Nazijäger Efraim Zuroff: Die Täter müssen vor Gericht

Efraim Zuroff vom Jerusalemer Simon Wiesenthal Center ist berühmt geworden als sogenannter Nazijäger. Beständig arbeitet er gegen die Umdeutung der Schoah.

Efraim Zuroff verfolgt seit 25 Jahren die Verbrechen der Nazis. Bild: ap

Man denkt, der Mann müsse bei vielen extrem verhasst sein. Aber es umzingeln einen keine Bodyguards, wenn man sich mit Efraim Zuroff trifft. "Wahrscheinlich war ich in meinem Job nicht erfolgreich genug", witzelt er. Zuroff ist Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, und sein Job besteht darin, Naziverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg aufzuspüren.

Das macht er jetzt seit 25 Jahren. Mit dem Ausfindigmachen eines Verdächtigen ist es noch lange nicht getan: Es braucht einen Staatsanwalt, der eine Klage formuliert, ein Gericht, das ein Urteil spricht, und Angeklagte, die verhandlungsfähig sind und bleiben. "Das größte Problem ist aber, dass es am politischen Willen fehlt, diese Leute vor Gericht zu bringen", so Zuroff.

Das gelte so ziemlich für alle Länder, in denen sich die Kriegsverbrecher aufhalten; positive Ausnahmen seien gegenwärtig nur USA, Italien und Deutschland. "Teilweise", schiebt Zuroff rasch nach und zählt unerledigte Fälle auf, ganz als erschrecke ihn sein Lob für das Land der Täter.

Efraim Zuroff: "Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des 'Nazi-Jägers'". Prospero Verlag, Münster 2011, 276 Seiten, 19 Euro.

Gestern hat er auf einer Pressekonferenz in Berlin die "Operation Last Chance II" vorgestellt. Fast euphorisch äußert er sich über die Urteilsbegründung im Münchner Demjanjuk-Prozess. Es gebe nun neue Möglichkeiten, all jene zu verurteilen, die in Einsatzgruppen oder Wachmannschaften von Vernichtungslagern gedient hatten. Demjanjuk war im Frühjahr wegen seines Dienstes im Todeslager Sobibór verurteilt worden, einen individuellen Schuldnachweis hielt das Gericht nicht für erforderlich.

Die Aufenthaltsorte von 3.000 bis 4.000 mutmaßlichen Nazis hat das Zentrum ausfindig gemacht. Dreißig davon wurden verurteilt. Aber das, betont Zuroff, sei nicht der einzige Maßstab für den Erfolg seiner Arbeit.

Die Wut erklären

Zuroff wurde 1948 in New York geboren. Mit dem Holocaust kam er erstmals in Berührung, als ihn seine Mutter im Alter von 12 Jahren vor den Fernseher zitierte, damit er sich den Eichmann-Prozess ansehe. "Ich hatte keine Ahnung, wer das war." Überhaupt hätten die Juden in Amerika kaum über den Holocaust gesprochen. Das änderte sich schlagartig mit dem Sechstagekrieg im Juni 1967. Als er eine Grafik mit einem Kräftevergleich der israelischen Armee und der arabischen Armeen sah, war seine spontane Reaktion: "Oh mein Gott, das wird ein neuer Holocaust."

Das Gefühl, persönlich mitbedroht zu sein, beschreibt Zuroff als überwältigend. Also ging er nach Israel. Dort studierte er Geschichte und kehrte kurzzeitig in die USA zurück, wo er 1978 Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles wurde. Das Büro für Sonderermittlungen innerhalb des US-Justizministeriums engagierte ihn, um bei der Suche nach in die USA eingewanderten Nazis zu helfen. Jüdische Überlebende - Zeugen also - sprachen lieber mit ihm als einer offiziellen Behörde.

