Nach dem Einsatz am Neptunbrunnen: Ein Schuss wirft Fragen auf
Die Debatte um Elektroschocker für Polizisten flammt neu auf. Experten bezweifeln, dass der Schütze in Notwehr handelte.
Das Wasser aus dem Neptunbrunnen ist abgelassen. Am Sonntag stehen vor dem Brunnen Grablichter, daneben hängt in einer Klarsichthülle ein weißer Bogen Papier. Ein einziges Wort steht darauf: „Warum?“
Am Freitag war in dem Brunnen vor dem Roten Rathaus ein mit einem Messer bewaffneter nackter Mann von einem Polizeibeamten erschossen worden. In den Medien und Politik hat am Wochenende die Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Schussgabe und alternative Einsatzmittel begonnen. Innensenator Frank Henkel (CDU) sprach sich dafür aus, Streifenbeamte mit Elektroschock-Pistolen, so genannten Tasern, auszustatten. Bis jetzt ist nur das Spezialeinsatzkommando (SEK) damit ausgestattet. Unterstützung erhält Henkel von den beiden Polizeigewerkschaften und dem seit 2005 in Ruhestand befindlichen früheren Leiter des SEK, Martin Textor.
Drei Tote durch Polizisten
Seit August 2011 sind in Berlin drei Menschen von Polizisten erschossen worden. In allen Fällen, den aktuellen Fall eingeschlossen, handelte es sich bei den Opfern um mutmaßlich geistig verwirrte Personen, die jeweils mit Messern bewaffnet waren. „Mit dem Taser hätte es diese drei Toten nicht gegeben“, sagte Textor am Sonntag der taz. Das sei aber nicht als Kritik an den Schützen zu verstehen, betont er. In allen drei Fällen sei von einer Notwehrsituation auszugehen.
Was den Vorfall vom Freitag angeht, gehen die Interpreationen indes weit auseinander. Im Internet kursiert ein Video von der Tat. Man sieht, wie ein Polizist mit erhobener Pistole im Neptunbrunnen steht und sich ein großer nackter Mann mit einem Gegenstand in der Hand auf ihn zu bewegt. Es ertönt der Ruf: „Messer weg. Messer weg“. Der Mann geht weiter auf den Beamten zu. Der weicht zurück, bis er an den Brunnenrand stößt und nicht mehr weiter kann. Der Mann ist ungefähr zwei Armlängen von dem Beamten entfernt, da knallt ein Schuss. Unmittelbar nach dem Knall stolpert der Beamte in einer Halbdrehung über den Rand nach draußen. Der Getroffene stockt, macht noch zwei Schritte nach vorn, bleibt stehen, taumelt zurück, versucht sich an einer der Bronzefiguren festzuhalten. Dann sackt der Körper ins Wasser.
Weit über 200.000 User haben das Video bei Youtube bis zum Sonntagnachmittag geklickt. Bei Facebook wurde der Film über 7.500 Mal geteilt. „Die ganze Situation hätte man auch anderes lösen können“, ist die überwiegende Meinung der Kommentatoren. So schrecklich die Bilder sind – die Öffentlichkeit versetzen sie in die Lage, sich ein eigenes Bild von den Vorgängen zu verschaffen. Der CDU-Medienexperte Michael Kretschmer indes forderte Facebook auf, das Video aus dem Netz zu nehmen. „So etwas darf nicht gepostet werden“ sagte Kretmscher.
Innensenator Henkel und die Polizeigewerkschaften verteidigten am Wochenende das Vorgehen des Beamten. „Vieles spricht dafür, dass er in Notwehr gehandelt hat“, sagte Henkel. Zunächst gelte es aber den Ausgang der Ermittlungen abzuwarten. Heftige Kritik an dem Vorgehen der Polizei übte ein nicht namentlich genannter Polizeirechtler gegenüber dem Tagesspiegel: Bei dem Einsatz seien zahlreiche schlimme Fehler gemacht worden. „Letzlich hat der Beamte die Notwehrsituation selbst herbeigeführt“, zitiert das Blatt den Mann.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Dirk Behrendt, fragt sich, warum die Beamten nicht den Sozialpsychatrischen Dienst hinzugezogen haben. Man hätte den Mann auch mit einem Schuss ins Bein stoppen können, meint er. Henkels Forderung nach Einführung des Tasers kommentierte Behrendt mit den Worten: „Das Blut ist noch nicht aus dem Brunnen, da holt Henkel schon seine ganzen alten Sicherheitsforderungen aus der Schublade.“
Leser*innenkommentare
Hatem
Gast
Dirk Behrendt von den Grünen hätte den Messer-Mann also mit einem Schuss ins Bein gestoppt?
