Porträt eines Boxers: Aus der Dunkelheit

Hamid Rahimis heile Welt zerbricht, als vor seinen Augen eine Fahrradbombe explodiert und seinen besten Freund zerreißt. Die Geschichte des Kriegskindes, Kriminellen, Friedensaktivisten erinnert an eine Heldensaga.

Mehr Wille als Talent: Hamid Rahimi hat seine Boxerhündin Tysi genannt, nach dem Boxer Mike Tyson. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Hamid Rahimi hat keine Zeit. Er sitzt gebeugt über einem Tisch aus weißem Hochglanz-Kunststoff. Die Worte überschlagen sich in seinem Mund. Er fummelt am Smartphone herum, waagerecht halten, nein, doch besser senkrecht. Das bin ich mit Don King, sagt er. Und: „Der war Manager von Muhammad Ali und Mike Tyson.“ Don King, der Mann mit der Starkstromfrisur, hat einen Naturtrieb für lukrative Geschäfte. Er will den nächsten Kampf des Mittelgewichtlers Rahimi in Afghanistan organisieren. Ein Videoclip, Rahimi drückt Play. „No bombs, no bullets, no dynamite. We shall fight for peace. I love you.“ Rahimi gibt dem rappenden Don King die Hand und lächelt schüchtern. „Thank you.“ Das Video der beiden wurde einen Tag zuvor in Budapest aufgenommen, auf der jährlichen WBO-Box-Convention. Die hat schon überall auf der Welt stattgefunden, sagt Rahimi. „Nächstes Jahr ist sie in Las Vegas.“ Es klingt wie ein exotischer Ort.

Gestern der King und János Áder, Ungarns Präsident, übermorgen nach Turkmenistan zur Internationalen Konferenz „Junger Wissenschaftler“. Der 1983 in Kabul geborene Hamid Rahimi ist gefragt. Die Geschichte von einer Kindheit im afghanischen Bürgerkrieg bis zum gefeierten Boxer, der sich für Frieden in seiner Heimat einsetzt, erinnert an eine Heldensaga. Eine, wie sie Hollywood gerne erzählt in „The Fighter“ und „Cinderella Man“ mit Russell Crowe.

Die beiden Filme liegen als DVD unter Rahimis Fernseher. In „The Fighter“ geht Mark Wahlberg mit leerem Magen zum Kampf. Das hat Rahimi beeindruckt. Beschränkungen, Nachteile, er kennt das. Seine Kindheit sei eine schlimme Zeit gewesen, sagt er. Jeden Tag Raketen, Schüsse aus Maschinengewehren. Die Familie, die Freunde, sie sind das Schutzschild. „Man lebt in seiner eigenen Welt.“ Die heile Welt zerbricht, als vor seinen Augen eine Fahrradbombe explodiert. Sie zerreißt den besten Freund. Hamid selbst überlebt schwer verletzt. Seine Mutter pflegt ihn.

Rahimis Stimme wird leise wenn er von Fatima erzählt. Er überlegt, verkostet jedes Wort mit den Lippen, flüstert. Sie sei eine Hazara. Eine unterdrückte ethnische Minderheit ohne gesellschaftlichen Status. Schiitische Moslems in einem sunnitisch geprägten Land. Hazara haben ovale Augen, breite Wangenknochen – diese Gesichtszüge erkennt man auch bei Hamid. „Als Hazara in Afghanistan geboren zu werden ist die größte Bestrafung“, sagt er. Hazara arbeiten als Diener, als Haushälter. Menschen ohne Stellenwert verrichten Jobs ohne Stellenwert. Das Volk lebt im Tal von Bamiyan in Zentralafghanistan. Seit 1.500 Jahren wird das Tal behütet von gewaltigen in Felsgestein hineingearbeiteten Buddha-Statuen. 2001 sprengten die Taliban Teile der Figuren. Für den Moslem Rahimi sind sie ein Symbol für Toleranz. Ein Zeichen des Ausgleichs und der Selbstfindung.

Die Mutter eine Kämpferin

In der Familie des Boxers ist die Mutter der Fels. Sie ist eine richtige Kämpferin, sagt er. Und Fatima will als Frau mehr als nur vor die Tür gehen dürfen; einen Deal, den sie mit ihrem Mann ausgehandelt hat. An einer Schule wird sie Vizedirektorin. Für ihren verletzten Sohn gibt sie den angesehenen Posten auf. Nach der Explosion ist Rahimi halbseitig gelähmt, spricht nicht. Du bist ein Hazara, erinnert sich Hamid an ihre Worte. „Du wirst es nicht verstehen, aber du wirst es schwerer haben als alle anderen.“ In Afghanistan hört Hamid ihr zu. In Deutschland wird es anders sein.

Die Familie flieht vor dem Bürgerkrieg und trifft 1994 in Hamburg ein. Die Mutter ernährt die Familie, macht sauber, hilft Senioren. Hamids drei ältere Geschwister arbeiten, studieren. Der zehnjährige Hamid ist ratlos. „Ich wusste nie, was ich machen wollte.“ Als „nutzloser Mensch,“ habe er sich gefühlt. In der Schule erkämpft er sich die fehlende Anerkennung. Seine Mutter spricht mit ihm, aber der Sohn hört nicht mehr zu. In Deutschland sei ihm die einst bewunderte Mutter wie ein kleines Kind vorgekommen. Sie hätte keinen Brief richtig lesen, nicht einmal zum Arzt gehen können. Sie kann mir den Weg nicht zeigen, denkt er damals. Was kann sie schon? „Sie konnte putzen.“

Hamid kann zuschlagen. Damit lässt sich Geld verdienen. Er macht sein Ding. Waffen, Gewalt, viel Geld und noch mehr Koks. „Ich hab dicht gemacht im Kopf, aber das hat mir geholfen.“ Er rutscht ab. 2001 schießt er einen Mann ins Krankenhaus. Der anschließende Gefängnisaufenthalt, sagt Rahimi, habe sein Leben verändert. Er spricht jetzt wieder schneller, hebt und senkt den Arm, die dunkle Perlenkette an seinem Handgelenk klackert auf dem Tisch.

