Diskussion über Flüchtlingslager: Schöne neue Lagerwelt

Viktimisierung, Armut und Passitivität. Kann man die üblichen Flüchtlings-Narrative durchbrechen? Darüber diskutierte man in der Kölner Akademie der Künste.

Anlaufstelle für syrische Flüchtlinge: Das Lager „New Zaatri“ in Jordanien Bild: reuters

KÖLN taz | Die Blätter rauschen, der Park am Ostasiatischen Museum ist voller Sonnenanbeter und dazwischen sitzt eine Gruppe von etwa 25 Teilnehmern auf weißen Stühlen und diskutiert über Flüchtlingslager. Ein Bild, das nicht der Komik entbehrte.

Doch die Architekten Alessandro Petti und Sandi Hilal, die sich als Stipendiaten der Akademie der Künste der Welt in Köln aufhalten, legen Wert auf die Öffentlichkeit der Veranstaltungsorte während ihres mehrtägigen Symposiums.

Hatte schon das Setting nichts mit den üblichen Lectureformaten zu tun, so noch weniger die Problemstellung: Lässt sich das Flüchtlingslager als neue Form des Kollektiven denken? Die Frage klingt nur auf den ersten Blick zynisch. Das italienisch-palästinensische Duo ist Gründer von Campus in Camps, einem experimentellen Bildungsprogramm im Flüchtlingslager Dheisheh bei Bethlehem.

Ziel des zweijährigen Projekts ist es, die üblichen Flüchtlings-Narrative von Viktimisierung, Armut und Passivität zu durchbrechen und aus der Organisationsform des Lagers Ansätze zu entwickeln, die auf eine Rückgewinnung des Gemeinschaftlichen abzielen.

Ganz eigene Strukturen

90 Prozent aller Flüchtlingslager existieren länger als fünf Jahre; das Flüchtlingslager Dheisheh seit 1949. Es hat 13.000 Bewohner und verfügt längst über ausdifferenzierte urbane und kommunale Strukturen. Diesen Wissensvorrat wollen Petti und Hilal aktivieren. Dass sich die Wissenschaft jenseits der Machttheorien von Foucault bis Agamben damit kaum beschäftigt habe, wie beide sagen, stimmt so indes nicht. Das zeigt etwa das Refugees Studies Centre in Oxford.

Hilal und Petti versuchen, Gemeinschaft „jenseits des Begriffspaares von privat und öffentlich“ neu zu konzipieren. Das Flüchtlingslager funktioniert dafür als Beispiel, da es weder den palästinensischen noch den israelischen Behörden untersteht oder privaten Grundbesitz kennt. Das Duo zog deshalb auch Parallelen zu den Eigentumsverhältnissen des osmanischen al-Masha und stellte nationalstaatliche Strukturen im Nahen Osten infrage.

Das Problem: Die derzeitigen Strukturen sind untrennbar mit dem Status als Flüchtlingslager verbunden. Und für die älteren Bewohner ist das Lager nicht vom „Narrativ der Rückkehr“ zu trennen, wie Sandi Hilal betonte – obwohl das Exil bereits seit 65 Jahren andauert und die jungen Generationen kein „früher“ kennen.

So wie der junge Ahmad al-Lahman, der in Dheisheh geboren und aufgewachsen ist. In Köln erklärte er, wie anders Öffentlichkeit und Gemeinschaft dort funktionieren: Seine gläubige Mutter trägt in Dheisheh kein Kopftuch, außerhalb schon. Das Lager konstituiert sich als Innenraum ohne Fremde – vielleicht auch als gated community?

Die Gefahr dieser Diskussion lag vor allem in der Idealisierung des Flüchtlingslagers. Dagegen wandte sich denn auch der belgische Philosoph Lieven de Cauter, der das Gemeinschaftliche als einen Ort des Austauschs ohne staatlichem Einfluss definierte.

Auch der palästinensische Architekt Yazid Anani sparte nicht mit Methodenkritik an den beiden Kollegen, die im Herbst zum selben Thema einen Workshop in Berlin abhalten werden.

Kölner Debatten-Generator

Insgesamt belegte die Veranstaltung den Stellenwert der Kölner Akademie der Künste der Welt als Debatten-Generator, obwohl der nach zehn Monaten ins Stottern geraten war. So war Präsidentin Galit Eilat wegen angeblich zu geringen Einflusses der Mitglieder von der Programmgestaltung zurückgetreten.

Unausgesprochen richtete sich die Klage gegen Generalsekretärin Sigrid Gareis. Nun, nach einer Mitgliederversammlung, wurde daraus ein Rücktritt vom Rücktritt: Eilat kehrte in ihr Amt zurück, Gareis scheidet Ende des Jahres aus.

Hinter den Kulissen wird derzeit an Strukturverbesserungen gearbeitet. Klar ist aber, dass es ohne eine intellektuell profilierte Persönlichkeit, die auf Augenhöhe mit Mitgliedern, Kulturinstitutionen und der Politik kommunizieren kann, nicht gehen wird.

Außerdem fehlt es der Akademie an Profil. So spannend die Highbrow-Diskussionen mit Petti und Hilal sein mochten, so wichtig sind die versprochenen Kooperationen mit Kulturinstitutionen in Köln. Mit Symposien wird sich die unberechenbare politische Kaste im hoch verschuldeten Köln jedenfalls nicht mehr lange trösten lassen.

„Al-Masha or the Space of the Common“. Nächster Workshop von Sandi Hilal und Alessandro Petti, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 30. 10. bis 1. 11. 2013

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