Klimawandel in Indonesien: Der Hintern der Welt

Bergbau, Ölpalm-Plantagen, REDD+. Die internationalen Projekte zum Regenwaldschutz degradieren Indonesiens letzte Waldbewohner zu Ausputzern des Klimawandels.

Abgeholzt: Nur noch 4-6 Prozent sind in Indonesien Primärwälder Bild: dpa

ZENTRALKALIMANTAN taz | Abdul Hamid geht ins knietiefe Wasser. Bis zur Unterhose zieht sich der 31-Jährige aus und verrichtet seine Morgenwäsche. Stundenlang hat der Regen in der Nacht gepeitscht, haben Gewitter die hölzernen Pfahlbauten am Kapuas-Fluss in Zentralkalimantan erzittern lassen. Am Morgen strahlt der Himmel wieder. Doch der Fluss hat die Stege verschluckt, die zu schwimmenden kleinen „Badezimmern“ aus Holz führen, mit einem Loch als Abfluss in der Mitte.

Brunnen gibt es nicht im Dorf Katunjung, wo 275 Familien über mehrere Kilometer verstreut leben. Das schmutzigbraune Flusswasser führt die Abwasser der Goldminen weiter nordwärts. „Hautausschläge und Durchfall sind unser ständiger Begleiter“, klagt Abduls Frau Elyana.

Elyana und Abdul gehören zum Volk der Dayak, den Indigenen in Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo. Holzfirmen, Minen und Palmölplantagen haben ihren Lebensraum über Jahrzehnte verkleinert. Hinter den Hütten beginnt eine Landschaft, in die die Welt in Zeiten des Klimawandels ihre Hoffnung setzt: Torfböden, mehrere Meter dick.

Torfböden sind Kohlenstoffspeicher. Werden sie entwaldet, setzen sie riesige Mengen an Treibhausgasen frei. Indonesiens Regierung hat Zentralkalimantan nun zur Pilotprovinz für Projekte bestimmt, bei der Erhaltung oder Wiederaufforstung von Wald finanziell belohnt wird, indem Staaten oder Unternehmen, die große Klimaschädiger sind, Zertifikate kaufen. REDD+ heißt das in der Fachsprache. Auf einer Fläche von 120.000 Hektar setzt jetzt die australisch-indonesische Kalimantan Forest and Climate Partnership (KFCP) REDD+-Pilotprojekte um.

Die Bewohner von Katunjung hatten zunächst Hoffnung in REDD+. Hinter ihren Häusern sieht man kleine Holzverschläge, die mit Setzlingen in schwarzen Plastiktüten gefüllt sind. „Wir haben sie gehegt wie unsere Kinder“, sagt die 38-jährige Neneng. „Aber wenn sie uns nicht bald Geld dafür geben, werden wir sie wohl wegwerfen.“

Alle warten auf Geld

Die Setzlinge sollen Bäume werden. Doch seit sie im Juli in die Plastiksäcke gepflanzt wurden, weiß keiner so recht, wohin damit. Und alle warten auf Geld. Die ersten Raten gab es im Juli und August. 300.000 Rupiah (25 Euro) hat Neneng bekommen. „Das reicht gerade mal für eine Woche Essen“, sagt die dreifache Mutter. Wäre sie ihrer üblichen Tätigkeit nachgegangen – Kautschuk von den Bäumen in der Nähe des Dorfes zu ernten -, hätte sie mehr verdient, meint sie.

Katunjung liegt im Gebiet des „Mega-Reisprojektes“, mit dem Indonesiens ehemaliger Militärdiktator Suharto auf einer Million Hektar Fläche Regenwald Reis anbauen lassen wollte. Das Roden und Abfackeln führte Ende der 90er Jahre zu den größten je bekannten Waldbränden in der Region. Und dem größten je gemessenen Anstieg der globalen Treibhausemissionen. Inzwischen haben Palmölplantagen neue Fakten geschaffen.

REDD+ steht für "Reducing Emissions from Deforestation and Degradation" - Verringerung von Emissionen aus Abholzung und zerstörerischer Waldnutzung). Dabei erwerben Staaten und Unternehmen das Recht zum CO2-Ausstoß durch die Finanzierung von Waldschutzprojekten. Die bisherigen Erfahrungen mit REDD und mögliche Weiterentwicklungen sind ein zentrales Thema beim laufenden Weltklimagipfel in Durban.

„Früher fing der Wald gleich hinter dem Dorf an“, erinnert sich Nenengs Mutter Dimas. Die 69-Jährige sitzt im Schneidersitz auf dem Fußboden, rollt Betelnuss und Kalk in ein Blatt ein und kaut genüsslich, bis ihr Mund sich rot färbt. „Damals brauchten wir keine Ärzte, wir gingen los und sammelten Wurzeln, Rinde und Samen.“ Dimas ist ein wandelndes Lexikon. Während sie immer wieder ihren roten Betelsaft ausspuckt, zählt sie auf, was gegen Durchfall hilft, womit postnatale Blutungen gestoppt werden, womit man Asthma behandeln kann. Möglichst viele Heilpflanzen sollten wieder gepflanzt werden, hofft Dimas.

Tiefschwarzes Wasser, dahinter Ödnis

Im Dezember 2010 wurden auf 25 Hektar Fläche im Rahmen des REDD+-Programms Baumsetzlinge gepflanzt. „83 Prozent davon wachsen“, berichtet der Dorfkoordinator stolz. Wer sich selbst ein Bild machen will, muss mit einem kleinen Boot über Kanäle fünf Kilometer weit fahren. Die Kanäle wurden einst mit schwerem Gerät für das Reisprojekt der Diktatur in den Torfboden gegraben, das Wasser ist tiefschwarz. Dahinter Ödnis, so weit das Auge reicht. Aus Farn und Gestrüpp ragen einzelne verkohlte Baumstämme hervor.

