Die Psychologie des Fischstäbchens

Krabbenpulmaschinen in Greetsiel oder die Mondlandung, wie sie in einem ostfriesischen Dorf beobachtet wurde: Der Krimiverleger und -autor Peter Gerdes über Küstenkrimis und die Balance zwischen Humor und Härtefall

taz: Sie haben gerade die Krimianthologie „Fiese Friesen“ herausgegeben, eine Art Landkarte der Region zwischen Weser und Ems. Entsteht im Zusammenspiel verschiedener Autoren ein Bild, das dieser Region entspricht?

Peter Gerdes: Das ist bei einem solchen „Flickenteppich“ schwer zu sagen. Jeder Autor hat seinen Stil, vielleicht auch seine Vorurteile. Wenn es in Greetsiel um eine Krabbenpulmaschine geht, hat das mit den wirtschaftlichen Interessen der Leute dort zu tun. Die Geschichte von Maj Sjöwall hingegen spielt zwar in Jever, hat aber mit Jever kaum was zu tun. Den Zeitpunkt der Mondlandung in einem ostfriesischen Ort zu beobachten, wie Martina Bick es tut, hat insofern mit der Region zu tun, als es ein Moment ist, den zwar alle kennen, der es ihr aber ermöglicht, mit dem Bild des Rückständigen zu spielen.

In einem der Texte erweist sich der Mord als Probelauf für eine touristische Attraktion. Ist Ihr Buch eine Selbstparodie des Genres „Regionalkrimi“?

Die „norddeutschen Krimitage“ oder solche Anthologien bieten die Möglichkeit, gemeinsam etwas zu machen. Kurzgeschichten sind Spielwiese und Trainingslager. Hier kann man die Grenzen des Genres überschreiten, etwas ausprobieren, was keinen ganzen Roman tragen würde. In der Anthologie „Flossen hoch“ gibt es eine verzweifelte Geschichte, die aus der Sicht des Kindes erzählt wird. Eine Mutter ermordet den gewalttätigen und alkoholisierten Lebenspartner, um ihr Kind zu retten. Dem Text ist als Rezept etwas zugeordnet, was ein Kind, um das sich sonst keiner kümmert, gerade noch zu essen bekommt – Fischstäbchen mit Kartoffelsalat.

Ihr Roman „Fürchte die Dunkelheit“ handelt von Missbrauch und Mord und deutet Netze an, die über den Einzelfall hinausreichen. Wie richtet man sich als Autor in der schwierigen Ausgangslage ein, wo sich im wirklichen Leben Ermittlung, Moral und mediale Begleitung kaum trennen lassen?

Als ich die Idee hatte, fehlte die richtige Motivation für den Roman. Welche Aspekte haben den Täter dahingehend geformt, dass er die Tat begeht? Wenn diese Frage nicht da ist, kann ich nicht schreiben. Jahre später beschäftigten mich die Mechanismen, die zu multiplen Persönlichkeiten führen können. Der Reiz bestand dann darin, die täterloyalen Teilpersönlichkeiten so stark zu machen, dass sie der Ermittlung Knüppel zwischen die Beine werfen und so die Restpersönlichkeit, die ja auch ein Opfer sein kann, noch schutzbedürftiger macht. Ein technisch interessanter Aspekt für einen Kriminalroman über ein heikles Mord-Thema, das unter uns geschieht und nicht außerhalb der Gesellschaft.

Interview: Tim Schomacker