Gesundheitsversorgung: Ein Krankenhaus stirbt

Eine Mischung aus Tatenlosigkeit, Klüngelei und wirtschaftlichem Versagen hat die Klinik im niedersächsischen Uslar in die Insolvenz getrieben. Die Geschichte eines angekündigten Niedergangs.

Solide ist nur das Gemäuer: Das Krankenhaus im niedersächsischen Uslar. Bild: Privat

USLAR taz | Fachwerkhäuser drängen sich an die Gassen von Uslar. Aber das ist auch schon das Einzige, was sich hier drängt. Jetzt, in der Vor-Vorsaison ist das Städtchen am Solling leer. Das Krankenhaus liegt mitten in der Stadt, in einem trutzigen Sandsteinbau aus dem 19. Jahrhundert. Bald könnte es auch leer sein. Am vergangenen Freitag hat der Betreiber Insolvenz angemeldet. Endlich, denn seit fast drei Monaten haben die Mitarbeiter kein Geld mehr bekommen. Vom Krankenhaus nicht. Und vom Arbeitsamt auch nicht. Jetzt kann Insolvenzgeld fließen, damit die Mitarbeiter erstmal über die Runden kommen.

„Ein Systemfehler“, sagt Richter Cornelius Kroeschell. Er soll über einen uralten Tarifstreit entscheiden. Seitdem überhaupt kein Geld mehr fließt, ist das alles längst Makulatur. Es ist Mittwochmorgen, zwei Tage vor der Insolvenz, 9.15 Uhr vor dem Arbeitsgericht Göttingen. Eben noch saß Betriebsrätin Marion Lütkenhaus auf der Zuschauerbank im Sitzungssaal 220. Die Hände an den Sitz geklammert, als wollte sie sich selbst daran hindern, aufzuspringen und ihrer Wut freien Lauf zu lassen.

Doch nun hält sie es nicht mehr aus: „Niemand redet mit uns“, sprudelt es aus der blonden Frau heraus. „Wie sollen wir unsere Rechnungen bezahlen? Hier gibt es Mütter mit vier kleinen Kindern. Zwei Monatslöhne ist er schon im Rückstand!“ „Er“, das ist Wilfried Gründel, der Geschäftsführer. „Er“, der schon seit Monaten nicht mehr mit seinen Mitarbeitern kommuniziert. „Er“, der es nicht einmal für nötig hält, persönlich vor Gericht zu erscheinen, sondern seine Anwältin vorschickt.

Betretenes Schweigen im Verhandlungssaal. Aufgereiht sitzen sie dort, die couragierten Frauen und Männer, die den Krankenhausbetrieb nun schon am Tag 74 nach der letzten Lohnzahlung aufrechterhalten. Krankenschwestern, Putzkräfte und Pfleger. Die Frauen und Männer wollen kämpfen, auch wenn es aussichtslos ist. „Weil es unser Recht ist“, sagt Lütkenhaus. Später wird sie noch ihren Dienst im Krankenhaus antreten. Andere Kollegen haben sich Urlaub genommen.

„Früher, da lief das Haus, die Betten waren ausgelastet und der Lohn kam pünktlich“, trauert eine Mitarbeiterin besseren Zeiten nach. Früher, das heißt vor 2006, bevor der Landkreis Northeim das Krankenhaus in Uslar abgab. Das Geld war knapp und staatliche Krankenhäuser schienen ein sperriges Modell von gestern zu sein. Der Betrieb eines Krankenhauses ist in ländlichen Regionen häufig ein Verlustgeschäft: Fachpersonal ist nur schwer zu bekommen, die Auslastung problematisch. Händeringend suchte der Landkreis nach einem Investor – und fand ihn im Klinik- und Rehabilitationszentrum Lippoldsberg, einer gemeinnützigen GmbH.

Warum ausgerechnet das kleine Rehabilitationszentrum Lippoldsberg, das in unmittelbarer Nähe zum Krankenhaus liegt, Interesse am Standort Uslar anmeldete – darüber wird viel spekuliert: Regionale Medien vermuten, dass man sich Zugang zum Gesundheitsmarkt verschaffen und Abrechnungsansprüche bei den Krankenkassen geltend machen wollte.

