Runder Tisch Missbrauch: Kaum etwas verwirklicht
Die Politik zog am Mittwoch Bilanz, was der runde Tisch eigentlich gebracht hat. Die Opferverbände erwarten derweil verbindliche Zusagen.
BERLIN taz | Sichtlich angespannt traten sie vor die Mikrofone: Familienministerin Kristina Schröder (CDU), Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bildungsministerium, verkündeten am Mittwochmittag, was der runde Tisch „Sexueller Missbrauch“ in drei Jahren seiner Arbeit eigentlich geleistet hat. Johanna Wanka, die neue Bundesbildungsministerin (CDU), war verhindert.
„Ich kann nachvollziehen, wenn die Betroffenen unzufrieden sind über die Rückstände und dass alles länger dauert als geplant“, preschte Kristina Schröder vor – ganz nach dem Motto „Angriff ist noch immer die beste Art der Verteidigung“. „Wir haben die Kultur des Vertuschens beendet“, erklärte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Und Cornelia Quennet-Thielen sagte: „Wir sind dabei, eine Forschungslandschaft aufzubauen, die international sichtbar ist.“
Die Staatssekretärin hat kaum zu Ende gesprochen, da reißen die Journalisten ihre Arme in die Höhe. Sie sind ratlos angesichts der positiven Resonanz der drei Politikerinnen. Die Opfer, deren Verbände und der unabhängige Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig können diese Sicht nicht teilen.
Wann genau?
Was ist mit dem Gesetz, das Opfern mehr Rechte geben und die strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt an Kindern in bestimmten Fällen von derzeit 3 auf 30 Jahre verlängern soll? Was ist mit dem gemeinsamen 100-Millionen-Euro-Hilfsfonds von Bund und Ländern, in den der Bund bereits seinen Anteil – 50 Millionen Euro – eingezahlt hat, die Länder aber noch nicht? Warum gibt es gleich zwei Aufklärungs- und Präventionskampagnen? Und warum dauert alles so lange? Die Justizministerin verzieht keine Miene, die Familienministerin blickt zur Seite.
„Ich werbe dafür, dass der Bund unabhängig von den Ländern den Fonds startet“, sagte Schröder: „Wir müssen ihn in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen.“ Sie sei „zuversichtlich“, dass das Opfergesetz bald verabschiedet werde, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Wann genau? „Wir gehen davon aus, dass es in den nächsten Wochen im Bundestag beschlossen wird“, so die Justizministerin.
„Wir fordern die Regierung auf, sofort mit den Beratungen zu beginnen“, sagte Dagmar Ziegler, familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Die Oppositionspolitikerin fordert zudem, dass Betroffenen unkompliziert geholfen werden müsse, die derzeit keine Leistungen über die gewöhnlichen Hilfesysteme wie die der Krankenkassen bekommen.
Leser*innenkommentare
markusschmalzried
Gast
unsäglich ist die rechtsbeugung,die der sogen. runde tisch betreibt.er verschweigt,dass
der propagande für eine aushöhlung des rechts betreibt.er setzt an die stelle des indivi-
dualrechts - demgemäss auch missbrauchsopfern eine entschädigung gemäss § 823 bgb zusteht -
ein mittelalterliches mitleidsrecht.die Gnade.und reproduziert so ein muster,dass Miss-
brauchsopfer(kurz:MOs) durch ihre täter bereits erfahren haben:abhängigkeit.
`recht` bedeutet jedoch einen schritt aus der abhängigkeit heraus.`recht` gesteht dem
individuum- unabhängig davon,welcher straftat es opfer wurde - wiedergutmachung.klar
definierte wiedergutmachung.Und diese wiedergutmachung bemisst sich individuell an dem
schaden,den ein täter angerichtet hat.gehört zu einer folge der tat beispielsweise ein
ausbildungsabbruch des sich meist noch in sehr jungen jahren befindlichen opfer,so ist
dem MO der daraus entstandene schaden wiedergutzumachen.das geht über die erstattung
der summe,die eine ausbildung gekostet hätte bis hin zu einer nachzahlung der gehälter,die
ein MO in einem späteren berufsleben gemäss individueller potentiale erzielt hätte.der
dann nachzuzahlende betrag ist um ca.das 100 fache höher als die mitleidsbrosamen,die
der das recht usurpierende sogen. `runde tisch` ,ohne jegliche juristische legitimation,
vorschlagen möchte.eine solche rechtsbeugung,noch dazu unter mitregie einer offensichtlich
die bedeutung von recht und individualrecht völlig verkennenden justizministerin ,ist
bislang in der geschichte deutschlands einmalig.
nötig,anzuführen,dass sexueller missbrauch,auch in seinen zivilrechtlichen ansprüchen
nicht verjährt?ein opfer einer straftat - § 44 Stpo und der entsprechende paragraph der
zpo - muss erst dann strafanzeige bzw. zivilklage einreichen,wenn es dazu in der lage ist.
bekanntlich dauert die verdrängung bei sexuellem missbrauch teilweise bis zu jahrzehnten...
anke
Gast
Was ist eigentlich aus den Kirchen geworden? Sollte nicht eigentlich derjenige die Rechnung zahlen, der die Kapelle bestellt hat?
Norbert F. Schaaf
Gast
Eigentlich müssten die Täter-Organisationen höchstes Interesse daran haben, dass die Thematik nicht endlos am Köcheln gehalten wird und damit weitreichend öffentlich bleibt - nicht nur zum Imageschaden und Glaubwürdigkeitsverlust ganzer (bisheriger) Institutionen. Dass dem seit Jahr und Tag nicht so ist, wird wohl einem höheren Interesse geschuldet sein - dem Machterhalt. Wobei das Opferleid höchstens Kollateralschaden zu sein scheint. @weingraefin
Bravo
Gast
Die Kultur des Vertuschens ist bis ins feinste differenziert worden mit Hilfe unserer Justiz.
Ja, und das ist auch international sichtbar.