Kinderbücher aus der Todeszelle

Am 13. Dezember 2005 soll der Autor Stanley Williams in den USA hingerichtet werden. Prominente ersuchen den kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger um Begnadigung

Ein Notizbuch ist stets in seiner Hand. Prägnante Sätze, die ihm durch den Kopf gehen, notiert er sofort, denn der Mann hat wenig Zeit. Er will noch schnell zwei Bücher fertig schreiben, bevor er am 13. Dezember hingerichtet wird. Es ist Stanley „Tookie“ Williams, der seit 1981 im kalifornischen Gefängnis San Quentin einsitzt, nachdem er wegen vierfachen Mordes verurteilt wurde. Seine Zelle, Nummer 1, gleich neben der alten Gaskammer, ist auch sein Arbeitszimmer, aus dem heraus er wegen seines angekündigten Todes eine Flut von Anrufen, Briefen und Besuchen organisiert.

Williams ist der berühmteste Insasse eines US-Todestraktes: Mörder und Gründer der berühmt-berüchtigten Crips Gang aus Los Angeles, fünfmal für den Friedensnobelpreis nominiert, Autor von zehn ausgezeichneten Jugendbüchern. Sein Schicksal hat, mehr als das anderer zum Tode Verurteilter, die Debatte um die Todesstrafe in den USA angefacht. Landesweit wägen Radiotalkshows, Zeitungsdebatten und Schüler in Ethik-Essays ab, ob Williams sterben soll oder nicht.

Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger willigte ein, Williams Anwälte am 8. Dezember zu treffen. Er ist der Einzige, der den prominenten Gefangenen noch begnadigen und die Strafe in ein „Lebenslänglich“ umwandeln kann. Sollte Schwarzenegger Nachsicht haben, wäre Williams der erste Todeskandidat, der in Kalifornien seit 38 Jahren begnadigt würde.

Dass der Mann mit der Bodybuilder-Statur sich mit seiner landesweit im Schulunterricht gelesenen „Tookie speaks out“-Bücherserie möglicher weise gesellschaftlich rehabilitiert hat, in der er Teenager unterhaltsam und klug vor dem Gang-Leben warnt, reicht vielen US-Bürgern nicht. Sie fordern Gerechtigkeit nach dem Auge-um-Auge-Prinzip. Der Staatsanwalt aus Los Angeles schrieb Schwarzenegger jüngst, dass Williams ein „kaltblütiger Mörder“ sei, dessen einstige Gang weiterhin die Stadt terrorisiere. Williams habe 24 Jahre Zeit zum Einspruch gehabt, nun sei es zu spät.

„Dieses missbilligende Individuum ist nur Teil eines Systems, das wünscht, dass ich sterbe“, sagt Williams dazu. Er nutzte die ersten sechs Jahre seiner Einzelhaft dazu, den Thesaurus auswendig zu lernen. Dann fing er an zu schreiben. Seine Memoiren, „Blue Rage, Black Redemption“ wurden sogar mit Jamie Foxx verfilmt.

Williams selbst hat stets bestritten, die Morde begangen zu haben. Die gegen ihn aussagenden Zeugen saßen damals selbst in Haft, einer zog seine Aussage Jahre später zurück. „Ich habe dem System nie vertraut“, sagt Williams, „und habe in meinem ganzen Leben nie Gerechtigkeit erfahren.“ 32.000 Protestierende, Schauspieler, Künstler und Intellektuelle, haben das Begnadigungsgesuch an Arnold Schwarzenegger unterschrieben.

ADRIENNE WOLTERSDORF