Interview: 10 Jahre "Ex-Berliner": "Wir sind dem Hungertod entronnen"

2002 gründete Nadja Vancauwenberghe den "Exberliner", Berlins erstes Magazin auf Englisch. Ein Gespräch über ein ziemlich riskantes Projekt.

Berlin verstehen - auf Englisch: das will das Magazin "Exberliner" Bild: dapd

taz: Frau Vancauwenberghe, was haben Sie in den letzten zehn Jahren mit Ihrem Magazin „Exberliner“ erreicht?

Nadja Vancauwenberghe: Wir haben die Arbeitslosenzahlen in Berlin entlastet, indem wir sechs Angestellte und eine Armee von Freelancern beschäftigen (lacht).

Und im Ernst?

Die Chefredakteurin: Nadja Vancauwenberghe wurde 1970 in Paris geboren und studierte in Paris, London und Moskau, wo sie dann auch als AFP-Korrespondentin arbeitete. 2002 gründete sie mit Village Voice-Redakteurin Ioana Veleanu und Deutsche Welle-Redakteur Maurice Frank den Berliner.

Das Magazin: Das erste englischsprachige Magazin für Berlin benannte sich nach einem Rechtsstreit um in Exberliner, eine Anspielung auf das "Expatriate"-Gefühl vieler nichtdeutscher Berliner. Es erscheint mit 20.000 Stück Auflage und wird von Mitarbeitern aus aller Welt in einem Plattenbau in Mitte produziert. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem zehnjährigen Bestehen des Exberliners.

Die Party: Wurde verschoben. Eigentlicht sollte sie am kommenden Sonntag stattfinden. Jetzt ist Ende Juni im Gespräch.

Wir waren anfangs nur drei verrückte Journalisten, die keine Ahnung von Ökonomie hatten. Das Geld war knapp, wir dachten, wir wären ein „Projekt“. Wir glaubten nicht, dass wir den nächsten Winter überleben. Nur knapp sind wir dem Hungertod entronnen! Aber dann sind wir immer besser geworden. Ich bin so stolz auf uns, denn wir haben ein unabhängiges Labor für Journalisten aus aller Welt in Berlin geschaffen, die daran glauben, was sie machen. Es war ein riskantes Abenteuer, aber wir sind das englischsprachige Magazin in Berlin geworden, das größte und einzige erfolgreiche in Deutschland.

Und was bedeutet das für Sie persönlich?

Ich bin der lebende Beweis dafür, dass man etwas erreichen kann, ganz egal, was die Leute sagen. Man muss sich nur den Arsch abarbeiten, und zwar nicht für den Ruhm, sondern aus Leidenschaft. Natürlich muss man auch ein bisschen verrückt sein!

Was hat sich in Berlin in den letzten zehn Jahren aus Ihrer Sicht am meisten verändert?

Das ist sehr seltsam. Wir haben natürlich anlässlich unserer Sonderausgabe zum zehnten Geburtstag in der Redaktion viel darüber diskutiert. Als langjährige Berlinerin gehe ich genauso spazieren und schimpfe über die Veränderungen wie alle anderen auch, über die schrecklichen neuen Gebäude und so weiter. Aber eigentlich finde ich, dass sich gar nicht so viel verändert hat. Berlin ist immer noch sehr weit weg von Städten wie London, Barcelona oder Paris.

In Ihrer Geburtstagsausgabe widmen Sie sich ein paar Ereignissen, die die Berliner 2002, im Jahr der Gründung des „Exberliners“, beschäftigt haben. Einer der Texte handelt vom ersten Starbucks, der 2002 hier aufgemacht hat.

Das ist ein gutes Beispiel, das nicht so viel passiert ist – jedenfalls nicht so viel Negatives, wie immer behauptet wird. Kein Mensch geht bis heute zu Starbucks – vielleicht bis auf ein paar Touristen. Es gibt nicht allzu viele Filialen. Das einzige, was Starbucks bewirkt hat: Sie haben die Kaffeekultur in dieser Stadt beflügelt. Überall gibt es kleine Coffee Shops und überhaupt viel mehr gute Cafés als früher.

Also kein Grund zu Meckern?

Oh doch. Was mich vielleicht am meisten schockiert hat war das Verschwinden des Palastes der Republik. Meine Tochter ist jetzt neun Jahre alt. Wir waren am allerletzten Tag der Abrissarbeiten dort, im Dezember 2008. Heute ist meine Tochter neun Jahre alt und kann sich nicht mehr daran erinnern. Für sie ist es, als hätte es den Palast nie gegeben. Da wurde ein Stück Geschichte ausgelöscht. Es wurde etwas zerstört, das den speziellen Charme Berlins ausmacht: Dass da mitten in einem sehr klassischen Umfeld so ein Klotz steht.

Da wären wir also auf der der Kehrseite der Gentrifizierung gelandet. Sehen Sie diese Seite als Chefredakteurin eines Magazins überhaupt, das für relativ wohl situierte Expatriates gemacht wird?

Sie wären überrascht, wie viele coole Leser wir unter anderem haben, die auf Hartz IV sind! Es gibt noch immer viele Leute in Berlin, die in erstaunlich billigen Wohnungen leben.

Und es gibt viele, die vertrieben werden.

Ja, wegen der Leute, die bereit sind, für ein WG-Zimmer in der Sonnenallee 400 Euro im Monat auszugeben.

Haben diese Leute Schuld an der Gentrifizierung?

Nein, es ist die Schuld der Politik. Der Senat hat Berlin ausverkauft. Die Politiker interessieren sich nicht für Alternativen zu dem, was Städte wie Paris so gemacht hat, wie sie sind.

Haben Sie also nicht das Gefühl, in einer Blase zu arbeiten und für Leute zu schreiben, die ebenfalls in dieser leben?

30 Prozent unserer Leser sind Deutsche. Es gibt viele Blasen in Berlin: Zum Beispiel kenne ich alte Westberliner, die nach wie vor noch nie in Ostberlin waren. Aber die meisten Blasen hier sind nicht so hermetisch.

Sie finden diese Blasen also unbedenklich?

Eine finde ich schon beängstigend, und zwar die Blase, in der meine Tochter lebt. Einmal stellte sie auf einer Geburtstagsfeier ein Mädchen mit den Worten vor, sie sei sie einzige, die sie kennt, die nur Deutsch spricht. Das war nicht böse gemeint, aber für sie war das etwas Besonderes. Dabei geht meine Tochter nicht einmal auf eine teure Schule, sondern in die Europaklasse einer staatlichen deutschen Schule. Alle Freunde meiner Tochter kommen aus kreativen, kultivierten Familien – auch wenn sie nicht immer reich sind. Für sie ist Berlin ein nettes, kleines Paradies. Das macht mir Angst. Ich habe lang in einer sehr harschen Stadt gelebt: in Moskau.

Wie wird es weiter gehen mit dem „Exberliner“?

Es ist seltsam, so lange Boss von etwas zu sein. Man muss aufpassen, dass man nicht komisch wird. Am Anfang dachten wir, nach zehn Jahren wäre Schluss. Das ist nun vergessen.

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