Einkaufen im Dorfladen: Erweitertes Angebot

Seddin im Berliner Speckgürtel hat seit Jahren keinen Laden mehr. Nun ist ein Ersatz gefunden: Mit Lebensmitteln, Lesecafé und einer Tourismusecke soll ein neues Geschäft zum Ortsmittelpunkt werden.

Nicht jeder hat einen Supermarkt um die Ecke - in Seddin der Dorfladen außerdem ein kultureller Ort sein. Bild: dapd, Michael Probst

Ein Weihnachtsbaum mitten im Dorf, geschmückt mit Kinderbasteleien, das ist an und für sich nichts Besonderes. Für Olaf Leistner aber ist die vier Meter hohe Tanne vor dem leerstehenden ehemaligen Supermarkt in Seddin mehr als ein Brauch: Sie steht erstmals auf dem Grundstück, auf dem in diesem Jahr der Dorfladen eröffnen soll - mit einem Angebot an Lebensmitteln, mit einem Café, mit regelmäßigen Treffen. "2012 basteln wir den Christbaumschmuck im Laden", sagt Leistner.

Seit fast zwei Jahren planen Leistner und seine ehrenamtlichen Mitstreiter vom Verein "Dorv" Seddin (Dienstleistung und Ortsnahe Rundum Versorgung) an einem Nahversorgungs-Angebot für das Dorf am gleichnamigen See. Seddin liegt im weiteren Speckgürtel von Berlin. Alteingesessene leben mit Zugezogenen zusammen, etwa drei Dutzend Kinder besuchen die Kita, ein Golfclub auf der anderen Seeseite lockt Touristen: Die Mischung gibt dem Ort eine solide Basis, anders als viele periphere Dörfer stirbt Seddin nicht schleichend aus. Nur einen Laden gibt es nicht mehr - das will der Verein ändern.

In Leistners Stimme schwingt Hoffnung mit, wenn er von den Planungen erzählt. Schon einmal stand ein Konzept, dann sprang ein Betreiber ab. Behörden verlangten bürokratische Hindernisläufe. "Man braucht einen langen Atem", sagt er.

Als die Gemeindevertretung kurz vor Weihnachten endgültig das Konzept für die Seddiner "Dorv" absegnete, waren die 43 Vereinsmitglieder entsprechend erleichtert. In den nächsten Wochen sollen die Förderanträge eingereicht werden, nach Renovierung soll der Zweckbau seine Türen öffnen. Seit fast zehn Jahren müssen die 1.100 Einwohner des Örtchens 50 Kilometer südlich von Berlin ohne Einkaufsmöglichkeit auskommen. Nachdem der Supermarkt aufgegeben hatte, weil es ihm an Kundschaft, Verkaufspersonal und einem passenden Konzept fehlte, steht das Gebäude leer.

Geplant ist nun, den Betrieb zweizuteilen, mit einem gemeinsam genutzten Café: Der Seddiner Verein kümmert sich um die sozialen und kulturellen Angebote, den Laden soll eine gemeinnützige GmbH organisieren. Hinter letzterer steht der Kleinmachnower Sozialverein Pusteblume. "Unsere Idee war, Menschen mit Handicap Arbeit zu geben", erzählt Gesellschafter Jan Steinau. "Der Laden scheint uns dafür ideal." Besonderheit einer gGmbH ist, dass alles Erwirtschaftete gemeinnützig verwendet werden muss. Steinau will zunächst sechs Mitarbeiter einstellen, drei davon mit Behinderung. Wer solche Arbeitsformen anbiete, erhalte staatliche Zuschüsse. Ansonsten müsse sich der Laden selbst tragen.

Steinau, ein kräftiger, ruhiger Mann, arbeitet freiberuflich in Berlin und engagiert sich seit Jahren für Behinderte und deren Angehörige. Der 37-Jährige kennt sich aus im Förder- und Behördendschungel. Tatsächlich scheint er von der Arbeitsorganisation für den Seddiner Laden eine klarere Vorstellung zu haben als von dessen Inhalt. "Wir wollen Lieferanten aus der Umgebung, so viel steht fest", erzählt er über die Pläne für ein Lebensmittel-Angebot lediglich. Back- und Fleischwaren sollen möglichst aus der Nähe kommen, Fische gebe es im Seddiner See, auch Kräuter aus dem Dorf könnten verkauft werden. Was genau, wie genau, mit welcher Kalkulation - das will Steinau dem noch gesuchten Marktleiter überlassen. "Dieser Posten wird das A & O, er muss einen Bezug zum Ort, aber eine Affinität zu Waren haben."