Ein kaum noch lesbares Schild am Kanalrand verweist auf die 25 Hektar bepflanzte Fläche. Abdul Hamid bahnt sich mühsam seinen Weg durch den kniehohen Farn. Er schaut an Dutzenden etwa einen Meter hohen Stöcken nach. Er findet nicht einmal zehn Prozent lebende Bäume. Beinahe überall stehen vertrocknete Stängel. „Das ist zum Fenster hinausgeworfenes Geld“, schimpft Hamid. „Hätten sie das Wissen der Dorfbevölkerung einbezogen, wäre das nicht passiert.“

Der 58-jährige Arben Anus schaut auf die Liste der 34 Baumsorten, die im Rahmen des Projektes gepflanzt wurden. Sieben davon wachsen gar nicht auf Torf, sagt er. Bei den anderen käme es auf die Dicke der Böden an.

„Indonesien als Zielland für die Verringerung von Emissionen auszuwählen ist richtig“, sagt Arie Rompas von der indonesischen Umweltschutzorganisation Walhi. „Aber REDD ist die falsche Lösung, weil es die Entwaldung nicht stoppt.“ Zentralkalimantan hat 15,3 Millionen Hektar Land, für 12,8 Millionen Hektar hätten Holz-, Bergbau- und Palmöl-Unternehmen bereits den Zuschlag bekommen. „Man müsste einfach nur aufhören, Konzessionen zu vergeben. Oder bestehende Konzessionen zurückziehen.“ Das seit Mai geltende Waldschutzmoratorium helfe nicht, da es nur Primärwälder schütze. „Nur noch 4 bis 6 Prozent sind Primärwälder.“

In Katunjung am Kapuas-Fluss legt ein Schnellboot an. Eine Mitarbeiterin von KFCP ist angereist. Sie darf mit der Reporterin nicht sprechen, sagt sie. Dafür brauche sie die Genehmigung ihres Chefs. Mehrere Anfragen der taz bleiben unbeantwortet.

Bewohner sind skeptisch

Ob die Enkel der 69-jährigen Dimas sich ihre Medizin jemals aus aufgeforstetem Wald holen können? Die Bewohner von Katunjung sind skeptisch. Sie haben ihre Erfahrungen. Eine Stunde flussaufwärts befindet sich eine Forschungsstation der Borneo Orangutan Survival Foundation (BOS).

Dort findet man zwar keinen Primärwald, aber 30 Meter hohe Bäume, aus allen Richtungen Vogelgezwitscher, Orang-Utans, Bären, Wildschweine. Forscher aus aller Welt besuchen die Station. Die Indigenen von nebenan dürfen den Wald nicht betreten. „Die Tiere sind wichtiger als die Menschen“, kritisiert Alfianus G. Rinting von der Allianz der Indigenen Völker (Aman).

Für Rinting ist auch REDD so ein Elitenprojekt. „Die Workshops finden in Städten statt, mit ausgewählten Vertretern. Die Leute in den Dörfern wissen nichts über den Sinn von REDD.“ Er befürchtet, dass den Indigenen im Namen des Klimaschutzes Land genommen wird. Traditionell verständigen sich die Dorfbewohner selbst auf die Grenzen ihres Landes, Bäume und Flüsse gelten als Wegmarken. Im Jahr 2009 verfügte der Gouverneur von Zentralkalimantan, die Indigenen könnten sich ihre Landrechte sichern, wenn sie bis zum Jahr 2015 entsprechende Landkarten einreichen. „Was wie eine Chance aussieht“, so Alfianus, „ist eine große Gefahr. Die Dorfbewohner haben gar nicht die Möglichkeit, Land zu vermessen.“

Im Bürokomplex des Gouverneurs der Provinzhauptstadt Palangka Raya bemüht sich Dewi Eliyana redlich, über das bürokratische Ungetüm REDD Auskunft zu geben. Die 34-jährige UNDP-Mitarbeiterin ist im Mai in die Provinz gezogen. In einem Informationszentrum stehen ungenutzte Computer, in einem Glasschrank liegen Broschüren und Filme über Torfmoore. 2012 soll die Implementierung von REDD in der ganzen Provinz beginnen. Wo genau? Aufgrund welcher Erfahrungen? Mit wie viel Geld? Alles unklar. Es prallen Welten aufeinander in Zentralkalimantan.

Letzte Woche war endlich Zahltag in Katunjung. Pro Setzling erhalten die Bewohner 1.140 Rupiah (knapp 10 Cent). Sind die Bäume 20 Zentimeter hoch und können ausgepflanzt werden, gibt es pro Bäumchen noch einmal 100 Rupiah (knapp 1 Cent). Rund 600 Setzlinge versorgt jede Familie, das macht einen Gesamterlös von etwa 60 Euro. Dass die Höhe der Bäume bei der Bezahlung eine Rolle spielt, das hatte den Dorfbewohnern allerdings keiner gesagt.

„Warum müssen wir überhaupt dafür sorgen, dass die Australier sich von ihren Umweltsünden reinwaschen?“, fragt Abdul Hamid. „Katunjung gehört doch nicht zu Australien. Das ist, als würden die auf Toilette gehen und wir müssten ihnen den Hintern abwischen.“

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Dieser Artikel wurde möglich durch finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V.

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