Tourismus in Berlin: Daten aus der Luft fischen

Zwei Forscher untersuchen, wie weit Berlin vom Internet durchwirkt ist. Sie glauben: Tourismus und Mobilität werden sich sehr bald grundlegend verändern.

Wird immer wichtiger in Berlin: Internet! Bild: dapd

Jeanette Hofmann und Florian Fischer geht es nicht um das Brandenburger Tor. Die Wissenschaftler stehen mit den Rücken zur Sehenswürdigkeit, vor dem Tor beobachten sie Touristen, die posieren, lächeln und fotografieren. Danach wischen sie auf ihren Smartphones hin und her. Für die beiden Beobachter ist der letzte Teil der wichtigste.

„Hier schwirren überall Daten herum“, sagt Fischer, als würden Datenpakete wie Seifenblasen durch die Torbögen schweben. Er ist Geograf und forscht am Alexander-Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, das nach seinem Geldgeber kurz „Google-Institut“ genannt wird. Hofmann ist Politikwissenschaftlerin, untersucht seit zwei Jahrzehnten das Internet und ist Gründungsdirektorin des Instituts.

Hofmann und Fischer machen einen Spaziergang, sie wandern durch Berlin als smart city. Darunter ist eine Stadt zu verstehen, die komplett vom Internet durchwirkt ist und in der die Grenzen zwischen digitaler und realer Welt aufgehoben sind. Etwa durch die Verbreitung von Smartphones: Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom besitzt bereits jeder Dritte ein solches erweitertes Handy.

Beide Wissenschaftler haben kürzlich ein Forschungsprojekt namens „Smart City“ gestartet. Weil es so abstrakt klingt, zeigen die beiden Forscher am Untersuchungsobjekt, wie und wo das Internet die Stadt verändert und die Stadt das Netz. Fischer hat auf seinem Smartphone eine App – also ein kleines Programm – gestartet: nun ist auf dem kleinen Bildschirm eins zu eins der Pariser Platz zu sehen, wie auf dem Display einer Digitalkamera. Nach und nach poppen weiße Fenster auf: Sie zeigen Informationen und Nutzerbewertungen zu Sehenswürdigkeiten, Geschäften und Cafés an – auch in Nebenstraßen und Hinterhöfen. „Das Internet hebt die Grenzen der Stadt auf“, sagt Fischer. Touristen könnten sich so viel selbstverständlicher in einer Stadt bewegen, ergänzt Jeanette Hofmann.

In San Francisco wird bereits eine App für Touristen entwickelt, die auf einer Karte anzeigt, wo es Menschenanballungen gibt – so lassen sich interessante Ziele ausmachen. Das führt Touristen schnell an Orte, die nicht auf Tourismus vorbereitet sind oder als Geheimtipp gelten. Das Bekanntwerden und Beliebtwerden solcher Orte wird durch das Internet stark beschleunigt. „Wahrnehmung und Orientierung in der Stadt verändern sich schon jetzt“, sagt Fischer. Die Menschen würden künftig weniger schlendern oder spontan handeln, sondern stärker organisieren und planen. Die Folge: „Neue Grenzen werden in die Stadt eingezogen.“ Orte und Geschäfte, die es nicht im Netz gäbe, würden für eine bestimmte Klientel nicht mehr existieren. „Tourismus ist ein Bereich, wo sich das besonders deutlich zeigt“, sagt Fischer.

Neben dem Tourismus wollen die beiden Forscher einen weiteren Bereich untersuchen, der zunehmend mit dem Netz verschmilzt. „Irgendwo hier muss es stehen“, sagt Hofmann. Sie hat ihre Sonnenbrille abgenommen, das Smartphone dicht vors Gesicht genommen und folgt einem blauen Punkt auf der virtuellen Karte. Sie sucht den Standort eines Carsharing-Autos – also eines Autos, das gemeinschaftlich genutzt und übers Internet gebucht werden kann. Die beiden Forscher glauben, dass sich die Mobilität in Berlin durch die netzbasierte Anwendungen wie Carsharing stark verändern wird. „Unsere Fahrgewohnheiten und die Autonutzung wandeln sich. Ein Auto ist kein privates Gut mehr, sondern ein kollektives“, sagt Hofmann.

Das könne weitreichende Folgen haben. Es bräuchte vermutlich deutlich weniger Parkplätze in der Stadt, sagt die Forscherin. Auch stelle sich die Frage, inwieweit private Anbieter von Carsharing-Unternehmen öffentlichen Raum als Geschäftsfläche nutzen dürften. „Die Autos stehen nicht zum Gemeinwohl herum“, ergänzt Fischer. Nicht profitable Quartiere wie beispielsweise Marzahn oder Hellersdorf wären wohl nur in geringem Maß mit Carsharing-Diensten versorgt, sagt Fischer voraus. Die Senatsverwaltung müsste dafür sorgen, dass möglichst viele Bürger diese Art der Mobilität nutzen können.

Fischer und Hofmann laufen, die Köpfe über die Bildschirme ihre Telefone gebeugt, zurück zum Brandenburger Tor. Sie fallen in der Menge kaum auf. Dann berichtet Hofmann noch von einer Entwicklung, die irgendwann zwangsläufig in der smart city entstehen wird: „Es wird Orte und Treffpunkte geben, die mit Absicht aus dem Internet ferngehalten werden. Damit sie bleiben können, wie sie jetzt sind.“

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