„Im Grunde ist das dem Staat ja recht“

GESUNDHEIT Die Gynäkologin Jessica Groß vom Büro für medizinische Flüchtlingshilfe erklärt, warum auch Schwangere mit gültigen Papieren Hilfe benötigen – und wie die Behörden ihre Verantwortung abwälzen

taz: Frau Groß, das Medibüro ruft für Freitag, 17 Uhr, zu einem „Schwangeren-Flashmob“ auf dem Alexanderplatz auf. Was steckt dahinter?

Jessica Groß: Wir nehmen den Frauentag zum Anlass, auf die Situation von Schwangeren ohne Papiere aufmerksam zu machen. Für viele illegalisierte Frauen ist es ein großes Problem, Schwangerschaft und Geburt zu meistern. Da sie keine Krankenversicherung haben, können sie nicht für Voruntersuchungen zum Arzt gehen oder sich im Krankenhaus zur Geburt anmelden.

Und wie helfen Sie ihnen?

Wir versuchen Voruntersuchungen zu ermöglichen und helfen, einen Krankenhausplatz zu finden. Mittelfristig versuchen wir die Bedingungen für papierlose Frauen zu verbessern. Wir haben erreicht, dass Schwangere für je drei Monate vor und nach der Geburt in Berlin eine Duldung bekommen können. Die Umsetzung ist aber schwierig.

Kein Krankenhaus darf eine Schwangere in den Wehen abweisen. Warum ist Ihre Arbeit dennoch so wichtig?

Ohne Voranmeldung wissen die Ärzte nichts über mögliche Komplikationen, das kann für Mutter und Kind gefährlich sein. Im Grunde sind nicht die Krankenhäuser das Problem. Die können die Abrechnungen für medizinische Versorgung Illegalisierter an die Sozialämter weiterleiten, die theoretisch dafür aufkommen müssten, denn auch Papierlose haben in Deutschland ein Recht auf medizinische Versorgung. Aber die Sozialämter lehnen über 90 Prozent der Anträge zur Kostenübernahme ab. Denn das Krankenhaus muss die Bedürftigkeit der Patienten nachweisen. Für Menschen ohne Papiere, Konto und Mietvertrag ist das natürlich sehr schwierig.

Behandeln Sie nur papierlose Migranten?

Nein. Ein großes Problem haben Migranten etwa aus Rumänien und Bulgarien. Als EU-Bürger sind sie nicht illegal in Deutschland, aber auch nicht versichert.

Warum?

Ihnen ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verwehrt, sie können also nicht in die gesetzlichen Krankenversicherung einzahlen, und oft genug hatten sie auch in ihren Heimatländern keine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Damit entfällt ihr Anspruch auf eine Krankenversicherung in Deutschland.

Dass Sie Illegalisierte versorgen, ist bekannt – stand noch nie die Polizei vor Ihrer Tür?

Nein. Im Grunde ist dem Staat unsere Arbeit ja recht, er fühlt sich nicht mehr verantwortlich. Es ist absurd, wenn auf öffentlichen Internetseiten, beispielsweise vom Gesundheitsamt, auf unser Büro verwiesen wird. Wir wollen kein Parallelsystem aufbauen, sondern erreichen, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem bekommen.

INTERVIEW: CHARLOTTE LANGENKAMP