Einführung von Betreuungsgeld: Was von Norwegen zu lernen ist

Norwegen hat schon ein Jahrzehnt Erfahrung mit der Herdprämie. Weil sie sich negativ auf Gleichstellung und Integration auswirkte, wurde sie dort eingekürzt.

Mehr Kitaplätze, weniger Nachfrage nach dem Betreuungsgeld – so ist die Erfahrung aus Norwegen. Bild: dpa

STOCKHOLM/BERLIN taz | „Also, wir fanden das gut und viele andere Einwandererfamilien sehen das auch so“, meint Sidra. „Wir wollen die Kinder nicht so zeitig in den Kindergarten schicken, wie norwegische Eltern. Sie sollen erst einmal zu Hause die eigene Kultur und Religion lernen. Und mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten – das reicht doch auch noch.“

So klingen zufriedene Eltern, die das norwegische Betreuungsgeld, die „Kontantstøtte“ beziehen. Sidra und ihr Ehemann Wasim, die einen pakistanischen Hintergrund haben, haben für Tochter Hira bis zum Sommer das norwegische Betreuungsgeld bezogen.

Ähnliche Töne könnten bald auch in Deutschland zu hören sein. Denn Freitag soll der Bundestag das Betreuungsgeld verabschieden. Zunächst hundert, ab 2014 dann 150 Euro sollen Eltern von ein- bis zweijährigen Kindern erhalten, die keine öffentliche Kinderbetreuung in Anspruch nehmen.

Norwegen allerdings hat geklotzt statt zu kleckern: Das erste halbe Jahr beträgt die Kontantstøtte (übersetzt: „Bargeldunterstützung“) umgerechnet rund 680 Euro, in den letzten 5 Monaten sinkt sie auf ca. 450 Euro. Im Niveau sollte die Leistung in etwa den Kosten der öffentlichen Hand für einen Kindergartenplatz entsprechen. Die Prämie wird seit 2012 nur noch für ein Jahr gezahlt.

Negative Auswirkungen

Die Verkürzung begründete die Mitte-links-Regierung mit den erwiesenen negativen Auswirkungen auf Gleichstellung und Integration. Am liebsten würde man die Kontantstøtte ganz abschaffen, doch ein Koalitionspartner, die konservative Zentrumspartei, sperrt sich noch.

Ein ähnliches Schicksal könnte dem deutschen Betreuungsgeld blühen: Schon hat SPD-Parteichef Sigmar Gabriel angekündigt, die Leistung wieder abzuschaffen, sollte die SPD ab 2013 an der Regierung beteiligt sein. Aber auch die SPD könnte in einer Koalition mit den Konservativen landen – und müsste dann Kompromisse suchen.

Es war die von dem Christdemokraten Kjell Magne Bondevik geführte Regierung, die 1998 mit der Einführung der Kontantstøtte ein Wahlkampfversprechen einlöste. Motto: Wahlfreiheit und die Möglichkeit, den Eltern mehr Zeit für ihre Kinder einzuräumen. Gleichzeitig sollte die unzureichende öffentliche Kinderbetreuung entlastet werden.

Das klingt in deutschen Ohren bekannt: Der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung geht zu langsam voran. Wer keinen Platz bekommt, könnte auch hierzulande das Betreuungsgeld als Kompensation mitnehmen.

Migrantenmütter joblos

Die norwegischen Sozialdemokraten, die im Jahr 2005 die Regierung übernahmen, senkten das Betreuungsgeld erst ab und froren es ab 2006 ein. Das Problem, dass sie die Prämie nicht streichen konnten, lösten sie pragmatisch: Sie bauten das Angebot an Kitaplätzen kräftig aus. Die Rechnung ging auf: Der Bezug des Betreuungsgelds hat sich in den vergangenen 10 Jahren mehr als halbiert und sinkt weiter. Ausgezahlt wurde es beispielsweise im Juni 2012 für etwa ein Drittel der berechtigten Kinder – zur Jahrtausendwende waren es noch rund 75 Prozent.

Die Befürchtungen der Betreuungsgeldgegner hätten sich in Norwegen bestätigt, sagt die Osloer Soziologin Anne Lise Ellingsæter: Es habe sich besonders negativ auf die Beschäftigungsmöglichkeiten von Müttern mit Migrationshintergrund ausgewirkt. Norwegens Kinderombudsfrau Anne Lindboe sieht dies ähnlich: „Vor allem Familien mit solchem Hintergrund nehmen Kontantstøtte in Anspruch. Die Konsequenzen sind sowohl für die Kinder wie die Betreuungsperson negativ.“

Norwegen solle das Betreuungsgeld ganz streichen und durch ein jedenfalls für Bezieher von Niedrigeinkommen kostenfreies Kindergartenangebot ersetzen, meint Lindboe. Und damit Eltern wie Sidra und Wasim ihr Unbehagen vor der öffentlichen Kinderbetreuung verlieren, müsse diese mehr Rücksicht auf unterschiedliche Kulturen nehmen, offener werden und beispielsweise auch flexibler, was Zeiten des Bringens und Abholens der Kinder angehe.

Eine weitere Anregung aus dem Norden: Darüber, dass man die Kitas für MigrantInnen attraktiver machen sollte, anstatt Letztere zu kritisieren, hat in Deutschland noch niemand nachgedacht.

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