Wolfgang Kubicki im Wahlkampf: Mit dem Rücken zum Meer

Der Talkshowkönig von der FDP verkauft sich im Wahlkampf als die „Freiheit in Person“. Kommt er bei einem Auftritt in der Kleinstadt damit an?

Wolfgang Kubicki auf einem seiner Wahlplakate. Bild: dpa

PINNEBERG taz | Mürrisch schiebt eine ältere Frau ihr Fahrrad an der kleinen Wahlkampfbühne der FDP vorbei. Redner Wolfgang Kubicki, der gerade die „Steuererhöhungsfantasien von Rot-Grün“ kritisiert, blickt ihr hinterher und verliert fast den Faden. Die Frau schenkt ihm keine Beachtung. Sie möchte bloß weg von den lauten Boxen. Rund hundert Zuschauer stehen an diesem sonnigen Nachmittag in Pinneberg bei Hamburg in zehn Metern Entfernung vor der Bühne. Sie ist mit Kubickis Wahlspruch geschmückt: „Die Freiheit in Person.“

Für seine rebellische und gewitzte Art wird der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat der FDP durchaus auch von Menschen jenseits des liberalen Dunstkreises geschätzt. Der Talkshow-Dauergast ist einer der bekanntesten Politiker der Partei. Im Bundestag hat der 61-Jährige bisher zwei kurze Gastspiele gegeben. Von 1990 bis 1992 und im Jahr 2002. Doch er wollte nie nach Berlin zurück. In einem Interview mit der Zeit sagte er im Jahr 2010 sogar: „Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock.“

Wie versucht er nun aber bei dem Wahlkampfauftritt, die Menschen davon zu überzeugen, dass er doch wieder in den Bundestag will? Dort wolle er dafür sorgen, „dass sich der Fokus mehr auf Schleswig-Holstein richtet und weniger auf Baden-Württemberg und Bayern“, sagt Kubicki.

Ein junger Vater im Publikum hat eine andere Erklärung. „Kubicki opfert sich für seine Partei“, sagt Christian, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Er pustet auf ein gelbes Windrädchen, mit dem seine Zwillinge im breiten Doppelkinderwagen spielen. „Er ist ja einer der wenigen von der FDP, der bundesweit ein Gesicht hat“, sagt er. Das Windrädchen hört auf, sich zu drehen. Die Zwillinge zappeln aus Protest und Christian muss wieder pusten.

Verbote gehören verboten

Kubicki trägt bei dem Wahlkampfauftritt dasselbe Outfit wie auf seinem Wahlplakat. Weißes Hemd, dunkle Anzugjacke. Mit einem milden Lächeln steht er auf dem Plakat am Anfang eines Steges, nur „hundert Meter von meinem Haus“, wie er erklärt, im Ostseeörtchen Strande – mit dem Rücken zum Meer.

Er weiß, wie er seinen Wahlspruch mit Leben füllen kann. Auf der Bühne erzählt er, dass er in seiner Kindheit Gesangsunterricht hatte. „Aus mir wäre kein Opernsänger geworden – auch wenn einige in meiner Partei glauben, das wäre besser für die FDP gewesen“, ruft Kubicki, der der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag seit 1996 vorsitzt. Die Zuschauer lachen. „Menschen sind Unikate“, sagt er. Jedes Kind habe unterschiedliche Begabungen und Neigungen, die entsprechend gefördert werden müssten.

Verbote, wie sie die Grünen zum Beispiel mit der Forderung nach der Einführung eines fleischlosen Tages in Kantinen erlassen wollen, seien da genau der falsche Weg. „Wo leben wir eigentlich“, ruft er den Zuschauern zu und erntet wieder Gelächter. Das Grünen-Bashing kommt bei dem bis auf zwei junge Frauen eher reiferen Publikum gut an. Er wolle nicht immer nur Fairtrade-Produkte kaufen müssen, sondern „Kaffee, der schmeckt“, sagt Wolfgang Kubicki. Noch mehr Heiterkeit löst er mit der Befürchtung aus, die seine Ehefrau ihm vor Kurzem entrüstet mitgeteilt hätte. „Wenn ich das anziehen muss, was Claudia Roth und Renate Künast immer so anhaben, wandere ich aus.“

