Wenn Große um acht ins Bett müssen

13. Bremer Behindertenparlament protestiert gegen Kürzungen bei der Eingliederungshilfe. Schon jetzt dramatische Situation in den Einrichtungen. Landesbeauftragter Joachim Steinbrück: „Es geht darum: Wie viel Selbstbestimmtheit bleibt noch?“

Bremen taz ■ Die Präsidentin wurde deutlich. „Das war richtig zum Kotzen“, sagte Kassandra Ruhm. Gemeint hat Ruhm die politischen Grußworte auf dem 13. Bremer Behindertenparlament in der Bürgerschaft, namentlich das von Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD). Mit keinem Wort sei diese gestern auf ihre Forderungen eingegangen. Im Gegenteil: Das Sozialressort will die Eingliederungshilfe ab 2006 sogar reduzieren. Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) „Hilfe für Behinderte“ spricht von 20 Millionen Euro. Röpkes Sprecherin dementiert.

Fakt ist, dass die Unterstützung zur Integration von Behinderten gekürzt wird. Das räumt Ressortsprecherin Heidrun Ide auch ein. Allerdings werde darüber derzeit noch verhandelt. Einen Betrag könne sie deshalb nicht nennen, sagt Ide. „Ich weiß nicht, wo die ihre Zahlen herhaben.“ Diese, vorgelegt von der Fraktion Tagesstätte Friedehorst, sind dagegen reichlich konkret: 14,8 Prozent Reduzierung im Wohnbereich, 3,8 Prozent bei den Tagesförderstätten.

Ganz gleich, ob es dabei bleibt, für den stellvertretenden Vorsitzenden der LAG, Dieter Stegmann, hätte jedwede Streichung „fatale Konsequenzen“. Falls man die jetzigen Standards noch zurückfahre, so Stegmann, „will ich nicht wissen, wo wir in vier bis fünf Jahren stehen werden.“

Schon jetzt schildern die ExpertInnen die Situation als dramatisch. „Die behinderten Menschen stehen in permanenter Konkurrenz zu ihren Mitbewohnern in der Einrichtung“, sagt Diakon Henry Meyer von der Fraktion der Bremer Heimbeiräte. Und das hat Folgen: Es sei laut Meyer vorgekommen, dass das Sozialressort Dienstpläne empfohlen habe, bei denen die Behinderten zwingend um 20 Uhr ins Bett gebracht werden müssten. „Erwachsene Menschen“, betont der Diakon.

Da hilft es reichlich wenig, wenn Bürgerschaftspräsident Christian Weber in seiner Rede vor dem Behindertenparlament hervorhebt, dass nach langem Hin und Her endlich die Stelle eines Landesbehinderten-Beauftragten Realität geworden sei, „eine wichtige Errungenschaft“. Dieser, Hans Joachim Steinbrück, ist seit Juli im Amt und spricht von mühsamer Detailarbeit. „Die Sparzwänge lähmen die Politik“, sagt er. Doch oft seien es Kleinigkeiten, die behinderte Menschen erst richtig behindern. Als Beispiel nannte Steinbrück die ausgedehnte Abschaltung der Ampeln am Osterdeich.

Die geplanten Streichungen verdienten in jedem Fall eine größere Beachtung, so der Landesbeauftragte. „Denn es geht darum: Wie viel Selbstbestimmtheit bleibt noch?“ Karl-Heinz Kahlau von der Tagesförderstätte Friedenhorst sieht sogar die Existenz seiner Einrichtung bedroht. Bürgermeister Jens Börnsen habe jüngst betont, dass er in seinen Sparbemühungen das Wünschenswerte vom Notwendigen trennen wolle, so Kahlau. „Die Eingliederungshilfe ist bitter notwendig.“

Um Teilhabe der Behinderten gehe es, nicht um Teilnahme, meint Dieter Stegmann. Der ehemalige Bürgermeister Hans Konschnik, der als Schirmherr des Parlaments gewonnen wurde, habe das erkannt. „Auch, dass sie vor 20 Jahren für Integration zu wenig gemacht haben“, sagt Henry Meyer. „Ein echter Glücksfall.“ Senatorin Röpke dagegen habe nur über den Arbeitsmarkt für Behinderte gesprochen. Dass deren Rede in der Pressemitteilung der Bürgerschaft gänzlich verschwiegen wurde, war sicherlich ein Zufall. Achim Graf