Kolumne Logbuch: Japanisch für Anfänger

In 101 Tagen um die Welt. Unsere Autorin schreibt von Bord des Kreuzfahrtschiffes „Ocean Dream“. Unterwegs mit japanischen Friedensaktivisten.

Das Peaceboat im Hafen. Bild: Christina Felschen

„Embarrassing“, sagt eine Computerstimme hinter mir, „peinlich“. Ich habe Madu mit ihrem Übersetzungscomputer nicht kommen hören, sie schleicht wie eine Katze. Wie die meisten Japaner hatte sie seit der fünften Klasse Englischunterricht, ohne jemals frei zu kommunizieren. Das bereut sie jetzt bitter. Den älteren Passagieren geht Madu aus dem Weg. „Was sollte ich auch mit ihnen reden? Aus ihrer Sicht habe ich noch nicht einmal einen richtigen Beruf.“

Die 22-Jährige ist eine begnadete Hip-Hop-Tänzerin, ein feengleiches Wesen in weiter Ganstakleidung. Oft sitzt sie an der Reling und schaut aufs Meer, die Knie an die Brust gezogen. Die Partyphase der anderen jungen Passagiere hat sie schon hinter sich. Sie passt in keine japanische Kategorie - und ist doch in ihrer eigenen Sprache gefangen. Why - languages - differ. Sometimes - lonely - sad, zeigt mir ihr Computer an. Ich habe das Zehn-Wort-Spiel oft genug gespielt, um zu ahnen wie sich fühlt: als Insel auf einer Insel.

Wenn ich beim Abendessen an einen Tisch ohne Dolmetscherin gelost werde, bin ich für eine lange halbe Stunde mit meinen zehn Worten Japanisch alleine. Doch seit kurzem habe ich Mitsuko, meinen guten Geist, meine Japanischlehrerin. Sie hat Pausbäckchen, strahlende Augen und legt ihre Brille ab, wenn sie fotografiert wird. Ihr Name bedeutet „kluges Kind im kleinen Wald“ - das ist gemeinhin das erste, was man von Japanern erfährt. Doch ich habe das Gefühl einen reichlich großen Wald mit ihr zu betreten.

„Als ich jung war, glaubte ich, die Sterne seien mein Heimatland. Wann immer ich zu ihnen hinauf sah, fühlte ich eine ungeheure Ruhe“, erzählt sie. „Ich stellte mir vor, dorthin zurückzukommen, wenn ich einmal sterbe.“ Aber Mitsuko stirbt nicht. Wer wie sie mit 85 Jahren Samba lernt und um die Vergangenheit des Konjunktivs in der dritten Fremdsprache ringt, stirbt so schnell nicht. Leider legt sie an meine Fortschritte im Japanischen ähnliche Maßstäbe an - als hätte auch ich einen Kampf gegen Demenz zu gewinnen.

Dabei bin ich doch nur müde. Ihr Vormittag ist für mich noch allertiefste Nacht. Sie reicht mir nur bis zur Brust, aber wenn ich zum zweiten Mal vergessen habe, was „Gesundheit“ auf Japanisch heißt, lässt mich ihr Blick auf Kleinkindgröße schrumpfen. Ich bin es gewohnt Tänze über Schritte und Sprachen über Grammatik zu lernen, ehe ich mich frei bewegen kann. Aber Mitsuko macht es wie diese verrückten Sambalehrer, die sagen: Vaya, es gibt nichts zu verstehen. Sie spricht seit der ersten Stunde nur Japanisch mit mir und wartet darauf, dass ich intuitiv die passenden Antworten finde. Doch mir schwirrt bloß der Kopf vor lauter Korewatashimoroksugaishimasu.

Dieses Konzept des intuitiven Verstehens - „aitsuchi“ - ist in Japan sehr beliebt, denn es gilt als unhöflich viele Fragen zu stellen. Nach ein paar Tagen bin ich so japanisiert, dass ich noch auf unserem Landgang in Rio alle Brasilianer mit kleinen Verbeugungen begrüße. Ich kann zwar noch immer nicht mit Madu reden, doch um elf längliche Objekte bitten und aus meinen Lieblingswörtern Unsinnssätze bilden: „Eto ototoi wajira tokidoki“ - „Also, vorgestern Wal oft.“ Wenn das nichts ist! „Embarrassing“, sagt die Computerstimme hinter mir.

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