Isabella Rossellini auf der Berlinale: „Mutterinstinkt ist vereinfachend“

Die Schauspielerin und Regisseurin Isabella Rossellini über Launen der Natur, die Komik wissenschaftlicher Informationen und den Charme des Einfachen.

Isabella Rossellini in „Mammas“ beim Ausbrüten einer guten Idee. Bild: berlinale

taz: Frau Rossellini, wie kam es dazu, dass Sie auf die „Green Pornos“ und auf die Serie „Seduce Me“ nun ein weiteres Kurzfilmprogramm mit dem Titel „Mammas“ folgen lassen?

Isabella Rossellini: Nach dem Erfolg der beiden Vorgängerserien bekam ich von Arte den Auftrag, eine weitere zu entwickeln. Und so habe ich versucht, bei Themen weiterzumachen, mit denen ich mich schon zuvor beschäftigt habe: Reproduktion oder Attraktion. Nun geht es um den sogenannten Mutterinstinkt, ein Wort, das vorgibt, natürliche Phänomene zu beschreiben. Doch beim Blick in die Tierwelt erweist sich, dass es da die verschiedensten Verhaltensweisen gibt.

Natur ist also nicht Schicksal?

Die Natur ist die Natur, da können wir uns nichts aussuchen. Ich habe für „Mammas“ eine Menge wissenschaftlicher Bücher gelesen, vorwiegend von Frauen. Und wenn man diese Befunde zusammenträgt, sieht man, es ist keineswegs so, dass weibliche Wesen generell die Tendenz haben, sich aufzuopfern. Wenn jemand von Instinkt spricht, ist das also eine grobe Vereinfachung. Dagegen wollte ich angehen.

Sie argumentieren mit der Vielfalt des Natürlichen gegen eine abstrahierte „Natur“?

Ich stehe auf der Grundlage der Evolutionstheorie, die ein Kontinuum zwischen Tieren und Menschen festgestellt hat. Es gibt keine Schöpfung, auch keine derart eingeschriebene Ordnung. Meine Arbeit beruht auf 200 Jahren Forschung. Inzwischen ist man von manchen Ansichten Darwins abgerückt.

Sie haben in Italien gelebt, in Frankreich und in den USA. Sind dort die kulturellen Unterschiede in den Weiblichkeitsidealen nicht noch größer als die sogenannten natürlichen zwischen den Geschlechtern?

Die Schauspielerin entstammt einer der berühmtesten Verbindungen des Kinos: Der Hollywood-Star Ingrid Bergman und der italienische Regisseur Roberto Rossellini sind ihre Eltern. Mit 19 ging sie nach New York und hat seither auf vielfachen Wegen eine interessante, eigenwillige Karriere gemacht.

Als Model war sie eineinhalb Jahrzehnte lang u. a. für Lancôme tätig. Als Schauspielerin trat sie in so wegweisenden Filmen wie „Blue Velvet“ auf, mit dessen Regisseur David Lynch sie auch eine Beziehung hatte. Isabella Rossellini hat zwei Kinder. In dem Buch „Some of Me“ hat sie eine Autobiografie in fiktionalisierender Form vorgelegt.

Darauf habe ich nie wirklich geachtet. Leider ist in meinen Kurzfilmen dafür auch kein Platz, denn es geht mir nun einmal um Würmer und Schmetterlinge. Kultur wird erworben, sicher entstehen dadurch auch spezifische Unterschiede. Vielleicht ist diese Frage einfach zu weit gefasst, als dass ich sie sinnvoll beantworten könnte. Ich bin nun mal keine Soziologin. Ich mache kurze, komische Filme über Verhaltensweisen.

Der zentrale Satz in „Mammas“ lautet: „Comme si j’etais“, „wenn ich (zum Beispiel ein Hamster, der seine Nachkommen frisst) wäre“.

Es geht darum, in zwei Minuten eine Menge wissenschaftlicher Informationen zu vermitteln, aber auf eine komische Weise. Die Leute sollen lachen. Sie sollen hinterher sagen: eigentlich sehr interessant, das wusste ich gar nicht. Alle Tiere spiele ich selbst, schreibe die Drehbücher, zeichne Storyboards dafür und entwerfe die Kostüme mithilfe von professionellen Designern. Dieses Mal drehten wir in Frankreich, deswegen wollte ich die wunderbaren Handwerker der Haute Couture einbeziehen. Dadurch wurde „Mammas“ eleganter, glamouröser, französischer als die beiden anderen Serien.

Glamour steht in einem ironischen Missverhältnis zu den teilweise eher Ekel erregenden Kreaturen.