Ziel sei, den Seddinern ein Angebot für den täglichen Bedarf vor Ort zu machen. Bislang allerdings müssen sie zwei Kilometer über die Bundesstraße durch den Wald fahren, um zum Discounter im Neuseddiner Gewerbegebiet zu kommen. Pendlern reicht das, älteren Seddinern allerdings nicht. Mehrere Umfragen im Zuge des "Dorv"-Projektes zeigten, dass die Menschen wieder eine Art Tante-Emma-Laden vor Ort haben wollen. Und dass sie bereit sind, dafür ein paar Cent mehr zu zahlen. "Nahversorgung steht als Wunsch ganz oben", sagt Steinau.

Die ursprüngliche Idee für ein Wiederbeleben des Ladens kam von Bernd Lehmann. Er wohnt schräg gegenüber dem leerstehenden Gebäude. Bei einem Vortrag erfuhr er von ähnlichen Projekten in Nordrhein-Westfalen; dort ist aus einer Nahversorgungsinitiative ein kleines Beratungsunternehmen entstanden, das bundesweit Dorfladen-Ideen prüft und Projekte gegebenenfalls begleitet. Jürgen Spelthann, einer der "Dorv"-Manager, beriet auch die Seddiner. Er äußert sich positiv über die Zukunftschancen des Vorhabens. "Bei bürgerschaftlichem Engagement ist es immer so, dass es dauert", sagt Spelthann. Eine Vorlaufzeit von zwei, drei Jahren sei nichts Ungewöhnliches.

Kritiker werfen Spelthann und dem "Dorv"-Konzept indes vor, zu wenig wirtschaftlich zu arbeiten. Sie schlingerten zwischen Ehrenamt und Unternehmung, anstatt klar betriebwirtschaftlich zu denken, so der Vorwurf. Besonders in Süddeutschland, wo in den vergangenen Jahren Dutzende Nahversorgungs-Initiativen auf dem Land gestartet sind, wird die gewinnorientierte Linie bevorzugt. Nicht ohne Grund: In diesen Gegenden gibt es im Prinzip keine staatlichen Fördermittel, die Läden sind auf ihre eigene, solide Bilanzierung angewiesen. Viele sind als Genossenschaft angelegt, so dass das Geschäft letztlich den Einwohnern selbst gehört.

Ähnliches war anfangs in Seddin geplant, dann aber verworfen worden. Die Zweiteilung der Betreiber soll nun eine langfristige Basis sicherstellen. Der Umbau wird mit fast 765.000 Euro veranschlagt, 345.000 Euro davon will die Gemeinde selbst aufbringen, der Rest soll über Fördermittel finanziert werden.

Ob sich Laden und soziale Angebote beweisen, wird vom Konzept abhängen. Das bekennt auch Gesellschafter Steinau: Nur eine Konkurrenz zum Discounter sein zu wollen, werde nicht reichen. Steinau denkt über einen Schwerpunkt auf frischen, regionalen Produkten nach, auch spezielle Angebote für Ausflügler aus Berlin seien denkbar. "Wir haben viele Höfe in der Umgebung, die ihre Waren in der jeweiligen Saison im Dorfladen mit anbieten können", bestätigt Olaf Leistner vom Verein "Dorv". Er glaubt, dass das Gebäude schon wegen der Mischung aus Lebensmittelladen und Dorttreffpunkt überleben werde.

Gesprächsrunden mit Professoren, Kochevents, Seniorentreffs, ein Lesecafé, Kooperationen mit der "Kulturscheune", eine Fahrrad-Reparatur-Station - Leistner braucht beide Hände, um die Ideen für das Supermarkt-Haus aufzuzählen. "Im Frühjahr stellen wir einen Veranstaltungsplan auf, außerdem werden wir in einem Schaukasten am Gebäude über den Projektstand informieren."

Angedacht ist zudem, dass Initiator Lehmann ein Modell des neuen Ladens baut - ebenfalls auf dem Grundstück, vor den noch heruntergelassenen Jalousien des Zweckbaus. Also genau dort, wo noch und Ende des Jahres wieder der Dorf-Weihnachtsbaum steht.

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