Offenbar hat Herr Behrendt noch nie mit einer scharfen Waffe geschossen, sonst wüsste er, dass es gar nicht so einfach ist, damit etwas zu treffen, zumal, wenn sich das Ziel bewegt.
Und offenbar ist Herrn Behrendt auch nicht klar, dass man mit einem Beinschuss nicht einen Menschen stoppen kann, der in der Vorwärtsbewegung ist und nur noch einen Meter entfernt.
Aber eine entschiedene Meinung abgeben, das kann Herr Behrendt natürlich.
Molly Grue
Gast
es ist ätzend, auch dieser Bericht eine Abschrift des Polizeiberichts. Wer Augen hat zu sehen, der sieht etwas ganz anderes. Aber es ist müßig. Interessiert doch in keinen.
Ist doch nur ein weiterer Irrer, der "entsorgt" wurde.
lowandorder
Gast
Vorweg: auf dem low statt law besteh ich;
nich, daß jemand denkt, ich würd son
ungenießbares Zeugs ala ' law…' verzapfen.
In der Sache:
Das Video ist ja wohl offensichtlich gelöscht;
sehr schräg das;
Aber - zuvor schon zu recht angemerkt:
was bitte, hatte der Polizist - noch dazu allein -
in dem mit Wasser gefüllten Brunnen zu suchen?
in dem sich ein ganz offensichtlich verwirrter Mensch
aufhielt!
Die Selbstgefährdung dieses Menschen ist ja das eine;
daß eine Abwehr der Gefährdung anderer ( einschließlich
des/der Polizeibeamten) auf anderem Wege nicht
möglich gewesen sein soll, ist von niemand dargelegt,
noch irgendwie erkennbar,
Der Mann wäre schlicht nicht der erste, den man mit einem
C-Schlauch einfach "umgepustet" - von den Füßen hätte
holen können;
wenn schon die " normalen Einsatzmittel" nicht ausgereicht haben
sollten - wie im Nachhinein behauptet.
Für die (politisch) Verantwortlichen gilt,
sich vor (Polizei)beamte stellen, kann angezeigt sein;
ist aber als schnöde-blöde Reflexhandlung schlicht kontraproduktiv!
Wer aus nächster Nähe in einem wassergefüllten Brunnen
( hier: - wie immer darein gekommen) einen offensichtlich
bekannt verwirrten Mann aus nächster Nähe in die Brust
schießt - hat ein Problem;
gehört - vorläufig und schon aus Schutzgründen -
" aus dem Verkehr gezogen";
und eine dienst- wie strafrechtliche
Untersuchung gehört eingeleitet.
Das - und vor allem das - gebietet,
die den Verantwortlichen/Senator/ Vorgesetzten
obliegende Fürsorgepflicht.
Wer das im Prozess gegen Lothar König in den
Prozeß eingeführte Video sich vor der Folie "Aussage" des
Einsatzleiters ' zu Gemüte" geführt hat, kann
nach 20 Jahren plus Dienstrecht
den Vorgenannten wie den Polizeigewerkschaftern
nur dringender raten:
" kommt runter von euren 'Säulen des Banalen';
diese Tibetanische Gebetsmühle:
" die Polizei macht keine Fehler";
"wir haben immer recht"; usw etc usw;
will schlicht niemand mehr hören;
akzeptiert, daß ihr in euren Reihen nicht nur
Besonnene, Umsichtige habt!
