Kommentar Indische Justiz: Kein Verlass auf Behörden

Der Tod eines der Beschuldigten einer Gruppenvergewaltigung in seiner Zelle zeigt die katastrophale Praxis des indischen Rechtsstaats.

Es ist die alte indische Krankheit: gute Vorsätze, gute Gesetze, doch eine katastrophale staatliche und behördliche Praxis. Dabei hatten sich Regierung und Behörden in Delhi durchaus etwas vorgenommen.

Nach der brutalen Vergewaltigung einer 23-jährigen Medizinstudentin im vergangenen Dezember war der Zorn der Hauptstadtbevölkerung groß genug.

Und er galt nicht nur den Vergewaltigern, sondern auch Staat und Behörden. Weil sich die Polizei nicht beeilt hatte, das Vergewaltigungsopfer zu retten. Weil die Regierung zu dem Vorfall lange Zeit schwieg. Weil Politiker und Gurus Macho-Sprüche klopften.

Aber dann schien die indische Demokratie doch zu funktionieren: Die Delhier Polizei bekam auf allen Stationen rund um die Uhr Frauenpersonal. Das Justizministerium schuf neue Schnellgerichte, um mit Tausenden aufgestauter Vergewaltigungsprozesse fertig zu werden. Und die Regierung verabschiedete eine Verordnung, die Vergewaltigungen strenger bestraft.

Jetzt sieht das alles wie politischer Aktionismus aus. Es zeigt sich erneut: Indien ist nur auf der Oberfläche demokratisch, in Wirklichkeit herrscht ein zutiefst undemokratischer bürokratischer Apparat. Justiz und Polizei sind ein Teil davon. Im Alltag dienen sie nicht dem Volk, sondern gängeln und misshandeln es – in alter britischer Kolonialtradition. Etwas anderes kennt man in Indien gar nicht.

Symbolisch für dieses unberechenbare System steht jetzt auch der Zellentod des Hauptangeklagten im Delhier Vergewaltigungsprozess. Egal ob der von allen verhasste Angeklagte nun von seinen Mitinsassen oder Wächtern getötet wurde oder sich selbst das Leben nahm: Die indischen Behörden haben es wieder mal nicht geschafft, ein anständiges Verfahren zu gewährleisten. Auf den Staat ist in Indien einfach kein Verlass.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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