Kolumne Alles Bio: Was heißt Ideologiekritik?

In der Linken gehört Diskurs zur Ideologiekritik und Stillstand ist der Tod. Genau das kann leicht zu einem Trip werden.

Eine vertrackte Situation – wie das Ende eines guten Pilztrips Bild: AP

Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, einen Umweg zu wählen.

Wir befinden uns im Wald. Im Gehölz raschelt es, verschiedene Arten von Moos bedecken den Boden. Es kracht, wenn man auf dem unebenen Boden auf Holz tritt. Ist man länger im Wald, zeigen sich Wege, die Tiere oder Menschen vorgezeichnet haben, weil sie sich angeboten haben.

Ideologiekritik ist in der Linken ein schönes Spiel, denn Diskurs gehört dazu und Stillstand ist Tod. Wer jedoch Ideologiekritik übt, weil ein anderer gesagt hat, dass sie zu üben ist, handelt unselbstständig. Wer ideologisch unideologisch ist, ist ideologisch.

Eine vertrackte Situation, die an das Ende eines guten Pilztrips erinnert. LSD ist besser als Pilze. Ein Gedanke verstrickt sich immer wieder in denselben und man macht sich, obwohl man weiß, dass es in einigen Stunden anders sein wird, etwas Sorgen, verrückt zu werden. Man kommt nicht raus, so wie es heute immer schwerer wird, sich außerhalb des Kapitalismus zu befinden. In einer Blogkritik zum tazlab war zu lesen: die Freiheit ist die Freiheit zur Leistung. Ich kann etwas tun, muss es aber nicht. Die Kontrolle liegt ganz bei mir. Herr und Knecht sind vereint.

Hier befinden wir uns also. Der moderne Kapitalismus erfordert ein genaues Hinsehen und Vorsicht mit dem Verkünden von Fortschritt und Freiheit, wie auch der moderne Faschismus nicht nur Straßenmobs, Polizeihorden und Folterwillkür in sich birgt.

Es ist der Krieg gegen dich, es sind sexistische, rasistische, ökofaschistische oder antisemitische Gedanken, die einsickern und eingesickert sind. Vorurteile machen das Leben einfacher und nur, weil auf der Straße keine Frauen mehr geschlagen werden, heißt das nicht, dass es keinen Sexismus mehr gibt oder in Zukunft mehr geben wird. Die Aufschrei-Debatte ist eine der üblichen und nötigen Erschütterungswellen, die die Frauenbewegung alle paar Jahre braucht.

Die Debatte ist auch Zeichen dafür, dass es neue Perspektiven und Instrumente gibt. Es ist im Internet möglich, fröhlich und militant zu handeln und mit Worten zuzuschlagen. „Schlag zurück“, singen Früchte des Zorns. Im Internet können Frauen zurückschlagen, wenn Männer geschlagen haben. Männer schlagen, indem sie Frauen in die Psychiatrie schicken, das geht schon lange so. Hysterie, Emotionalität, Wahnsinn.

Wir befinden uns also im Wald und wissen nicht, wohin wir gehen. Der Wald ist bedroht, nicht durch sauren Regen, sondern durch Ausverkauf, Rodungen, Ölbohrungen, gentechnisch verändertes Saatgut. Das ist schlimm, weil im und vom Wald Menschen leben, die ohne ihn nicht leben können, mit ihm aber sehr gut.

Der Wald wird verwüstet. Verwüstung ist mehr als Zerstörung. Die Zerstörung beseitigt nur das bisher Gewachsene und Gebaute, die Verwüstung aber unterbindet künftiges Wachstum und verwehrt jedes Bauen. Das Wort „die Wüste wächst“ kommt aus einem anderen Ort als die gängigen Beurteilungen unserer Zeit. „Die Wüste wächst“, sagt Nietzsche. Er fügt hinzu: „weh dem, der Wüsten birgt“.

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