Die auftauchenden Videos, die Dokumentationen
von Amnesty machen mehr als deutlich,
daß nach RAF/ Wende 90 usw eine Entwicklung
(wieder- roll back -) eingetreten ist,
an deren Weiterungen das
Gewaltmonopol nicht nur im öffentlichen Diskurs,
sondern ganz praktisch-handgreiflich
in Frage gestellt werden könnte.
Niemand, der alle Nadeln auf der Tanne hat,
kann das wollen.
Ausgangspunkt:
Ein verwirrter Mann ist in einem Brunnen
im Beisein von 10 Polizisten mit einem Schuß
in die Brust aus nächster Nähe erschossen worden.
Da - und nur da - liegt die Latte!
Das ' indiziert' nach unserem Strafrecht grundsätzlich
die Strafbarkeit wegen Totschlages.
Da muß eine gewaltige Menge an juristisch
relevanten Entlastungsmaterial aufgeboten werden,
um diese Tat zu rechtfertigen
oder ggfls. zu entschuldigen.
Alles andere ist - a Schmarrn.
Wer glaubte, der Albtraum der Schupos in den mörderischen
Polizeibataillonen nach dem Krieg gehöre strukturell und einstellungsmäßig
der Vergangenheit an;
die bleierne Zeit via RAF und danach
sei durch verbesserte Ausbildung, Einsatz von Polizeipsychologen ala
Hermann Schreiber kompensiert;
ja - der sieht sich angesichts dieser Vorfälle und
der mörderisch-unsäglichen Tragödie NSU
veranlaßt, mehr als ein Fragezeichen zu machen.
In diese sich aufdrängenden Fragen Klarheit
zu schaffen, ist die dringendste Aufgabe der
Verantwortlichen.
Einen auf exkulpierende "dicke Hose" zu machen,
verhöhnt das Opfer und - mit Verlaub - gefährdet
zunehmend den öffentlichen Frieden der res publica!
Sorry - that's the job!
Daß jetzt demgegenüber die sattsam bekannten
Dünnbrettbohrer, also Scharfmacher aus der
Kaste der selten Begabten ( vulgo: Politiker)
sich als schovele Boofkes-Trittbrettfahrer erweisen
und Ausbau der Bewaffnung, Taser et al fordern,
wirft genau das eklig-klebrige "Licht" auf die Szene;
der jeglicher Anlaß recht ist, den öffentlichen
Raum zum Aufmarschgebiet der Ordo-Hengste
zu usurpieren.
luris
Gast
"ein nicht genannter Polizeirechtler" - da kommt Vertrauen auf.
ama.dablam
Gast
In der Einleitung steht was von Experten (Plural), im Text finde ich nach einigem Stöbern einen Anonymus.
Nicht Ihr Ernst, oder?
Jane
Gast
Was passiert eigentlich, wenn man mit einen Taser in einen Brunnen schießt? Föhn in der Badewanne?
super
Gast
Zitat:
„Die ganze Situation hätte man auch anderes lösen können“, ist die überwiegende Meinung der Kommentatoren."
Ja es ist immer wieder toll wenn Leute die nur einen Teil wissen und selbst nie in einer solchen Situation waren hinterher es besser wissen.
JoeNight
Gast
„So etwas darf nicht gepostet werden“ sagte Kretmscher.
Ohhh, wie bequem. Warum bitte darf so etwas nicht gezeigt werden?
Ich bin an dieser Stelle mal Schwein und behaupte, dass ein solcher Schuss nur mit knallharter Tötungsabsicht agegeben wird. Ein Schuss ins Bein hätte denselben Dienst getan. Nur hätte er nicht erneut die besoffene Taserdiskussion hochgebracht.
Wenn die Polizei ihre geliebten Taser nicht bekommt, dann erschießt Sie halt solange Menschen bis die Öffentlichkeit nachgibt. Oder was soll das hier werden?
Und Herr Kretmscher treibt mir da erst recht die Galle hoch. Ein solches Apologetenverhalten ist einfach nur zum kotzen. Zeigt jetzt endlich mal jemand den Todesschützen wegen Mordes an?
