Skiwandern: Zurück in die Zukunft

Das Osttiroler Villgratental ist bei naturverbundenen Touristen sehr beliebt - nicht zuletzt, weil dort vieles anmutet wie anno dazumal.

Man setzt auf das, was anderswo verloren ging. Bild: tinykahuna/photocase

Rhythmisch schaben die Tourenbretter über den vereisten Hang. Rechts plätschert der Stallerbach talwärts, links ragen die Ostflanken der Pfannspitze empor. Im Aufwind vor dem glitzernden Berg segelt ein Bussard.

Im Entenmarsch folgt die Gruppe dem Guide Oswald Fürhapter. Es geht hinein in das Arntal, vorbei an der Unterstalleralm, wo sich das Hochtal zu einem weiten Kessel öffnet, an den steilen Wiesen ringsum thronen windschiefe Heuschober. Vor manchen Gebäuden wurden zur Bergseite keilförmige Steinmauern errichtet.

„Die Mauern sollen Lawinen, falls sie auf die Hütte zuschießen, wie der Bug eines Eisbrechers teilen“, erklärt Fürhapter. Dann passiert die Gruppe einen Lärchenwald. Hinter einer Wegbiegung, die von einem geschnitzten Herrgott bewacht wird, taucht eine Ansammlung Holzhütten auf, die Oberstalleralm. Überragt wird das Ensemble von einem Kirchlein mit spitzem schindelholzgedeckten Turm. Bisher stiegen wir im Schatten auf, seit etwa einer Stunde sind wir unterwegs.

Anreise mit Bahn und Bus: Von Linz mit der Bahn bis Salzburg. In Salzburg umsteigen und über Bischofshofen bis Spittal-Millstätter See (umsteigen) und weiter nach Lienz. Weiter mit der Regionalbahn bis Sillian und mit dem Bus 8513 ins Villgratental oder mit dem Postbus 4421 von Lienz bis zur Haltestelle Panzendorf Abzweigung Villgratental und dort umsteigen in den Regionalbus 8513.

Tourismusauskunft: Europaplatz 1, Lienz, Tel. (0043) 50 21 23 10; osttirol.com.

Geführte Touren bietet die Bergschule Alpin Aktiv Hochpustertal an, bergschule-aah.at, Sport & Freizeit hochpustertal.com

Den Städtern gefällt das Urige

Die Almsiedlung liegt in der Sonne, von den Dächern tropft Schmelzwasser, wir genießen auf einer Holzbank die Wärme und trinken Tee aus der Thermoskanne. Bis vor etwa 40 Jahren, erzählt Fürhapter, hätten hier während der Sommermonate ein Dutzend Bauernfamilien mitsamt dem Vieh gelebt. Jetzt würden die Häuser an Touristen vermietet. „Den Städtern gefällt das Urige, sie fühlen sich hier wie im Heididorf“, sagt Fürhapter, der als Sekretär in der Gemeinde Innervillgraten arbeitet und manchmal mit Gästen eine Skiwanderung unternimmt.

Das etwa 1.000 Einwohner zählende Osttiroler Villgratental – „Seitental eines Seitentales“, nennt es Fürhapter – zeichnet sich durch eine wohltuende Reduziertheit aus. Es gibt hier keine Skilifte. Keine Bettenburgen, keinen Partylärm und keine Animationsprogramme für verwöhnte Pauschalurlauber. Stattdessen Stille, idyllische Weiler mit uralten Gehöften, die wie Schwalbennester an den buckligen Hängen kleben. Und ringsum eine grandiose Natur. 2008 zeichnete der Österreichische Alpenverein 17 „Bergsteigerdörfer“ aus – darunter auch das Villgratental. Sie alle verschreiben sich der Nachhaltigkeit, umweltverträglichem Wirtschaften, dem sanften Tourismus.

