Nicht mit uns!
Deutschland

Studentenprotest im Vergleich: Hier geht es nur ums Geld, anderswo um alles

Die Studierenden sind brav. So sagt es die jüngere Theorie über die zersplitterten, verkleinbürgerlichten und depolitisierten Weltbilder der Ego-Taktiker. So beweist es auch die Praxis. In den Seminaren ertragen die Studierenden geduldig verkorkste Studienbedingungen. Solange sie Scheine bekommen, solange Aufstieg möglich scheint. Aber man weiß nie, ob ihnen der Geduldsfaden plötzlich reißt. Der Student, das unberechenbare Wesen. Die Studierendenschaft, ein schlafender Riese, zwei Millionen Menschen hoch.

In Berlin gibt’s wieder Vollversammlungen, zu denen 700 Studis kommen. Auch in Düsseldorf sind sie wütend, sogar im kleinen Bamberg malen sie Transparente. Zusammengezählt kommt man auf zehntausend Protestler. Und was wollen die Studis? Eine Mehrheit dürfte inzwischen die Einführung von Gebühren hinnehmen – wenn es sie bloß selber nicht trifft. Aber wehe, wenn Professoren oder Minister sie arrogant behandeln. Wenn Studierende ihre Ideale und den Respekt vor ihren Leistungen verletzt sehen, sind sie nur noch schwer auszurechnen. Dann werden sie, was sie sonst nicht sind: junge Intellektuelle, die ans Ganze denken. Und an der Schwelle zum Politischen stehen.

CHRISTIAN FÜLLER

Libanon

Nach der Ermordung des libanesischen Präsidenten Rafik al-Hariri am 14. Februar waren es StudentInnen, die auf dem Märtyrerplatz im Zentrum ein Protestcamp errichteten. Auf Spruchbändern forderten sie die Aufklärung des Hariri-Mordes und den Abzug Syriens. Sie verteilten Flugblätter und riefen per SMS zu Demonstrationen auf. Mit Slogans wie „Syria out now“ forderten StudentInnen auf einer Großdemonstration im März die Unabhängigkeit des Landes.

In Syrien wurden StudentInnen der staatlichen Universitäten gemeinsam mit Soldaten und Schülern von der Regierung zu Großdemonstrationen aufgerufen, um Syriens Ruf zu verteidigen. Solidaritätsbekundungen mit den libanesischen Kommilitonen wurden gewaltsam unterbunden, vor den Toren der Universität standen Soldaten mit Kalaschnikows.

Auch im Libanon war die Situation zu Beginn der Proteste riskant: Schon 2000 hatten Studenten von Privatuniversitäten gegen die syrische Besatzung protestiert. Sicherheitskräfte gingen massiv gegen die Protestierenden vor, Gefängnisstrafen von mehreren Jahren wurden verhängt. Seitdem herrschte auch an den Privatunis politische Zensur. KERSTIN SPECKNER

Österreich

Als die schwarz-blaue Regierung im Winter 2001 Studienbeiträge einführte, gingen Studierende deshalb auf die Barrikaden – und auch gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ.

Vier Jahre später müssen Studis in Österreich immer noch 726 Euro im Jahr zahlen. Die Demonstrationslust ist ihnen jedoch vergangen. „Wir sind immer noch gegen Studienbeiträge“, sagt Barbara Blahe, Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft. „Aber die Studien- und Protestkultur hat sich geändert, auch weil 80 Prozent der Studierenden nebenbei arbeiten müssen.“

Über mangelnde Bewerber können die Unis nicht klagen. Zwar sank die Zahl der Studierenden nach Einführung der Gebühren zunächst um 20 Prozent – seitdem steigt sie kontinuierlich.

Seit der EU-Gerichtshof im Juli die Zugangsregel für ausländische Studierende aufhob, dürfen diese auch in Österreich studieren, ohne in ihrer Heimat einen Studienplatz nachzuweisen. Sofort bewarben sich viele Deutsche dort, um NC-Beschränkungen zu umgehen. Daraufhin führten einige Unis Zugangsbeschränkungen in acht Fächern ein. Dagegen gingen im November erneut Studenten auf die Straße. Es war eine kleine Demo.

MICHAEL AUST

Weißrussland

Zu wenig bezahlbare Wohnheimplätze, zu wenig Unterstützung vom Staat, ein nur teilweise kostenfreies Studium – auf den ersten Blick ähneln die Sorgen der weißrussischen Studierenden denen hierzulande. Und doch ist in Belarus alles anders. Protestierende Kommilitonen riskieren Studienplatz, gute Noten und manchmal sogar ihre Freiheit. Erst vor wenigen Monaten hat Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko fünf demonstrierende Studenten verhaften lassen. Der privaten und unbequemen Europäischen Humanistischen Universität in Minsk hat er kurzerhand den Mietvertrag kündigen lassen. Dutzende Studierende eines internationalen Austauschprogramms bekamen daraufhin von europäischen Universitäten Asyl – darunter an der Viadrina in Frankfurt (Oder).

Studenten, die beim Protest erwischt werden, lässt Lukaschenko, der sich kommendes Jahr zur Wiederwahl stellt, in Schnellgerichtsverfahren aburteilen. Exmatrikulationen sind Alltag.

Einschlägig bekannte Protestler haben in der Konsequenz Schwierigkeiten, einen Wohnheimplatz und später einen Job zu finden. Der Lehrplan enthält reichlich ideologische Pflichtveranstaltungen.

ASTRID MARXEN