Drangsalierung in der Haft: „Dieser Fall wiegt schwer“

In Braunschweig soll ein 17-jähriger Untersuchungshäftling misshandelt worden sein. Nun ermittelt eine Expertenkommission, ob es in der JVA strukturelle Probleme gibt.

Die Justizvollzugsanstalt Rennelberg. Bild: dpa

HAMBURG taz | Zwei Monate hielten die Drangsalierungen an – von Juni bis Juli. Sechs Täter, ein Opfer. Drei Tage nachdem sich das Opfer dann der Anstaltspsychologin in der BraunschweigerJugend-Untersuchungshaft der JVA Wolfenbüttel anvertraute, machte die niedersächsische Justizministerin den Vorfall letzten Donnerstag öffentlich: „Wir haben es mit einer schwierigen und in weiten Teilen gewaltbereiten Klientel zu tun“, sagt Antje Niewisch-Lennartz (Grüne). „Das können wir nicht ändern. Wir müssen allerdings dieser Kultur der Gewalt entschlossen eine Kultur der Ächtung dieser Gewalt entgegensetzen.“

Eine eigens installierte Expertenkommission soll nun in Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft klären, inwieweit „interne und organisatorische Ursachen in der Struktur der JVA Wolfenbüttel“ im Fall eine Rolle spielen könnten, so der Sprecher des Justizministeriums, Alexander Wiemerslage. Zu den Fortschritten der Ermittlungen aber will weder er noch die Staatsanwaltschaft Auskunft geben. Gerade weil man die Option wählte, „dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit zu genügen“, seien die Persönlichkeitsrechte von Opfer und Täter besonders zu wahren.

Dieser Anspruch dient dem Justizministerium als Argument gegen die Kritik vonseiten des rechtspolitischen Sprechers der FDP-Landtagsfraktion Marco Genthe. „Mir geht es um das Opfer“, so Genthe. Das „vorschnelle Handeln“ der Ministerin beweise kein Fingerspitzengefühl; Opfer und Täter in ihrer Intimität und Ermittlungen in ihrem Fortschritt würden von der „politischen Bühne“ missachtet und behindert. Politische Diskussionen beim derzeitigen Stand der Ermittlungen nützten niemandem, seien „unüblich und kontraproduktiv“, so Genthe weiter. Erst untersuchen, dann mit Lösungen an die Öffentlichkeit, so seine Forderung.

Lösungen für die Gewaltproblematik im Gefängnis? Da sieht sich das Justizministerium auf gutem Wege: Man setze Projektgruppen aus Psychologen, Vollzugsbeamten und Ministerialbeamten ein, um die Rückfallquote, begünstigt durch „psychologische und psychiatrische Defizite der Straffälligen“, zu bekämpfen. Die Verbesserung psychologischer Beratung, moderne Haftkommunikationsanlagen und Schließsysteme, mittels derer man selber entscheiden kann, ob man seine Ruhe haben möchte oder nicht, seien nur einige Beispiele. Anti-Aggressionsprogramme seien in der U-Haft dagegen nicht vorgesehen, in deren Genuss kommen lediglich Menschen, bei denen die Straffälligkeit bereits festgestellt wurde.

Von 4.985 männlichen Häftlingen aus fünf Bundesländern gab in einer Befragung jeder Vierte an, in der Haftzeit unter körperlichen Übergriffen gelitten zu haben, so ein Forschungsbericht des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, mit dem das niedersächsische Justizministerium zusammenarbeitet.

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