Kommentar EU-Zukunftspläne: Vision Europa

Europa kann nur mit mehr Bürgernähe und Demokratie lebenswerter gemacht werden. Dem populistischen Nationalismus muss die Stirn geboten werden.

Von Helmut Schmidt stammt bekanntlich der Satz, wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, nicht aber in die Politik. Von diesem – unsinnigen – Spruch haben sich die elf Außenminister der Europäischen Union nicht beeindrucken lassen. Im Gegenteil. In ihrem Bericht zur „Zukunft Europas“ legen sie Gedanken und Vorschläge auf, die die politische Union endlich aus der Schockstarre der Finanz- und Schuldenkrise befreien und wieder zum politischen Akteur auf der Weltbühne machen sollen.

Das Papier mischt dabei eine Reihe von kurzfristigen pragmatischen Reformansätzen mit langfristigen visionären Zielen, die unter der weitläufigen Parole „Mehr Europa“ schon Eingang in die Debatte gefunden haben. Statt pragmatischer Wurstelei, wie sie bisher in der Krise vorherrschte, sollen jetzt visionäre Konzepte das Vertrauen der EU-Bürger neu gewinnen.

Man mag einwenden, dass Papier geduldig ist und viele Projekte irgendwann sang- und klanglos untergehen werden. Dennoch ist es einfach wohltuend, einmal zu lesen, dass sich verantwortliche EU-Politiker nicht nur Gedanken über die Rettung von Banken oder den Krümmungsgrad der Gurke machen, sondern um die Demokratisierung der Institutionen, um die Stärkung des Europäischen Parlaments und die Beteiligung der Bürger.

So sollen die Fraktionen je einen europäischen Vorsitzenden haben, der als Gesicht in ganz Europa bekannt wird. Der Kommissionspräsident soll vom Volk direkt gewählt werden. Längst überfällig, aber gut so.

Die Botschaft ist klar: Europa muss attraktiver werden, mehr Bürgernähe, mehr Demokratie wagen und ein kontinentales Selbstwertgefühl schaffen, das dem populistischen Nationalismus, der gerade eine Blütezeit erlebt, Paroli bietet.

Das würde Europa in der Tat lebenswerter machen. Der Plan, den Kontinent durch einen „Europäischen Grenzschutz“ noch strikter abzuschotten, passt dagegen nicht in das Bild eines offenen, agierenden Europas.

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61, ist Redakteur im Ausland und gelegentlich Chef vom Dienst. Er arbeitet seit 1995 bei der taz, für die er schon in den 80iger Jahren geschrieben hat. Derzeit ist er zuständig für die Europäische Union und Westeuropa. Vor seiner langjährigen Tätigkeit als Blattmacher und Titelredakteur war Georg Baltissen Korrespondent in Jerusalem. Noch heute arbeitet er deshalb als Reisebegleiter für die taz-Reisen in die Palästinensische Zivilgesellschaft. In den 90iger Jahren berichtete er zudem von den Demonstrationen der Zajedno-Opposition in Belgrad. Er gehörte zur ersten Gruppe von Journalisten, die nach dem Massaker von 1995 Srebrenica besuchte.

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