Karl
Gast
Leider nur Unfug aus der Politik!
1. Extremitätenschüsse sind nicht stoppend, zudem oft fremdgefährdend, da in der Bewegung kaum zu treffen.
2. Es spricht aus pol. Sicht sicher nichts gegen die Veröffentlichung der, tatsächlich nicht "schönen" Bilder!
3. Taser ist nur für statische Lagen und immer von einem Sicherungsschützen (oder 2) begleitet! Wenn, müsste auch wegen der taserimmanenten technischen Schwierigkeiten die mehrschüssige Bauform angeschafft werden.
Und zur Weiterbildung für Frau Plarre:
Beim Messerangriff gilt die "7 m Regel"!
Herr Behrend macht sich durch seine betroffenheitsgetrübte Analyse definitiv mitschuldig an den folgenden, möglicherweise unnötigen Opfern!
Na ja, "Rechtspolitiker" haben ja seltenst noch einen Draht zur Lebenswirklichkeit...
Glück auf!
Karl
"Polizeigewerkschaften verteidigten (...) das Vorgehen des Beamten"
Gast
Über 400 Verletzte, darunter mind. 4 Schwerverletzte, 2 erblindete Augen, 1 Schädelbruch, 6 gebrochene Nasen, bis heute Gliederschmerzen sowie traumatisierte Kinder durch Schlagstöcke, Reizgas ("Pfefferspray") und Wasserwerfer - das war/ist die Bilanz vom Schwarzen Donnerstag in Stuttgart.
http://img594.imageshack.us/img594/8185/mdgl.jpg
http://img23.imageshack.us/img23/4917/hn65.jpg
http://img855.imageshack.us/img855/2755/0jni.jpg
Dazu der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt: "Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie."
Lorenz
Gast
Der Einsatz verlief vorbei an jeder Regel.
Ein Polizist rechts, einer links.
Keiner innerhalb des Brunnens.
Beide mit einer 'Pferdedecke'.
Aufforderung, den Brunnen zu verlassen und das Messer aus der Hand zu legen.
Unterstützung durch Sanitäter bei Ansprache.
Es bedurfte nicht des Gebrauchs einer Schusswaffe.
Tobi
Gast
Warum geht die taz gleich davon aus, dass die Polizeibeamten unrechtmäßig gehandelt haben?
Ich wundere mich ein wenig über den journalistischen Stil, der meines Erachtens recht einseitig ist.
Als Beleg dient hier die Tatsache, dass die Mehrheit der Facebook-Kommentatoren (alles sicher ausgesprochen kompetente Fachleute) den Schusswaffengebrauch kritisch sieht. Und es wird ein namenloser Polizeirechtler genannt. Da allem Anschein nach fast alle Leute mehr Ahnung vom Beruf der Polizeibeamten haben als diese selber, kann das auch fast jeder sein. Der Mut zur Namensnennung unterbleibt.
Wer sich schon einmal näher damit befasst hat, wie ein Messerangriff vonstatten geht und welche Folgen er hat, der hätte hier beschämt geschwiegen. Auch die Aussagen des Grünen-Politikers Behrendt zeugen von Inkompetenz. Das wäre vermeidbar, hätte er sich mit dem ähnlichen Fall eines Schusswaffengebrauchs in Regensburg vor einigen Jahren befasst. Scheinbar entspricht es allerdings dem Leitbild dieser Partei, voreingenommen zu verurteilen, obgleich man sich mit der Materie nicht auskennt.
Messerangriffe sind extremst gefährlich, ein geübter Schütze benötigt bei einem Angriff ca. sieben Meter Abstand, um überhaupt eine Chance zu haben, den Angreifer handlungsunfähig zu schießen. Andernfalls würde er schwer verletzt, bzw. getötet.
Ich ärgere mich über diese einseitige Berichterstattung, da es hier meines Erachtens keinen Anfangsverdacht einer rechtswidrigen Tat durch die Polizeibeamten gibt.
Und: auch für Polizisten gilt die Unschuldsvermutung....!