Als Isabella Rossellini vor fünf Jahren im Forum der Berlinale ihre Green Pornos präsentierte, da sah das noch eher nach einer Schrulle aus, wie sie sich das Liebesleben der Tiere ausmalte. Doch sie hat daraus beinahe so etwas wie ein Markenzeichen gemacht, die sie mit der Serie „Mammas“ nun weiterentwickelt: Es ist ein ironisches Spiel mit dem eigenen Starimage wie auch eine durchaus seriöse Beschäftigung mit Stereotypen, die unsere Auffassungen von Geschlechtern und Identitäten bestimmen.

In „Mammas“ geht sie von Darwins Behauptung aus, der Altruismus sei prinzipiell weiblich, und „widerlegt“ dieses Klischee in einer Reihe von zweiminütigen filmischen Vignetten, in denen Isabella Rossellini nahezu alles selbst macht. Vor allem spielt sie verschiedene Tiere. Sie kostümiert sich als Fisch, als Vogel, als Hamster, als Spinne und auch als garstiges Schleimwesen und betreibt so Naturkunde als höhere Verwandlungskunst auch für die gesellschaftliche Wirklichkeit.

Für mich sind sie nicht ekelhaft. Vor fast 30 Jahren war ich Fotomodell, heute spielt das keine Rolle mehr für mich. Heute macht es mir Spaß, diese Filme zu machen, mit einem Team zu arbeiten und dabei eine Brücke zur Welt der Mode zu schlagen, die mir sehr wichtig ist.

Filmisch gehen Sie im Grunde zurück zu den Ursprüngen des Kinos. Georges Méliès ist eine unübersehbare Inspiration.

Das betrifft vor allem das Format, denn Méliès arbeitete vorwiegend mit einer Kamera, die frontal vor einer bühnenartigen Szene fixiert war. Wir brauchten einen einheitlichen Stil, denn ich bin ja keine genuine Regisseurin, ich brauchte eine Handschrift, die mir geläufig war, und der Stil von Méliès leuchtete mir ein. Auch deswegen, weil seine Filme „von Hand“ gemacht wurden, also auf eine Weise, die mir auch möglich ist. Ich kann keine komplizierten Kamerabewegungen machen. Man muss die eigenen Stärke betonen, einen Stil schaffen, und das ist es, was „Mammas“ auszeichnet: ein gewisser Charme des Einfachen.

Die Filme sehen einfach aus, sind aber genau besehen durchaus vielschichtig.

Absolut. Ich kann Ihnen versichern, dass es in Wahrheit ganz schön kompliziert ist.

Ein Detail gefiel mir besonders: In einer Szene taucht ein weißes Telefon auf, als Verweis auf eine goldene Ära des italienischen Kinos, in der die Mutterklischees noch ungebrochen waren.

Ja, mit solchen Details zu arbeiten ist, was ich besonders liebe. Das ist die Kultur von Fotografie und Film, die ich mir angeeignet habe. Manchmal braucht man nur eine Kleinigkeit, eine Geste, einen Gegenstand, um in einem Rahmen eine ganze Welt zu erschaffen.

Eine Fotografie spielt auch in „Mammas“ eine wichtige Rolle.

Die Episoden sollten jeweils durch eine wiederkehrende Fotografie strukturiert werden, und dafür fand ich ein Bild mit meiner Mutter aus meiner Kindheit. Ich sitze auf einem Pony, mein Hund ist zu sehen, und meine Mamma passt auf uns auf. Das schien mir passend.

Das Bild erinnert an eine wunderbare Szene aus dem Episodenfilm „Siamo Donne“ („Wir Frauen“, 1953), in dem Ihre Mutter Ingrid Bergman im Garten hinter einem Huhn herjagt. Wie war sie als „Mamma“?

Sie war eine großartige Mutter.

Vergleichen Sie sich nach vielen Jahren eigentlich noch mit Ihrer so berühmten Mutter, da Sie weitgehend im selben Metier tätig sind?

Ich verkörpere Würmer, die hat sie nie gespielt. (lacht) Meine Mutter führte auch nie Regie. Sie wollte nicht mehr sein als eine Schauspielerin. Leider starb sie ziemlich jung. Im Alter von 60, also in meinem jetzigen Alter, war sie schon sehr krank.

Bei der Berlinale laufen die „Mammas“-Filme im Forum Expanded. Wie fühlen Sie sich in diesem Programm, das zwischen Kunst und Kino die experimentellen Formate hervorhebt?

Darüber bin ich hoch erfreut. Ich arbeite ja oft mit experimentellen Filmemachern wie Guy Maddin, David Lynch und Peter Greenaway. Auch wenn ich immer wieder in kommerziellen Filmen auftrete, neige ich persönlich doch eher zum Experimentierfreudigen. Vielleicht, weil mein Vater Roberto auch so war.

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