Beschneidungsdebatte: Genderbending für den Penis

Eine verkappte Integrationsdebatte: In Köln wurde die „Akademie der Künste der Welt“ mit einer Veranstaltung zur Beschneidung eröffnet.

Der Junge plötzlich als Mädchen: Genderbending in der Bibel? Bild: dpa

Rechtliche Regelungen haben immer auch eine befriedende Absicht. Mit dem im Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf, der die Beschneidung eines männlichen Kindes bis zum sechsten Monat nach den „Regeln der ärztlichen Kunst“ erlaubt, soll Ruhe einkehren. Ruhe an den religiös-kulturellen Sollbruchstellen der Gesellschaft.

Die Beschneidung ist mit dem neuen § 1631d BGB Teil des Familienrechts und wird damit an die Eltern delegiert. So schnell werden Gesetze selten auf den Weg gebracht. Vier Monate nach dem Urteil des Landgerichts lag der Entwurf vor. Das Motiv: Jeder Konflikt mit der jüdischen Gemeinde sollte vermieden werden. Die Fristenregelung für den Penis hat zwar die Diskussion vorläufig beendet, doch geklärt ist eigentlich nichts.

Insofern war es eine kluge Entscheidung, dass die neu gegründete „Akademie der Künste der Welt“ in Köln zu ihrer Eröffnung dem Thema einen ganzen Tag widmete. Unter dem Titel „Cutting edge“ wurde Positionen zur Beschneidung vorgestellt, die den verengten Diskurs auffächern sollten: durch künstlerische, vor allem aber feministische und Gender-Perspektiven.

In einem ersten Podiumsgespräch analysierte die Queer-Theoretikerin Antke Engel, mit welchen machtpolitischen Strategien das bipolare Geschlechtermodell in Riten wie der Beschneidung, aber auch in der Gesetzesvorlage durchgesetzt wird. Sie interpretiert die Debatte als Zeichen der Verunsicherung angesichts der Geschlechterdefinition. Doch selbst in der Religion scheint der Spielraum größer als gedacht. Das Judentum gilt als patriarchal strukturiert, wird allerdings genealogisch über die Mutter weitergegeben.

Geschlechterbeschnitt in der Bibel

Die Architektin und Gendertheoretikerin Mimi Levy Lipis berichtete vom „Genderbending“ bei der Beschneidung, wenn die rezitierten Bibelstellen den Jungen plötzlich als Mädchen ansprechen. Und selbst in der Debatte um Risiken und Gefahren des Eingriffs dominieren geschlechtsspezifische Kategorien. So wird weibliche Beschneidung, darauf verwies der Rechtswissenschaftler Michael Thomson, in den Kategorien der Menschenrechte und ihrer negativen Folgen diskutiert. Bei ihrem männlichen Pendant sei es umgekehrt: Was passiert, wenn nicht beschnitten werde, gilt als Maxime.

Ziel der Akademie der Künste der Welt ist, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels den Austausch mit internationalen Künstlern voranzutreiben. Insofern waren Konzert und Lesung im Eröffnungsprogramm kein Beiwerk, sondern Teil des Selbstverständnisses der neuen Institution. Akademiemitglied Liza Lim hatte mittelalterliche und barocke Beschneidungsmusiken ausfindig gemacht und sie mit der Musik der senegalesischen Sängerin Sister Fa konfrontiert. Eine Art musique engagé, die sich in der Literatur nur schwer finden lässt.

Die Spuren der Beschneidung in Romanen, Dramen oder Lyrik, vor allem aus der arabischen Welt, sind marginal. „Es ist wie essen und trinken“, bestätigte der irakische Autor Najem Wali, der aus seinem in der taz erschienenen Text „Von der Macht des Messers“ las. Seiner Erfahrung der Beschneidung als „ erste Kastration des Ichs“ setzte der österreichisch-jüdische Schriftsteller Robert Schindel, der den Eingriff mit 21 Jahren vornehmen ließ, ein simples „Ohne ist es viel besser“ entgegen.

Eingriff als Wahlgeschenk

Schindel las aus seinem Roman „Gebürtig“ und formulierte die Hoffnung: „Ich kann mir vorstellen, dass ein reformiertes Judentum auf Beschneidung verzichtet, und halte das auch für wünschenswert“. Die eindringlichste Beschreibung trug der libysche Autor Kamal Ben Hameda vor. In seinem Roman „Sieben Frauen aus Tripolis“ beschreibt er den Widerspruch zwischen den festlichen Vorbereitungen und dem psychischen Schock eines Jungen, der im Schmerz zu sich auf Distanz geht – eine Reaktion, die man auch aus Folterbeschreibungen kennt.

In Deutschland war die Diskussion um die Beschneidung kurz und heftig und wurde in vielen westlichen Ländern wahrgenommen – nicht aber im arabischen Raum. Das bestätigte die zweite Diskussionsrunde mit der türkischen Literaturagentin Nermin Mollaoglu, der libanesischen Theatermacherin Maya Zib und der ägyptischen Frauenrechtlerin Marwa Sharafeldin.

Alle drei waren sich einig, dass religiöse Begründungen für die Beschneidung in ihren Ländern kaum eine Rolle spielen. „Es ist eine Gewohnheit“, sagte Nermin Mollaoglu. Eine Gewohnheit, die allerdings politisch instrumentalisiert werden kann. Die Literaturagentin berichtete von Massenbeschneidungen, organisiert von türkischen Parteien. Der teure Eingriff wird zum Wahlgeschenk.

Die verkappte Integrationsdebatte

Beschneidung ist immer auch ein Faktor, der die Machtinteressen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen berührt. Marwa Sharafeldin, die in Oxford Jura studiert, aber in Kairo lebt, verwies auf die hegemonialen Strategien in Medizin, Religion, Wirtschaft und Politik. So habe die Regierung unter Exstaatspräsident Mubarak zunächst die Frauenbeschneidung verboten, dann aber die Entscheidung den Ärzten überlassen. Verwertungsinteresse und Biopolitik reichen sich die Hände.

Am Ende war es Maya Zbib, die den Ball wieder zurückspielte und die deutsche Diskussion als verkappte Integrationsdebatte interpretierte. Das dürfte weniger für Beruhigung als für neue Konflikte sorgen. Die Kölner Akademie ist jedenfalls trotz des spärlichen Besuchs als Forum für solche Debatten gerüstet.

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