Traditions-Bahnfahrt in den Harz: Mit dem Zug in die Vergangenheit

Wenn der Lokführer die Kohle ins Feuer schaufelt: In historischen „Rheingold“-Wagen, gezogen von alten Dampfloks, fühlt man sich wie in einer anderen Zeit.

Aus einer anderen Zeit: Die Waggons des Rheingold-Zuges. Bild: dpa

WERINGERODE taz | Eigentlich wollte sich Paul-Hubertus Winkler nur einmal die alte Dampflok 03 1010 aus der Nähe anschauen. Um 6 Uhr in der Früh ist er aufgestanden und mit dem Auto von Geesthacht nach Celle gefahren. Doch als er die über 70 Jahre alte Dampflok anfahren sieht, Heizer und Lokführer bei ihrer Arbeit beobachtet, fasst er einen Entschluss: Er möchte mitfahren. Der 85-Jährige ist von 1948 bis 1954 selbst Dampflok gefahren, erst als Heizer, später als Lokführer. Und auch wenn er danach viele Jahre als Diplomingenieur gearbeitet hat – seiner Leidenschaft, der Dampflokfahrt, ist er immer treu geblieben.

Die Lok nimmt Kurs auf Wernigerode im Harz. Ihr hinten angespannt sind elf Waggons. Diese sind hauptsächlich Schnellzugwagen aus den 60er- und 70er- Jahren. Doch direkt hinter der Dampflok befinden sich die drei aufwändig restaurierten „Rheingold“-Wagen. Der Speisewagen aus dem Jahr 1928 ist das älteste Glied in der Kolonne und aus dem Panoramawagen mit Glasdach kann man direkt in den Schornstein der alten Lok schauen.

Egal, welchen Waggon oder welches Abteil man betritt, man fühlt sich in eine andere Zeit zurückversetzt: Die Sessel sind plüschig, teilweise mit Schnörkeln verziert, die Wände holzvertäfelt und die Fenster lassen sich bis zur Hälfte herunterziehen. Und auch das Zugpersonal ist elegant, in Uniformen von damals gekleidet. Über allem hängt der leicht muffige Geruch des Nostalgischen.

Ein Teil der Waggon-Kolonne ist in Schwerin gestartet, der andere in Bremen. Mit zwei E-Loks wurden sie angezogen und in Hamburg-Harburg zusammengefügt. In Celle schließlich wird die sechsachsige, schwarz-rote Lok vorgespannt. Von einer großen Dampfwolke umgeben, fährt sie langsam an die bereitstehenden Waggons heran.

Eine große Gruppe Mitreisender hat sich auf dem Bahnsteig versammelt. Alle haben Kameras gezückt, filmen und fotografieren das Geschehen. Passend zum Anlass tragen ein paar Männer alte Eisenbahner-Mützen mit ledernen Schirmen. Ein paar Übermütige würden gern ins Führerhaus klettern, doch der Lokführer, der tatsächlich rußgeschwärzte Hände hat, muss sie vertrösten. So viel Platz gebe es in der Kabine nicht – außerdem müsse man aufpassen. Schließlich werde hier Kohle ins offene Feuer geschaufelt und Wasser nachgefüllt.

Auch wenn der Zug so gut wie ausgebucht ist, hat Paul-Hubertus Winkler einen Platz in einem der vorderen Waggons ergattern können. Hier befindet er sich in bester Eisenbahner-Gesellschaft: Neben drei eingefleischten Lokfans fährt auch Walter aus Rothenburgsort mit. Der 84-Jährige war von 1948 bis 1992 Zugführer, ist erst Dampflok, später S-Bahn gefahren. Seine Enkel haben ihm die Fahrt zum Geburtstag geschenkt. „Sonst wäre ich nie so früh aufgestanden“, sagt er. Die Eisenbahnfahrt war sein Beruf, eine Leidenschaft wie Winkler hätte er nie entwickelt. Doch seine Mitreisenden wissen ihm die eine oder andere Geschichte zu entlocken, wie zum Beispiel vom harten Winter 1979, als wirklich „nichts mehr ging“.

Ein großer Teil der Fahrgäste hat die 60 schon überschritten, doch hier und da sieht man auch Familien mit Kindern, ein paar Jugendliche. Während die meisten in ihren Abteilen sitzen und sich mit ihren Nachbarn unterhalten, stehen auch ein paar Männer am offenen Fenster und halten ihren Kopf in den Fahrtwind – und vor allem in die vorbeiziehenden Dampfwolken. Einer ist besonders gut ausgerüstet: mit einer warmen Mütze, sein Kopf ist mit einem Schal fest umwickelt und er trägt eine Schutzbrille. Seine Videokamera hält er weit aus dem Fenster.

Rund 440 Fahrgäste sitzen im Zug nach Wernigerode. Die Organisatoren der Fahrt haben alle Hände voll zu tun, damit sich niemand vor lauter Begeisterung zu weit aus seinem Abteilfenster lehnt, oder auf die Gleise springt, um ein Foto zu machen. Mike Rietenberg und Sönke Windelschmidt von der Dampflok-Gemeinschaft 41 096 e. V. haben diesen Tagesausflug vier Monate lang geplant. Zusammen mit befreundeten Eisenbahn-Vereinen, wie etwa dem Freundeskreis Eisenbahn Köln e. V., haben sie den Zug mit seinen elf Waggons und der Dampflok zusammengestellt und die Route festgelegt. Alle arbeiten ehrenamtlich. Das durch die Fahrten erwirtschaftete Geld wird für die Restauration und Instandsetzung alter Waggons und Dampfloks eingesetzt.

Windelschmidt und Rietenberg haben beide schon mehrere Jahre ehrenamtlich im Eisenbahnmuseum in Bochum gearbeitet, bevor sie beschlossen, nostalgische Fahrten durch ganz Deutschland zu organisieren. Rietenberg ist, seitdem er mit sechs Jahren seine erste Eisenbahn geschenkt bekam, großer Fan. Dabei zieht er eine Dampflok jedem ICE vor. „Die alte Technik begeistert mich, der Geruch der verbrannten Dampflokkohle, der Sound der Maschine. Man sieht, dass da noch was arbeitet“, sagt er. Bei der neuen Technik könne man nicht mal eben mit dem Hammer und einer Kanne Öl eingreifen, wenn Probleme auftreten.

Um 12.30 Uhr fährt die Bahn in Wernigerode ein. Sie ist fast zu lang für den kleinen Bahnsteig. In Windeseile hat sich wieder eine große Gruppe um die Lok versammelt, um ein paar letzte Fotos zu schießen. Ein Teil der Reisegruppe steigt direkt in den nächsten Zug: die Harzer Schmalspurbahn, die sie auf den Brocken bringen soll. Auch Mike Rietenberg und Sönke Windelschmidt schließen sich an. Schließlich wollen sie die wenige Freizeit, die sie bei der langen Fahrt haben, auch ausnutzen. Paul-Hubertus Winkler hingegen wird sich wohl der Stadtführung in Wernigerode anschließen. Doch eigentlich freut er sich aber schon jetzt auf die Rückfahrt – und auf das wiederkehrende Geräusch der Maschinen.

Die nächste nostalgische Bahn setzt sich am 30. März in Bewegung. Eine kleine rote Diesellok bringt Kinder bis 14 Jahre für sechs, Erwachsene für zehn Euro vom Bahnhof in Salzgitter-Bad zum Ostereiersuchen am Warnerückhaltebecken. Nähere Informationen unter:
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