Hat sich der Irakkrieg gelohnt?
JA

Intervention Vor zehn Jahren begannen die Luftangriffe auf Bagdad. Zehntausende Menschen starben. Heute ist das Land frei – aber nicht stabil

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Thomas von der Osten-Sacken, 44, leitet die im Irak tätige Hilfsorganisation Wadi e. V.

Vor genau 25 Jahren bombardierten Kampfflugzeuge der irakischen Luftwaffe die Stadt Halabdscha mit Giftgas. 5.000 Zivilisten starben damals einen qualvollen Tod. Die Überlebenden des Massakers wurden deportiert, in anderen Teilen des Irak zwangsangesiedelt oder gleich an Ort und Stelle exekutiert. Heute leben wieder geschätzte 100.000 Kurden in Halabdscha, sie haben eine Zukunft. Denn die Diktatur Saddam Husseins ist Vergangenheit.

Wie viele Hunderttausende Iraker dem Terror des Saddam-Regimes zum Opfer gefallen sind, weiß man bis heute nicht, allerdings sprechen Hunderte von Massengräbern, die inzwischen überall im Land entdeckt wurden, eine deutliche Sprache.

Entsprechend schwer fiele es auch, nur einen Bewohner Halabdschas zu finden, der 2003 nicht den Krieg unterstützt hätte. Der Einmarsch amerikanischer Truppen wurde sogar ausdrücklich als Befreiung begrüßt, und das nicht nur von den Kurden.

Vor einigen Jahren starben damals täglich Dutzende bei Terroranschlägen und Scharmützeln. Auf einer Konferenz in Katar fragte der Moderator die anwesenden, aus allen Teilen des Landes stammenden Iraker, ob sie, hätten sie gewusst, dass Terror, Chaos und Bürgerkrieg dem Ende der Diktatur im Irak folgten, den Krieg trotzdem befürwortet hätten. Zum großen Erstaunen, vor allem der europäischen Teilnehmer, bejahten alle ohne Zögern die Frage.

Was aber ist aus den Versprechungen von George W. Bush und Tony Blair geworden, man werde den Irak in ein demokratisches und prosperierendes Land, ja ein Vorbild für den Nahen Osten verwandeln? Bekanntermaßen leider nicht viel. Es ist, zieht man Bilanz, mit Ausnahme der kurdischen Autonomiegebiete, um den Irak alles andere als gut bestellt.

Wenn Aufständische aus Syrien den Westen dieser Tage verzweifelt anflehen, doch gegen das Regime Baschar al-Assads zu intervenieren, dann tun sie dies, obwohl sie wissen, wie der Irak sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Sie wissen nämlich auch, dass es fast unmöglich ist, eine Diktatur aus eigener Kraft zu stürzen, die bereit ist, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu wehren, und lieber ein ganzes Land in Schutt und Asche legt, als abzutreten. Kein Regime im Nahen Osten ging je so brutal gegen jede Form von Opposition vor wie das irakische. Kurzum, ohne Militärinvasion wäre Saddam Hussein weiter an der Macht geblieben und das Land heute noch jene orwellsche „Republik der Angst“, deren Schrecken der irakische Autor Kanan Makiya einst so eindrücklich beschrieben hat.

Nein

Najem Wali, 56, geboren in Basra, ist irakischer Schriftsteller und lebt in Berlin

Nein. Kein Krieg hat sich in der Geschichte der Menschheit gelohnt. Und dieser Krieg noch weniger. Er wurde nicht deshalb zum Desaster, weil die Iraker, wie manche behaupteten, die Demokratie ablehnten.

Im Gegenteil: Wir haben in der Zeit zwischen dem Beginn der Kampfhandlungen, am 20. März 2003, und der Flucht Saddam Husseins Anfang April erlebt, wie das totalitäre Regime von seinen Bürgern und seiner Armee im Stich gelassen wurde. Vor allem zwei Bilder haben sich eingeprägt: einerseits der einsame Todeskampf einer der grausamsten Diktaturen des Nahen Ostens; und andererseits die Invasion einer der höchst gerüsteten Armeen der Welt.

Der Ausgang der Schlacht stand von Vorneherein fest. Letztendlich war entscheidend, dass sich die Bevölkerung nicht mit dem undemokratischen Regime identifizierte. Nach der Einnahme von Bagdad hat dann die amerikanische Propaganda den Irakern das Blaue vom Himmel versprochen: Die Demokratie werde ihnen eine moderne, gut funktionierende Wirtschaft, dauerhaften Frieden und ein Leben in Sicherheit bringen.

All das, was ihnen in den 35 Jahren, in denen Saddam Hussein und seine Partei mit eiserner Furcht herrschten, abgegangen war. Und heute, zehn Jahre später?

Die totale Zerstörung: Drei Jahre Bürgerkrieg (2005–2008) haben die Iraker hinter sich, dessen Merkmale bis heute die hohen Betonmauern sind, die sich um ganze Stadtteile ziehen. Im Grunde ist die gesamte irakische Hauptstadt mittlerweile in eine einzige Festung umgewandelt, dazu kommen korrupte Politiker, Stromausfälle, verseuchtes Wasser, Armut und Krankheiten, entstellte Demokratie, Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung von Frauen und Minderheiten, Demos im Westen des Landes, Streit mit den Kurden im Norden. Keiner der Theoretiker der „demokratischen Invasion“, keiner der alten und neuen Konservativen möchte sich die unbequeme Frage stellen, wo die Gründe dafür zu suchen sind, dass es mit diesem Land, das eigentlich zu einem Fanal für die Demokratie werden sollte, so weit gekommen ist. Selbst in absehbarer Zukunft wird sich die Lage nur noch verschlechtern. Zehn Jahre sind vergangen in diesem Krieg. Welche Lehre hat man daraus gezogen?

Die Antwort ist: keine. Nichts gibt Anlass zu Optimismus, umso weniger noch, da niemand, weder in der amerikanischen Regierung noch in den westlichen Regierungen, bereit zu sein scheint, aus den Lügen die entsprechenden Lehren zu ziehen. Man braucht nur nach Libyen zu schauen oder nach Mali.