Streit der Woche: "Tunesien hat starke Frauen"

Die tunesische Autorin Sihem Bensedrine glaubt an den Wandel. Ihre Landsfrau Yousra Ouanes ist froh, in der Uni Kopftuch tragen zu können.

Nicht überall selbstverständlich: Tunesierinnen dürfen schon seit mehr als 50 Jahren wählen. Bild: Imago / Xinhua

Die Beiträge der beiden Journalistinnen aus Tunesien lesen Sie hier exklusiv auf taz.de

Sihem Bensedrine ist tunesische Autorin, Journalistin und politische Aktivistin

Die Frauen waren wichtige Akteure des Umsturzes und der revolutionäre Übergang wird stark von Frauen mitgetragen. Sie sind sehr aktiv.

In vielen der 2.000 neuen Organisationen, die nach der Revolution gegründet wurden, stehen an der Spitze Frauen. Frauen drücken sich auch stark in den Parteien aus. Sie haben die Quotierung der Wahllisten durchgesetzt.

Die tunesische Frau ist präsent, sie kämpft. Aber die partriarchalische Mentalität ist selbstverständlich immer noch sehr lebendig. In der Periode der gesellschaftlich Umgestaltung wird es sicherlich Irritationen und Rückwärtsbewegungen geben, aber ich bin sicher am Schluss kommen wir Frauen weiter.

Tunesien hat traditionell starke Frauenrechte und dadurch starke Frauen. Meine Generation ist mit diesen Rechten aufgewachsen, die Generation meiner Tochter sowieso.

In Tunesien – das ist ein entscheidender Unterschied zu anderen arabischen Ländern – trifft man aktive Frauen nicht nur in der Mittel- und Oberschicht, sondern auch auf dem Land. Und Frauen erwirtschaften in unserer Gesellschaft mehr als die Hälfte aller Familieneinkommen.

Die tunesische Frau ist aktiv, nicht resigniert und sie wird um ihren Platz im öffentlichen Leben kämpfen.

Yousra Ouanes ist Tunesierin und Korrespondentin der irakischen Al-Ittijah TV

Vor der Revolution war hier Diktatur. Keiner hat sich gerührt, keiner hat offen geredet. Seit der Revolution ist die Atmosphäre viel besser. Für mich ist das wie ein Traum.

Einige Wochen nach dem 14. Januar habe ich begonnen, Kopftuch zu tragen. Ich bin Muslimin und sehe das als meine Pflicht an. Ich habe schon vorher fünf Mal am Tag gebetet und immer lange Ärmel getragen. Ich achte die Vorschriften des Islam.

Unter der Diktatur von Ben Ali durfte man die Uni mit Kopftuch nicht betreten, man durfte dem Unterricht nicht bewohnen und auch keine Prüfungen ablegen. Das war sehr strikt.

Bei den Wahlen habe ich nicht an-Nahda gewählt, sondern eine andere Partei, deren politisches und wirtschaftliches Programm mich mehr überzeugt hat. Ein Kopftuch zu tragen, heißt noch nicht, an-Nahda-Anhänger zu sein, da haben viele Leute Vorurteile. Ich finde, an-Nahda ist doppelzüngig, das gefällt mir nicht.

Ich bin Tunesierin, Muslimin und trage Kopftuch, aber ich bin für die Freiheit. Wenn einer Alkohol trinken will, dann soll er das tun, und wer beten will, soll das können. Ich bin da nicht strikt. Ich denke, dass man sich für die neue Verfassung am Koran orientieren könnte, aber ohne ihn wörtlich zu nehmen, man muss ihn gemäß der tunesischen Gegebenheiten interpretieren.

Wenn ich einen religiösen Zweifel habe, dann versuche ich mir in Büchern und im Internet Klärung zu verschaffen, nicht bei einem Imam. Der kann sich schließlich auch irren.

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