Endgültig zum sogenannten Nazijäger gemacht hatte ihn 1986 ein eher zufälliger Blick in die bis dahin wenig beachteten Unterlagen des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes. Zuroff bemerkte, dass sehr viele der 16 Millionen Einträge Soldaten betrafen, inklusive Hinweisen auf etwaige Auswanderungsziele. Er glich die Namen von zunächst 49 lettischen und litauischen Kriegsverbrechern, die er recherchiert hatte, ab - und landete 16 Treffer. "Das war eine Goldmine. Innerhalb von fünf Minuten konnte ich herausfinden, wohin ein Naziverbrecher ausgewandert war. Da hatte ich das Gefühl, ein Nazijäger zu sein."

Die gute Laune, die Zuroff trotz seiner häufig frustrierenden Tätigkeit auszeichnet, vergeht ihm schlagartig, wenn er über Osteuropa redet. Da weiß er kaum, wo er anfangen soll, um seine Wut zu erklären. Zum Beispiel die Ukraine: "Voller Kriegsverbrecher, aber nicht ein einziger ist verurteilt worden." Oder Litauen, das Land seiner Vorfahren: "Da tun sie alles Mögliche, um zu verhindern, dass ein Naziverbrecher bestraft wird."

Jene Länder, in denen es Zehntausende von Holocaust-Helfern gab, versuchen, sich ausschließlich als Opfer darzustellen - als Opfer der Sowjets. "Deswegen wird die Lüge verbreitet, dass Kommunismus das Gleiche ist wie Nazismus", wodurch der Holocaust relativiert werde. Das ist das Programm der "Prager Deklaration" aus dem Jahr 2008, zu deren Unterzeichnern neben osteuropäischen Politikern auch der SPD-Mann Joachim Gauck gehört. Zuroff sagt: "Zum Glück wurde der nicht Präsident."

Volkspädagogisches Projekt

Hinzu kommt das Ignorieren des Jüdischseins der Opfer, worin sich die postkommunistischen Staaten an der sowjetischen Vergangenheit orientieren: Das Okkupationsmuseum in Riga erkläre heute, jüdische Letten seien von den Nazis ermordet worden, weil sie Letten waren. Früher habe es stets geheißen, die bourgeoisen Hitlerfaschisten hätten "friedliebende Sowjetbürger" ermordet - "das ist Bullshit", entzürnt sich Zuroff.

Seit 20 Jahren versuche er, das litauische Volk zu motivieren, "der Geschichte ins Auge zu blicken - und ich habe versagt, komplett versagt." Und da kommt Zuroff wieder zur Nazijagd, die für ihn nicht nur eine Sache der Gerechtigkeit ist, sondern ein gewissermaßen volkspädagogisches Projekt:

Es gebe kein besseres Mittel, um historische Debatten anzustoßen, als Leute vor Gericht zu stellen, die in der eigenen Bevölkerung eigentlich als unschuldig oder gar als Helden gelten. Die osteuropäischen Staaten verpassten jetzt ihre beste Chance, ihren Bevölkerungen etwas über den Holocaust beizubringen. Stattdessen blocken sie ab: Einer wie Zuroff gilt dort als russisch-jüdisch-kommunistischer Agent.

Hat eigentlich wenigstens einmal ein aufgespürter Kriegsverbrecher echte Reue gezeigt? "Nie". Nicht einmal die Standardausreden - "ich war jung, ich war dumm, ich habe Fehler gemacht" - habe er zu hören bekommen. Nicht ein einziges Mal.

In nicht allzu ferner Zukunft werden die letzten überlebenden Nazis gestorben sein. Die "Nazijagd" sei ja, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, gar nicht seine Haupttätigkeit, eröffnet Zuroff. "Was ich in Zukunft tun will, ist Bildungsinstrumente zu entwickeln", speziell für Osteuropa. Auch im Westen liege vieles im Argen, weil der Holocaust umgedeutet werde.

Zuroff zählt auf und redet sich in Rage: Über die Darstellung von Israel, über Tierrechtler, die von Hühner-KZ schwadronieren, und Abtreibungsgegner - alle nutzten die Bilder des Holocaust, und heraus komme dessen völlige Entwertung. Arbeitslos wird Zuroff nicht werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.