Ein Plädoyer: Keine Naturgettos, bitte!

Neue Nationalparks sind grüne Symbolpolitik. Sie sollen Rettung verheißen, sind mitunter aber kontraproduktiv. Viel wichtiger wäre Natur- und Landschaftsschutz in der Fläche.

Im Nordschwarzwald: Die Gesamtansicht muss stimmen. Bild: joexx/photocase

Deutschland im Jahre 2040. Die Energiewende ist geschafft, früher als geplant. Doch der Umstieg auf vermeintlich „grüne“ Energieträger hat seinen Preis: Deutschlands einst wegen ihrer Schönheit und Vielfalt gerühmte Kultur- und Naturlandschaften sind nicht mehr wiederzuerkennen.

In den Mittelgebirgen drehen sich tausende Windräder, in den Ebenen dehnen sich riesige Raps- und Maiswüsten für Biogas und Biokraftstoffe und großflächige Solarparks. Die Wälder werden intensiver denn je als Quelle für Biomasse genutzt. Nur in den wenigen Nationalparks und Naturschutzgebieten hat sich ein Stück Restnatur erhalten. Dort stauen sich jedes Wochenende die Autos der Erholungssuchenden.

Von „Inseln der Schönheit in einem Meer von Hässlichkeit“ sprach der bayerische Generalkonservator Egon Johannes Greipl. Er meinte damit die prächtig herausgeputzten Weltkulturerbestätten, in denen sich Horden von Touristen vorbeischieben, während in der Fläche der Denkmalschutz längst kapituliert hat.

Doch Greipls Verdikt könnte man genauso gut auf die Naturgettos münzen, allen voran die Nationalparks. Dort versucht man, auf kleinen und kleinsten Flächen eine längst verlorene „Wildnis“ zu reanimieren. Rund um diese Inseln entwickeln sich die Landschaften im Zeichen von Konsumschlamassel und Mobilitätswahn und, nicht zuletzt, durch den „Siegeszug der Erneuerbaren“, mehr und mehr zu einem semiindustrialisierten Einheitsbrei. Orte der Ruhe haben bereits heute Seltenheitswert.

Neue Nationalparks sollen Rettung verheißen. Vor allem dort, wo die Grünen mit am Regierungsruder stehen, werden neue Schutzgebiete konzipiert, oft gegen den erbitterten Widerstand der ortsansässigen Bevölkerung. In Baden-Württemberg hat man den Nordschwarzwald ausgeguckt, in Rheinland-Pfalz den Soonwald; in Bayern fordern Naturschützer seit Jahren einen Buchenwald-Nationalpark im Steigerwald und einen zweiten Alpen-Nationalpark im Ammergebirge. Nationalparks sollen als Touristenmagneten dienen und neues Geld und Aufschwung in entlegene Regionen bringen. Paradoxer Umweltschutz.

Die Forderung nach neuen Nationalparks ist oft nicht viel mehr als grüne Symbolpolitik. Ob Minireservate wie der hessische Kellerwald, der thüringische Hainich oder der Jasmund auf der Insel Rügen in Sachen Naturschutz wirklich etwas bringen, ist durchaus umstritten. Manchmal mag der Effekt sogar kontraproduktiv sein, wenn ehemals stille Landschaften im Zeichen der Nationalparkidee touristisch aufgerüstet werden.

Antibeispiel Yosemite-Nationalpark

Wohin das führen kann, zeigt sich nirgendwo deutlicher als im berühmten Yosemite-Nationalpark in den USA, dem Mutterland der Nationalparkbewegung. Dort wälzen sich lange Autoschlangen durch das pittoreske Haupttal. Einst wilde Tiere sind nur noch Fotomotive. Ihr natürliches Fluchtverhalten haben sie längst eingebüßt, was man bezeichnenderweise den „Nationalparkeffekt“ nennt.

Besser als weitere von Gaffern überschwemmte Naturgettos, die möbliert sind mit Nationalparkzentren, Infotafeln, Ruhebänken und einem Wegenetz zur „Besucherlenkung“, wäre es, den Natur- und Landschaftsschutz in der Fläche voranzubringen. Vor allem die Naturparks haben sich als großflächige, niedrigschwellige Schutzgebiete bewährt.

Sie werden von den Politikern allerdings finanziell stiefmütterlich behandelt. Oder man schafft sie de facto gleich ganz ab, wie es der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch getan hat. Zwei Jahre nach Gründung des Kellerwald-Nationalparks hob die hessische Landesregierung kurzerhand die großflächigen Landschaftsschutzgebiete in den Naturparks auf, die vielfältig strukturierte Landschaftsräume wie Odenwald oder Vogelsberg bislang vor totaler Zersiedelung und Überbauung bewahrt hatten. Die Schutzgebiete sind jetzt nur noch leere Hüllen.

Öffnung für Windkraftwerke

Auch Umweltschützern und Grünen scheint nicht viel an den traditionsreichen Naturparks zu liegen. In Bayern hat sich der einflussreiche Bund Naturschutz dafür ausgesprochen, die Naturparks, wenn auch nur unter bestimmten Voraussetzungen, für Windkraftwerke zu öffnen.

Muss sich die Umweltbewegung wirklich an neuen, in der Bevölkerung kaum durchsetzbaren Nationalparks abkämpfen und wertvolle Kräfte vergeuden? Besser wäre es, noch viel stärker als bisher auf eine Ökologisierung der Land- und Forstwirtschaft zu drängen. Der Gesang einer Feldlerche im Frühling sollte nicht nur denen vergönnt sein, die ins Auto steigen und sich, durch ausufernde Speckgürtel und Energielandschaften und unter Ausstoß beträchtlicher Mengen an klimaschädlichem CO2, zur nächsten Schönheitsinsel durchkämpfen.

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