Es ist ein Abend im Dezember 2001. Hamid Rahimi geht den kargen Betonflur der Justizvollzuganstalt Hahnhöfersand in Hamburg entlang und er fühlt sich „scheiße. Richtig scheiße.“ Seine Mutter hatte ihn besucht, hatte von der Schwester erzählt, die studiert. Die Mutter weint. Hamid geht in die Zelle und macht den Fernseher an. Im 300 Kilometer entfernten Estrel Convention Center in Berlin streckt Dariusz Michalczewski die Hände in die Höhe. Jubel. Technischer Knockout gegen den US-Amerikaner Richard Hall in der elften Runde. Die Zuschauer in der Halle sind ekstatisch und Hamid sieht sein Ziel. „Er hat alle Menschen um ihn herum glücklich gemacht“, sagt er über Michalczewski. Seine Landsleute, Deutsche, seine Familie. „Er hat sogar mich glücklich gemacht. Im Knast!“

Kein Profiboxstall will ihn

Hamid will Profiboxer werden. Die Geldbörse ist noch prall gefüllt aus vergangenen Deals. Das Geld war überall verstaut, nur nicht auf einem Bankkonto. Rahimi traut Banken nicht. Er heuert einen Anwalt an, absolviert eine Therapie und drückt noch einmal die Schulbank, diesmal bis zum Abschluss. Rahimi kommt auf Bewährung frei und geht zum nächsten Boxgym. Dort kommt auf 20 Boxer nur ein Trainer. Das geht nicht. „Ich hatte keine Zeit,“ sagt Rahimi. Ab dem Tag verdient der Coach 50 Euro pro Stunde und gibt Privatunterricht. Zweimal am Tag, sechs Tage die Woche.

Rahimi ist kein guter Boxer. Ihm fehlt die Kaderschmiede des Sports, zwei Amateurkämpfe machen keinen sauberen Athleten. Kein Profiboxstall will ihn haben. Ein Hazara hat es schwer. Mit Ausdauer erkämpft er sich eine Chance, mit Willen gewinnt er 2012 den Interkontinental-Titel des bedeutenden Boxverbandes WBO.

Die Trophäe liegt im Nebenzimmer, zusammen mit einigen anderen Gürteln. Diese Wohnung, sagt er, habe er sich übrigens schon damals mit seinem Bruder geteilt. Als der auszog, blieb Hamid. „Die Miete ist günstig.“ Rahimi will die Gürtel zeigen und rückt vom Tisch ab. Er geht durch das sonnenerleuchtete Wohnzimmer, vorbei an zwei Buddha-Köpfen, die von der Fensterbank blicken, vorüber an hellen Gardinen und einem Spiegel in weißem Holzrahmen. Vor dem Nebenraum bleibt er stehen. Das sei damals sein Zimmer gewesen, sagt Rahimi. An den Fenstern bremsen dunkle Gardinen das Tageslicht. Ein schwarzer Kronleuchter kauert in der Ecke. Unterhalb eines Spiegels in russfarbenem Holzrahmen ruht eine Kommode, schwarz, sie ist überzogen mit geprägtem Schlangenleder. Auf ihr liegen die Box-Gürtel. Sie sind seine Versicherung für die Zukunft.

In seiner Heimat, sagt Rahimi, sind die Mudschaheddin die Helden. „Qaramon“ – Champion. Warlords als Vorbilder. Die Kinder wollen Warlords werden. Seit über 30 Jahren. Rahimi will ihnen einen anderen Qaramon zeigen. Sein nächster Kampf soll wieder in Afghanistan stattfinden, im Tal von Bamiyan vor den Buddha-Statuen. Don King will es organisieren. Ein Kampf für Frieden und Harmonie, so wie 2012, als er in Kabul im Ring stand. Der erste Profikampf in der Geschichte des Landes, der „Fight4Peace“ war ein Erfolg. Für das Land und für Hamid Rahimi.

An dem Abend, sagt er, habe keiner an Krieg gedacht. Alle waren glücklich. Er holt sein Smartphone heraus, swiped ein Foto des afghanischen Präsidenten Karzai zur Seite. Ein Bild von Rahimi im Ring in Kabul nach dem Sieg. Er wird auf Händen getragen. Seine Arme sind in Siegerpose weit ausgebreitet. 4.000 Menschen in der Halle jubeln, Zigtausende vor den Toren, Millionen am Fernseher. Paschtunen, Tadjiken, Usbeken, Turkmenen. Keiner tötet keinen, sagt Rahimi. Seine Augen leuchten.

Die Sonne scheint durch das Fenster. Rahimi schaut auf seine Hand. Ein Geschenk, sagt er, als sei er selbst überrascht, und deutet auf die teuer aussehende Uhr aus Silber an seinem Handgelenk. Er kramt eine kleine Schachtel hervor, hebt den Deckel hoch, streift das Geschenk ab. Dann greift er in die Schachtel hinein. Er holt eine Uhr aus schwarzem Plastik hervor und legt sie an. „Ich weiß, wer ich bin.“

Am 10. September 2013 ist die Autobiographie „Hamid Rahimi. Die Geschichte eines Kämpfers“ im Osburg-Verlag erschienen
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