Massaker an Algeriern in Paris: Kein Ruhmesblatt für die Polizei

Präsident Hollande würdigt die algerischen Opfer eines Massakers aus dem Jahr 1961. Rechte sind empört. Für rechtliche Konsequenzen ist es zu spät.

Präsidiales Kommuniqué: Mindestens 200 Tote bei blutiger Repression. Bild: reuters

PARIS taz | Ein kurzes Kommuniqué des französischen Staatspräsidenten François Hollande entfacht eine alte Polemik über ein Massaker, das vor 51 Jahren mitten in Paris stattgefunden hatte und seither von der Staatsführung mit beschämtem Schweigen übergangen wurde.

„Am 17. Oktober 1961 wurden Algerier, die für das Recht auf Unabhängigkeit demonstrieren wollten, bei einer blutigen Repression getötet. Diese Fakten anerkennt die Republik (heute) mit Klarheit“, schreibt Hollande, der sich als erster Präsident so unvoreingenommen zu diesen Vorfällen äußert, die kein Ruhmesblatt für den französischen Staat und dessen Polizei sind.

Mindestens 200 Algerier wurden bei der äußerst brutalen Niederschlagung eines nicht bewilligten, aber friedlichen Marsches aus den Vororten ins Zentrum erschlagen, erschossen oder ertränkt. Laut Zeugen wurden zahlreiche Demonstranten von Polizisten in die Seine geworfen.

Noch Wochen später wurden am unteren Flusslauf – meistens nie identifizierte – Wasserleichen angeschwemmt. Diese Opfer ohne Namen, deren Zahl Gegenstand von Spekulationen und Polemiken ist, hat Hollande ebenfalls erstmals gewürdigt.

Proteste gegen Nestbeschmutzer

Bisher hatte jeder Versuch, dieses Kapitel der gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit Algeriens aufzuarbeiten, in Paris empörte Proteste ausgelöst. So wurde der Historiker Jean-Luc Einaudi, der 1999 in seinem Buch „La Bataille de Paris“ viele bis dahin verheimlichte Details, Zeugenaussagen und Dokumente publiziert hat, wie ein Nestbeschmutzer kritisiert.

Geklagt wegen übler Nachrede hatte gegen ihn ausgerechnet der Expolizeipräfekt von Paris, Maurice Papon. Dieser war 1998 aufgrund seiner Rolle bei der Deportation von 1.400 Juden aus der Region Bordeaux 1943/44 bereits wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden.

Sein Vorgehen von 1961 rechtfertigte Papon mit Notwehr wegen der Spannung und der Gewalt, die damals, sechs Monate vor dem Waffenstillstand im Krieg um die algerische Unabhängigkeit, in der Hauptstadt herrschte. Das von der Regierung verhängte Ausgehverbot für Algerier habe er mit Billigung von General de Gaulle und Innenminister Messmer nur durchgesetzt.

Allerdings hatte er seine Untergebenen aufgestachelt, „für einen Schlag werden zehn Schläge zurückgegeben“, und versichert, er decke sie, was immer passiere. Die Repression war dann völlig unverhältnismäßig.

Staatsbesuch in Algerien steht bevor

Die rechte Opposition ist auch heute der Ansicht, der französische Präsident sei mit seiner Erklärung aus der Rolle gefallen und er stelle die Ehre der Polizei infrage. Hollandes Geste wurde dagegen vom algerischen Regierungschef Abdelmalek Sellal in einer ersten Reaktion als „gute Absichten“ Frankreichs gewürdigt, auch wenn es sich bei der minimalen Erklärung weder um eine klare Schuldzuweisung noch um ein Reuebekenntnis der französischen Republik handelt. Hollande wird demnächst zu einem Staatsbesuch in Algerien erwartet.

Gestützt auf Archive, die nach Hollandes Logik geöffnet werden sollten, ist es an den Historikern zu sagen, was am 17. Oktober 1961 genau geschehen ist und wer eine historische Verantwortung trägt. Für rechtliche Konsequenzen ist es zu spät. Die Beteiligten, allen voran der Nazikollaborateur und spätere Polizeichef Papon, sind tot.

Im Übrigen fallen grundsätzlich alle Kriegsverbrechen (beider Seiten) unter eine Amnestie, die bei den Verträgen von Evian im März 1962 zur Beendigung der Feindseligkeiten vereinbart wurde. Das schließt im Voraus die Türen für Forderungen der Nachkommen der algerischen Opfer von 1961.

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