Bildungspolitik in Österreich: Sparen kommt Staat teuer zu stehen
Ein früherer Student der Medizin klagt mit Erfolg auf Schadensersatz. Sein Abschluss hatte sich um ein Jahr verzögert, weil Seminarplätze fehlten.
WIEN taz | Sparen bei der Hochschulbildung rächt sich in Österreich. Zumindest im Fall eines ehemaligen Medizinstudenten, der jetzt vom Obersten Gerichtshof (OGH) mit seiner Schadenersatzklage gegen die Republik recht bekam.
Der Kläger bekam im Studienjahr 2005/2006 an der Medizinischen Universität Graz ohne eigenes Verschulden keinen Platz in einem entscheidenden Seminar. Dadurch verzögerte sich sein Abschluss um ein Jahr. Der Mann, der längst fertiger Arzt ist, klagte zusätzliche Lebenshaltungskosten, Studiengebühren und Verdienstausfall ein.
Die Beharrlichkeit des Klägers lohnte sich: Anders als die beiden Vorinstanzen befand der OGH, dass sich die Republik nicht auf ihr eigenes Versagen herausreden könne. Die hatte argumentiert, dass die Uni nicht genügend Lehrpersonal gehabt habe, um eine Parallelveranstaltung anzubieten.
„Mangelnde finanzielle Mittel“, so das Höchstgericht, können nicht als Entschuldigung dienen. Der Staat „war verpflichtet, den Universitäten jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen (auch bei steigenden Studierendenzahlen) zu erfüllen“.
Keine Klagewelle erwartet
Die Universitäten werden finanziell kurz gehalten. Sie kämpfen schon seit Jahren mit überfüllten Hörsälen und schaffen es kaum, die vorhandene Infrastruktur angemessen zu erhalten. Der OGH sieht aber „ein Recht der Studierenden, dass ihnen bei beschränkten Plätzen keine Verlängerung der Studienzeit erwachse“.
Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) fürchtet nach diesem Urteil „jedenfalls keine Klagswelle“. Denn an den Medizinunis gebe es seit sieben Jahren „entsprechende Regelungen“. Gemeint sind die Aufnahmeprüfungen und Studienplatzbeschränkungen.
Dass es mehr Geld geben werde, um den Unis die Aufnahme aller Studienwilligen zu ermöglichen, schloss der Minister in einer ersten Reaktion aus. Auch der auf Hochschulrecht spezialisierte Jurist Werner Hauser glaubt nicht, dass viele sich nun ermutigt fühlen, gegen den Staat zu klagen: „Es geht darum, dass ein konkreter Schaden nachgewiesen werden muss.“ Bei Ausbildungen, mit denen die „Erwerbschancen gegen null gehen“, sei es schwierig, einen Verdienstausfall glaubhaft zu machen.
Die Hochschulpolitik gehört zu den Zankäpfeln der SPÖ-ÖVP-Koalition. Während die ÖVP 2003 mit der FPÖ Studiengebühren eingeführt hatte, veranlasste die SPÖ deren Abschaffung und tritt mit der Hochschülerschaft für den freien Zugang zu den Universitäten ein. Ein höheres Hochschulbudget konnte sie nicht durchsetzen.
Leser*innenkommentare
daryl
Gast
Der Kerl sollte das Geld gefälligst
den Unis spenden für mehr Personalaquierung
bezüglich des fraglichen Seminars.
Es kann nicht sein, dass einer hier die Allgemeinheit
blechen läßt für Nachteile, die soviele auch
erleiden müssen ohne ihrerseits entschädigt
zu werden.
Es sind die Unis, die ihr möglichstes geben sollen,
jeden eine Chance auf Absolvierung des Studiums
zu geben, der im Studium auch die Leistung dafür
liefert!
Schadensersatzklagen dieser Typen, zwingen
Unis zur Risikominimierung und verschärfter
Selektion bei der Studienzulassung.
Das ist völlig gegen den Geist der Universitäten
durch Leistung und Einsatz seine Chance auf
ein erfüllendes Berufsleben zu nutzen.
Privatparasitismus an öffentlichen Bildungsgeldern
lehne ich rigoros ab!!
Die Seminarproblematik mit einjährigen Zeitverzug
liegt innerhalb des tolerierbaren Studentenrisikos.
Die materielle Existenz ist nicht gefährdet, denn
dieses eine Jahr hätte er weiter als Praktikant
oder Pflegekraft oder Hilfswissenschaftler, Berater,
Labormitarbeiter, Bibliotheksmitarbeiter,
Student (mit zusätzlichen alternativen Fächern
und entsprechenden Stipendium) verbringen können.
Auch die österreichische Rechtssprechung, ebenso
die deutsche Rechtssprechung, wird in Finanzangelegenheiten immer bizarrer.
Das Allgemeinwohl und die Finanzgrundlagen zur
Finanzierung der Bildung sind ein wesentlich
bedeutsameres Rechtsgut, als die Begleichung
etwaiger Verdienstausfälle für Absolventen
außerhalb des Unibetriebs!
An der Eignung zum Medizinberuf muss gezweifelt
werden, wenn finanzielle Interessen das ausschlaggebende Kriterium sind!
Solche Leute sind nicht geneigt den Einsatz in Kriegs-
und Katastrophengebieten und den Schichtenmarathon
auszuhalten, sondern nur auf Profitmaximierung
konzentriert.
Sie sind im Ernstfall, ihr Geld nicht wert.
Anon
Gast
"Bei Ausbildungen, mit denen die „Erwerbschancen gegen null gehen“, sei es schwierig, einen Verdienstausfall glaubhaft zu machen."
Das ist doch jetzt ein ziemliches Eigentor, oder?
Karies
Gast
Das hat die Uni aber sehr ungeschickt gemacht. Bei uns werden einfach so viele Leute durch den Kurs des Vorjahres geschmissen, dass keine Überbelegung zu erwarten ist - oder umgekehrt bestehen auch mal alle einen Kurs, damit es sich im Semester davor nicht staut.
Illegal dürfte das natürlich auch sein, aber dass soll mal einer Nachweisen - obwohl es ein Professor fast schon in der Vorlesung angekündigt hat, dass es so läuft.