ nach.

■ ist freier Journalist, Wirtschaftsexperte und politischer Blogger der ersten Stunde. Als Redakteur der „NachDenkSeiten“ und Herausgeber des Blogs „Spiegelfechter“ schreibt er regelmäßig zu sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen. Im Westend Verlag veröffentlichte er im Februar das Buch „Stresstest Deutschland: Wie gut sind wir wirklich?“

■ An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Sabine Reiner, Rudi Hickel, Gesine Schwan, Niko Paech und Ulrike Herrmann.

Was war geschehen? Der DAX, das Fieberthermometer der Marktkonformität, war um sagenhafte 2 Prozent abgerutscht. Ei der Daus! Derart geschockt kann man natürlich vergessen, dass der DAX in den letzten Monaten um 30 Prozent gestiegen ist. Die „Sturmwarnung für Europa“ war wohl eher eine Sturmwarnung im Wasserglas. Und ein Vorwand, deutsche Kleinsparer ganz in Merkels Sinne ideologisch zu festigen. Frei nach dem Philosophen Giovanni Trapattoni möchte man da nur noch sagen: „Deutsche Kommentatoren schreiben wie Flasche leer. Ich habe fertig.“