Kommentar Ungarn: Der Sieger heißt Orbán

Ein Ende der Ära Orbán wurde schon mehrfach prognostiziert. Aber die Kritik aus Europa bewirkt in Ungarn vor allem eins: Einen Schulterschluss-Effekt.

Die Pro-Orbán-Demonstration vom letzten Samstag mag viele Schönheitsfehler gehabt haben: organisierte Transporte aus der Provinz und den Nachbarländern. Selbst von "Aufwandsentschädigungen" für Teilnehmer war die Rede. Trotzdem ist sie ein machtvoller Beweis dafür, dass der umstrittene Premier keineswegs am Ende ist.

Viel wurde schon darüber spekuliert, dass die Wirtschaftskrise Orbán das Genick brechen, dass der Gesichtsverlust durch den Canossa-Gang nach Straßburg den Anfang vom Ende der Ära Orbán einläuten werde. Schließlich musste der machtbewusste Rechtsnationalist eingestehen, dass seine Gesetze reparaturbedürftig sind, und gelobte rasche Erledigung.

Doch die Kritik aus Europa, die als Einmischung dargestellt und von vielen Ungarn auch so empfunden wird, bewirkte den Schulterschluss-Effekt, den Orbán sich gewünscht hat. Er hat erfolgreich die in Ungarn weit verbreitete Opfermentalität gefördert. Die Erinnerung an den Friedensvertrag von Trianon, durch den Ungarn 1920 zwei Drittel seines Territoriums verlor, wird durch neue Gedenktafeln wachgehalten. Der Rüffel aus Brüssel passt perfekt in das Bild vom ewig verfolgten und missverstandenen Volk.

Die Großdemonstration war also ein Fest für Orbán, dessen Stellung innerhalb des Machtapparats jetzt wieder gefestigt ist. Sollten sich einzelne Parteifreunde Hoffnungen gemacht haben, einen gedemütigten Premier vom Ross holen zu können, um selber die Staatsführung zu übernehmen, so müssen diese jetzt auf bessere Zeiten warten. Wahrscheinlicher ist, dass Leute, die mit dem autoritären Kurs Orbáns nicht einverstanden sind, eine neue, liberalere Partei gründen. Das wäre in der sehr beweglichen Parteienlandschaft Ungarns kein Novum.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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