Schiedsrichter über Anfeindungen: „Man braucht ein dickes Fell“

Fußball-Bundesliga-Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer über seine Rolle als „Gerechtigkeitsfanatiker“ und die anwachsende Gewalt gegen Referees.

Schicksal der Unparteiischen: zu unbequemen Entscheidungen gezwungen. Bild: dpa

taz: Herr Kinhöfer, muss man als Schiedsrichter ein Masochist sein?

Thorsten Kinhöfer: Vielleicht ist das so. Ich gehe aber natürlich nicht ins Spiel und denke: „Hoffentlich beschimpfen mich heute wieder die Zuschauer.“

Dennoch müssen Sie vor jeder Partie davon ausgehen, am Ende kritisiert zu werden.

Wenn ein Spieler einen entscheidenden Elfmeter verschießt, wird er von seinen Mitspielern in den Arm genommen und vom Trainer getröstet. Wenn ein Schiedsrichter aber einen berechtigten Elfmeter nicht gibt, wird er zum Buhmann abgestempelt und häufig völlig überzogen kritisiert. Damit muss man umgehen. Das ist ungerecht.

Warum wollten Sie Schiri werden?

Es war kurioserweise die Tatsache, dass ich von Haus aus ein Gerechtigkeitsfanatiker bin. Als Spieler hatte ich mit Schiedsrichtern zu tun, von denen ich mich ungerecht behandelt fühlte. Das wollte ich besser machen.

Der 44-Jährige ist seit 1994 DFB-Schiedsrichter, seit 2006 zudem Fifa-Schiedsrichter. Sein bisheriges Karriere-Highlight ist das DFB-Pokalfinale 2010 zwischen Bayern München und Werder Bremen. Hauptberuflich ist Kinhöfer als Leiter Controlling bei den Stadtwerken Herne tätig. Er leitete auch schon Ligaspiele in Korea, Saudi-Arabien und Katar.

Wann fing das an?

Mit 16 habe ich meine Schiedsrichterprüfung gemacht und meine ersten Meriten in der F- und E-Jugend gesammelt. Es war ein Lernprozess, sich dort durchzusetzen.

Was meinen Sie?

Da hat man nicht mit Fans zu kämpfen, mit den Spielern beziehungsweise den Kindern schon gar nicht. Aber man hat mit Oma, Opa, Mama, Papa, Tante und Onkel zu tun, die ihren Sprössling schon als kommenden Nationalspieler sehen. Und die sind wirklich immer auf Ballhöhe (lacht).

Wie wird man Fifa-Schiedsrichter?

Vom F-Jugendschiedsrichter bis auf die Fifa-Liste ist eine Karriere wie vom Auszubildenden bis zum Vorstand. Dafür benötigt man auch viel Glück, wenn man bedenkt, dass von etwa 80.000 Schiedsrichtern in Deutschland nur 22 in der Bundesliga pfeifen und davon 10 den Sprung auf die Fifa-Liste erreichen können.

Gab es einen Punkt in Ihrer Karriere, an dem Sie sich fragten: Warum tue ich mir das an?

Nein, wirklich nicht ein einziges Mal. Ich hatte schnell ein ganz gutes Standing. Es war auch früher eine harte Probe, im tiefsten Ruhrgebiet zwei Mannschaften mit unterschiedlichen Nationalitäten zu pfeifen. Aber die Aggressivität gegen Schiedsrichter war noch nicht so ausgeprägt wie heute.

Wie erklären Sie sich den Anstieg der Aggressivität?

Die Entscheidungsträger im Fußball müssen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Was sie lostreten, wird von den Medien aufgenommen. Und wenn sie einen Schiedsrichter derart scharf und teilweise ohne Rücksicht auf den Menschen kritisieren und bloßstellen, hat das teilweise Auswirkungen bis in die Kreisliga C. Zudem ist es auch ein Gesellschaftsproblem an sich. Die Aggression des Alltags wird auf den Fußball übertragen.

Macht es trotz der teilweisen Gewalt gegen Schiedsrichter noch Spaß?

Wenn es Gewalt gegenüber Schiedsrichtern gibt, dann passiert sie fast ausschließlich an der Basis. Man kann gar nicht häufig genug den Hut vor diesen Schiedsrichtern ziehen. Für mich sind diese Menschen Helden, die Woche für Woche in den Kreisligen für einen Hungerlohn dem Fußball dienen.

Sie hingegen kassieren ein beachtliches Salär, dafür stehen Sie unter ständiger Beobachtung.

Alle Menschen machen Fehler, aber wenn ich im bezahlten Fußball einen mache, sehen ihn Millionen Zuschauer. Als Schiedsrichter muss man daher eine geringere Fehlerquote als die Spieler haben. Ein Spieler, der ein Eigentor schießt, kann danach zweimal treffen und wird abgefeiert. Ich kann meine Fehler nicht wiedergutmachen.

Welche Rolle spielt die moderne Technik bei der Bewertung von Schiedsrichterleistungen?

Wenn eine Entscheidung richtig war, wird darüber hinweggegangen. Aber wenn sich nach der fünften Zeitlupenwiederholung etwas als falsch herausstellt, wird von einer glasklaren Fehlentscheidung gesprochen. Man braucht ein dickes Fell.

Als Gerechtigkeitsfanatiker muss Sie dieser Zustand nerven.

Das tut er, absolut.

Hatten Sie schon Nachteile durch Ihre Tätigkeit oder gab es Drohungen gegen Sie?

Einmal wurde es sehr eng mit Drohungen, aber das hat sich zum Glück relativiert.

Hat der Selbstmordversuch von Babak Rafati etwas an der Wahrnehmung der Schiedsrichter geändert?

Nein, überhaupt nichts. Die Betroffenheit hält vierzehn Tage an, dann wird wieder der nächste Schiedsrichter durchs Dorf getrieben. Aber so ist unsere Gesellschaft. Der Schiedsrichter ist das schwächste Glied in der Fußballkette. Das sieht man doch schon, wenn ein Spieler vor der Trainerbank gefoult wird. Der Trainer springt auf, schreit und geht entweder auf den vierten Offiziellen, den Assistenten oder den Schiedsrichter los. Er wird aber nie den gegnerischen Spieler anschreien.

Wird man zwangsläufig zum Zyniker, um sich mit diesem System zu arrangieren?

Man bekommt ein dickes Fell, und man weiß, wie das System funktioniert.

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