Gegen die Wachstumsideologie

In Jahrhunderten gewachsene Kulturräume zu erhalten, ist das Ziel der „Bergsteigerdörfer“. Man setzt auf das, was anderswo verloren ging. Und das wird von Gästen zunehmend geschätzt. „An schönen Wintertagen versammeln sich auf einem bekannten Skiberg hundert Tourengeher“, sagt Oswald Fürhapter. Heute ist das nicht der Fall. Auf dem Weg zum 2.946 Meter hohen Großen Degenhorn bleibt die Gruppe allein. Erst am frühen Nachmittag, während der Abfahrt, kommen uns zwei Einheimische mit leichten Gepäck entgegen, plaudernd drehen sie hier ihre Feierabendrunde. Doch noch geht es durch das sonnige Arntal aufwärts in Richtung Gipfel. Steinmauern markieren im Sommer genutzte Weideflächen.

Die Waldgrenze liegt unter uns, als Fürhapter nach links abzweigt, in langen Schleifen einen sanft ansteigenden Hang quert. Es folgt eine steile Passage, schließlich eine schattige Rinne, wo die zu Klumpen gepressten Reste eines Schneebrettes zu umgehen sind. Die Gespräche in der Gruppe sind allmählich verstummt, der Blick heftet sich auf die hin- und herpendelnde Halteschlaufe am Rucksack des Vordermannes. Monoton ruckeln die Skier vorwärts, die Gedanken schweifen.

Dass man sich der Wachstumsideologie verweigern und trotzdem Erfolg haben kann, war auch im Villgratental nicht abzusehen. Noch immer sind hier nicht alle von diesem Sonderweg überzeugt. Man sei es leid, in Medienberichten als Hinterwäldler dargestellt zu werden, meinten etwa gestern die jungen Männer im Gasthaus. „Wir haben zu Hause Computer und Fernseher, fahren mit dem Auto zur Arbeit“, pflichtete ihnen die hinter dem Tresen hantierende Wirtin bei. Fürhapter berichtet von den Schwierigkeiten, durch die Grundstücke der Bauern eine Langlaufloipe anzulegen.

„Als wir vor dreißig Jahren anfingen die Parzellen zu vermessen, glaubten manche, wir vergiften die Böden.“ Inzwischen jedoch ist vielen klar, dass es Vorteile bringt, einige fragwürdige Entwicklungen versäumt zu haben. Zum Beispiel Anton und Annemarie Gutwenger, die am sonnenexponierten Hochberg Ferienwohnungen vermieten. Das Bauernhaus mit seinen vorkragenden Balkonen und Dachgauben eignet sich gut als Basislager für Touren ins Arntal.

Aus Liebe zum Plumpsklo

Zurück vom Berg, verkosten wir in der getäfelten Stube unterm Herrgottswinkel Annemaries selbst angesetzten Enzianschnaps. Später, nachdem seine fünf Kühe gemolken sind, hockt sich auch Anton zu uns an den Tisch. Er erzählt, dass seine Bienenvölker in guten Jahren 2.000 Kilogramm Honig sammeln. „Am aromatischsten ist der Berghonig von der Oberstalleralm, die Kräuterwiesen kamen garantiert nie mit Kunstdünger in Berührung.“

Am folgenden Tag wandern wir noch einmal hinauf, von unten die zweite Hütte links gehört den Gutwengers. Wir haben einen Schlüssel dabei und öffnen die aus klobigen Brettern zusammen gezimmerte Tür. In der niederen Rauchküche steht ein gusseiserner Herd, man kann noch den kalten Ruß riechen. Im Sommer vermietet die Bauernfamilie die Almhütte an Gäste, die hier allerdings auf jeden Komfort verzichten müssen. Denn gekocht wird immer noch auf der uralten Feuerstelle, als Lichtquelle dienen Kerzen oder Petroleumlampen, geduscht wird im Freien an einem hölzerner Brunnentrog. Hinten an die Hütte angebaut ist das Plumpsklo.

Das Echte, das Bodenständige, hat Anton Gutwenger beobachtet, werde immer seltener und zugleich immer gefragter. Manche seiner Gäste wohnen zuerst in einem Ferienappartement unten am Bauernhof. Nachdem sie aber die Hütte auf der Oberstalleralm kennen gelernt hätten, reservierten sie diese bei der Abreise für das nächste Jahr. „Ein Stammgast droht uns jedes Mal, dass er nicht wiederkommt, falls das Plumpsklo verschwindet.“ Über so viel Naturverbundenheit muss der geschäftstüchtige Bauer dann doch heimlich lachen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.