Eigens für den Betrieb des Standorts Uslar gründeten die Lippoldsberger das Gesundheitszentrum Solling-Oberweser, eine hundertprozentige Tochter. 21 Gesellschafter übernahmen jeweils eine Stammeinlage von 300.000 Euro. Die Gesellschafterliste liest sich wie das Who-is-Who der regionalen Politik. Drei Bürgermeister, Verwaltungsdirektoren, ein Landtagsabgeordneter und ein Landrat. Sogar ein 2006 verstorbener Göttinger Professor steht auf der Liste vom 5. 11. 2008, die vom Geschäftsführer Gründel unterzeichnet ist.

Dass sie persönlich die Stammeinlage bezahlt haben, bestreiten die Gesellschafter. Rüdiger Henne, Bürgermeister der Gemeinde Oberweser, kann sich das nur so erklären: „Bei dieser Summe handelte es sich um Buchgeld, das nur auf dem Papier existiert.“ Auffallend hoch ist die Zahl der Politiker, die als private Gesellschafter auftauchen. Viele haben keine Verbindungen zum Gesundheitssektor. Mindestens zwei Gesellschafter räumen ein, dass sie bereits seit mehreren Jahren nicht mehr an Gesellschafterversammlungen teilgenommen haben. Auch der Aufsichtsrat ist gespickt mit regionalen Polit-Größen, darunter mehrere Stadträte und Joachim Stünkel, Landtagsabgeordneter der CDU.

Wirtschaftlich liegt der Übernahme des Standorts Uslar offensichtlich eine Fehlkalkulation zugrunde. Die Jahresbilanzen weisen stets hohe Fehlbeträge aus. 2007 liegt das Minus bei rund 2,4 Millionen Euro. Geschäftsführer Gründel kündigte damals noch an, man werde Konzepte vorlegen, versuchte, in der Landespolitik Gelder loszueisen. Ein SPD-Landtagsabgeordneter erinnert sich daran, dass diese Ankündigungen nur „wenig Substanz“ hatten und spricht von „Luftschlössern“.

Gründel soll in dieser Zeit wie ein Patriarch geherrscht haben, sagen die Angestellten. Die Mitarbeiter fordert er zum Lohnverzicht auf. 2009 stimmen die 75 Mitarbeiter einem „Zukunftssicherungsvertrag“ mit erheblichen Einbußen zu. „Alles in der Hoffnung, dass wir unser Krankenhaus retten können“, sagt die Betriebsrätin Lütkenhaus. Immer wieder wendet sich die Belegschaft vergeblich an den Geschäftsführer. „Es gab ein klares Kommunikationsproblem“, bestätigt Aufsichtsratsmitglied Gerd Kimpel, für die CDU im Kreistag.

Betriebsrätin Lütkenhaus empfindet das als Ausrede. Auch der Aufsichtsrat habe nicht über die Situation informiert. „Wir haben uns wirklich alleingelassen gefühlt.“ Zahlreiche Briefe an den Aufsichtsrat blieben unbeantwortet. Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Julia Niekamp klagt: „Der Aufsichtsrat hätte viel früher eingreifen müssen.“

Es sieht schlecht aus für das kleine Krankenhaus. Nur wenige Landespolitiker sehen die Versorgungssicherheit bei einer möglichen Schließung in Gefahr. Es mehren sich die Stimmen, dass das Krankenhaus von den Uslarern ohnehin nur wenig angenommen wird. Dazu gehört auch Landrat Michael Wickmann, der selber lange Zeit Gesellschafter war.

Für Betriebsrätin Lütkenhaus werden hier Ursache und Wirkung vertauscht. Viele Uslarer seien verunsichert, weil das Krankenhaus so oft in den Schlagzeilen sei, sagt sie. Sie findet trotzdem: „Die vielen älteren Menschen in der Region brauchen diesen Ort. Wenn die mal krank sind, wer würde sie im 40 Kilometer entfernten Göttingen besuchen?“ Für Lütkenhaus, die so etwas wie das Gesicht der Mitarbeiter geworden ist, hat der Kampf um das Krankenhaus tiefere Wurzeln: Sie wurde in der Klinik geboren und auch ihre Mutter arbeitete bereits dort. Sie wird bleiben, bis zum Schluss.

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