Toter nach Nachbarschaftsstreit in Berlin: Zweifel an der Justiz

Der Mann, der einen Jugendlichen in Berlin erstach, bleibt auf freiem Fuß. Die Polizei meint, er habe aus Notwehr gehandelt. Die Familie des Toten ist misstrauisch.

Hunderte Menschen begleiten den Trauermarsch von Yusef El A. Bild: imago / Thomas Leble

BERLIN taz | Am Ende sind es rund 400 Menschen, die am Freitag zur Gedenkveranstaltung für Yusef El A. vor das Rathaus des Berliner Bezirks Neukölln gekommen sind, die meisten sind türkischer und arabischer Herkunft. Ein Vertreter der arabischen Vereine, der die Kundgebung organisiert hat, ruft zu „Vertrauen, Besonnenheit, Toleranz und Liebe“ auf. Das sei „die Basis für ein friedliches Zusammenleben“.

Die Mutter des 18-Jährigen, der vor zwei Wochen bei einem Handgemenge erstochen wurde, findet dagegen deutliche Worte. „Ich wünsche mir Gerechtigkeit“, sagt sie. Sie sei sehr enttäuscht und fühle sich in ihrer Trauer nicht ernst genommen, kritisiert sie, an die Adresse der Behörden gerichtet: „Wir wurden verurteilt.“

Für Unverständnis sorgt bei Angehörigen und Freunden des Opfers noch immer, dass der Mann, der Yusef El A. im Streit erstochen hat, weiter auf freiem Fuß ist. Die Justiz geht davon aus, dass der Täter in Notwehr gehandelt habe, als er den Jugendlichen dreimal mit dem Messer traf, und beantragte deshalb keinen Haftbefehl. Sven N., ein 34-jährigen Familienvater aus dem Kiez, erlitt bei der Auseinandersetzung einen Schädelbruch. Derzeit hält er sich mit Hilfe der Polizei woanders auf, weil er Vergeltung fürchtet.

Der Tragödie vorangegangen war ein banaler Streit auf einem Fußballplatz, der eskaliert war. Eine Gruppe von 20 Jugendlichen war daraufhin, mit Messern bewaffnet, vor das Haus eines Freunds von Sven N. gezogen und hatte diesen herausgefordert. Statt die Polizei zu rufen, ging Sven N. daraufhin selbst mit einem Küchenmesser vor die Tür. Als er dort von den Jugendlichen attackiert wurde, soll er um sich gestochen und dabei Yusef El. A. tödlich getroffen haben.

Der Fall erregte weit über Berlin-Neukölln hinaus Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Vor zwei Wochen, als der Jugendliche auf dem islamischen Friedhof der Sehitlik-Moschee in Neukölln beigesetzt wurde, hatten 3.000 Menschen von ihm Abschied genommen – es war der größte Trauerzug, den der Bezirk bis dahin gesehen hatte.

Seit dem Vorfall sind Sozialarbeiter, arabische Nachbarschaftsverbände und die Polizei im Bezirk sehr darum bemüht, die Wogen zu glätten. Auch der Vater des Opfers hatte an die Jugendlichen appelliert, von Vergeltungsgedanken abzusehen und der Justiz zu vertrauen. Zum Zweifel an der Entscheidung der Justiz trägt bei, dass das Opfer in seinem Viertel als freundlich und fürsorglich bekannt war: Der 18-Jährige war sogar als Streitschlichter engagiert, seine Mutter ist ehrenamtlich bei den Stadtteilmüttern aktiv.

Der mutmaßliche Täter hingegen war wegen gefährlicher Körperverletzung bereits vorbestraft und galt in seiner Neubausiedlung als aufbrausend. Die Polizei glaubt dennoch, dass Yusef El A. an dem Streit nicht ganz unbeteiligt war, und beruft sich auf Zeugen, die sagen, er habe ihn sogar noch „aufgepeitscht“. Die Ermittlungen sind aber noch längst nicht abgeschlossen. Mehr Gewissheit wird wohl erst das Gerichtsverfahren bringen.

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