Mode-Ausstellung in Berlin: Aufgeklärte Stoffe

Feinste Stöffchen im Deutschen Historischen Museum: Die Ausstellung „Fashioning fashion“ dokumentiert die Entstehungsgeschichte der Mode.

Europa aufgeklärt um 1790: Seide und Baumwolle in Atlas- und Leinwandbindung. Bild: 2010 Museum Associates/LACMA

Man höre und staune: Die Aufklärung ist zu Gast in Berlin. Eine der Ausstellungen, die zurzeit die gloriosen Errungenschaften dieser umwälzenden Epoche darstellt, ist fast komplett aus dem Los Angeles County Museum of Art aus- und für drei Monate ins Deutsche Historische Museum (DHM) nach Berlin gezogen. Auch die Dauerausstellung des DHM widmet sich in diesem Sommer ganz der Mode.

Außergewöhnlich an dieser umfangreichen Schau aus L. A. dürfte vor allem die Zusammenstellung der über einhundert kostbaren Stücke sein, die das gesamte Repertoire vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg präsentieren. Auch fremdländische Einflüsse werden dargestellt, etwa anhand eines Hofkleids der portugiesischen Königin Maria II. von 1845 oder eines französischen Turbans mit Federstaffage.

Die Ausstellungsstücke zeigen dementsprechend eindringlich die Revolutionierung des Körperbilds. Da die Schau um 1700 ansetzt, erzählt sie auch die Kapitel der großen Zeit des europäischen Adels, in der das Schmuckhafte der Mode kultiviert wurde. Sie konnte sich dem Überbordenden hingeben – dieser materielle Überfluss erschuf die Schönheit der Künste und der Mode, auf denen der heutige Ästhetikbegriff gründet.

Diesem Überfluss an Stoffen, Farben und Formen, kunstvollen Details und verspielter Pracht kann man sich kaum entziehen. Die Raumgestaltung durch den belgischen Szenografen Bob Verhelst unterstreicht die Konzentration auf die Kleidungsstücke, die somit nicht aus L. A. eingeflogen scheinen, sondern aus einem Universum, das keinerlei Beschränkungen kennt. Im Bann dieser Umgebung verdeutlicht sich der Kontrast zum Bekleidungszeitgeist von heute, der nur noch das Praktische kennt.

Selbstbewusste Schnürungen

So wie diese Zeit die Gesellschaft neu formte, so formten neuartige Techniken wie aufwendige Schnürungen, Nähte und Bindungen den Körper selbstbewusst. Das alltägliche Korsett etwa unterstrich den neuen, stolzen Gang eines sich entwickelnden Bürgertums. Insbesondere der dramatisch stilisierte Aufputz der Ausstellungsstücke in Form von Posamenten, Seidenstickereien oder ornamentalen Musterungen zeigt auf, wie die gesellschaftliche Revolutionierung des 18. Jahrhunderts das Menschenbild veränderte und die Geschlechter erfand.

Die objektivierte Arbeitskraft Mensch verwandelte sich zu einem freigeistigen Abbild eines flanierenden Freizeitsubjekts, das spielerisch mit den eigenen Formen und denen der floralen Natur experimentierte, und so seine Träume zum Ausdruck brachte.

Die Kraft der Illusion war die Energie der Aufklärung. Der Körper diente nicht mehr nur der Plackerei, sondern der selbstbestimmten Inszenierung. Durch die Industrialisierung und den Zerfall der Stände war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Ars Vivendi auch nicht mehr nur den oberen Klassen vorbehalten. Und simple Erfindungen wie etwa die Nähmaschine veränderten nicht nur die Textilherstellung, sondern auch das äußere Erscheinungsbild der zivilisierten Gesellschaft.

Interessanterweise begegnet man in „Fashioning fashion“ aber auch und gerade dem modischen Kontrast zwischen den Fraktionen der Aufklärung. Während sich die großartigen französischen Roben (vor und nach 1789) mit aufgepolsterter Hüfte und beschwingtem Dekolleté auf die malerische Bildhaftigkeit der florentinischen Renaissance des Hochadels aus dem späten Mittelalter beziehen, verweisen die schlichteren Kleider aus dem England des 19. Jahrhunderts bereits auf den reaktionären Trend zur Renaturalisierung des Körpers.

Dieser ästhetische Bruch mit dem Fortschritt setzte sich bekanntlich im deutschen Lebensreformismus, dem körperfeindlichen Suffragettentum und – theoretisch – dem „Unbehagen an der Kultur“ (Freud) fort. Das Ideal der kunstvollen Künstlichkeit, wie es die frühen französischen Drapagen, Korsetts und Puffärmel vermitteln, wurde verdrängt von einer praktisch-sportlichen Bekleidung aus England, reduziert und androgyn. Grobere Baumwolle und schlichtes Wolltuch ersetzten Seide und Satin. Über der Aufklärung zogen die dunklen Wolken der Dialektik und der Antimoderne auf.

Wohl nicht zufällig endet die Ausstellung um 1915. Der Erste Weltkrieg war der erste große Bruch mit dem Fortschritt – und damit deutete sich das Ende der Mode als Frucht der Aufklärung an.

Das Manko von „Fashioning Fashion“ dürfte ihr Eurozentrismus sein. Zwar gab es die Aufklärung nur in Europa, aber der modische und stoffliche Reichtum entwickelte sich zeitgleich auch in Indien, in Asien und im Vorderen Orient. Und im Gegensatz zur modischen Belanglosigkeit des heutigen Europa orientieren sich nicht nur die neuen Mittel- und Oberschichten in diesen Regionen gerade an der glanzvollen Veredelung des damaligen Europa. Jetzt fehlt nur noch eine Globalisierung der Aufklärung. Aber wenn sie es schon bis Berlin geschafft hat …

Noch bis zum 29. Juli, DHM Berlin, Katalog, Prestel, 39,90 Euro
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