Im Vergleich zu seinem Vorredner Bernd Buchholz, der auf dem zweiten Listenplatz steht, wirkt Kubicki auf der Bühne trotz der lockeren Sprüche eher steif. Er steht kerzengerade da, öfters hält er das Mikrofon mit beiden Händen. Buchholz hingegen lehnt locker an dem Stehtisch mit der gelben Tischdecke. „Viele reden über Wirtschaft, aber es wäre gut, wenn der eine oder andere mehr davon verstünde“, sagt Buchholz. Die Zuschauer applaudieren. Im Publikum stehen auch zwei Männer mit Kappen der Alternative für Deutschland (AfD). Der eine mit weißem Vollbart, der andere mit grauem Schnauzbart. Kurz unken sie lautstark: „Wer ist denn an der Regierung!?“ Doch Buchholz pariert das locker. Die beiden räumen bald das Feld und betrachten das Treiben von einer Parkbank in Sichtweite.

In Berlin haben die Wände Ohren

Als die Veranstaltung nach einer guten Stunde zu Ende ist, sind die beiden AfD-Anhänger schon lange verschwunden. Dafür sucht eine junge Frau, die im Oktober mit dem Theologiestudium anfangen möchte, das Gespräch mit Kubicki. Nach fünf Minuten verabschiedet sich Natascha Klar allerdings enttäuscht von ihm. Kubicki habe ihr weder konkret erklärt, wie sich die FDP die von Gesundheitsminister Daniel Bahr vorgeschlagene Öffnung der privaten Krankenkassen für alle Bürger vorstellt, noch habe er ihre Bedenken zerstreut: „Wie soll das denn gehen, ohne dass die Beitragssätze bei den gesetzlichen Krankenkassen steigen?“

Beim Gespräch in einem Eiscafé in der Fußgängerzone erzählt Kubicki kurz darauf von seinen 32-jährigen Zwillingstöchtern. „Was beide nicht mögen, ist Phrasendrescherei“, sagt Kubicki. Man müsse den jungen Menschen erklären, dass sie „die Chance haben, über ihr eigenes weiteres Leben mit zu entscheiden.“ Ob es künftig noch eine Schule bei ihnen in der Nähe gebe, hinge davon ab, welche Partei sie wählen. Eine konkretere Antwort auf die Frage, wie die FDP mehr junge Menschen erreichen könnte, bleibt er jedoch schuldig.

„Ich habe mir zeit meines Lebens von niemanden etwas vorschreiben lassen, und das soll auch so bleiben“, sagt er in Bezug auf den Slogan seines Wahlplakates. Da sitzt sie, die selbsterklärte Freiheit in Person, und nippt am Eiskaffee. In Kiel werde er von Reportern in Ruhe gelassen, wenn er abends unterwegs sei. „Dort geht es beschaulicher, übersichtlicher und familiärer zu“ als in Berlin, sagt er.

Kubicki kleidet seine Sorge in die Aussage seines Freundes Friedel Drautzburg, des Inhabers der Ständigen Vertretung in Berlin. „Der sagt immer: Hier haben die Wände Ohren.“ Ein offenes Gespräch unter Freunden sei für die beiden an öffentlichen Orten wie in dem Lokal nicht möglich.

Ist Steinbrück noch Steinbrück?

Wie stellt er sich seine Rolle in Berlin nun aber vor? „Minister auf keinen Fall, Staatssekretär auf keinen Fall, Fraktionsvorsitzender mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht – das entspricht nicht meiner Lebensplanung.“ Schon immer habe er nebenher weiter als Strafverteidiger gearbeitet. Das wolle er auch weiterhin tun, um finanziell von der FDP unabhängig zu bleiben. Das ist wichtig, betont Kubicki.

Zum Vergleich verweist er auf Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: „Er muss jetzt das Wahlprogramm der SPD verkaufen“, sagt er. „Wenn Sie seine Biografie lesen und mit dem vergleichen, was er heute sagt, erkennen sie ihn nicht wieder.“ Ein herbes Urteil für einen Mann, den Kubicki ansonsten als „sehr witzig, sehr humorvoll, sehr schlagfertig und analytisch hochbegabt“ beschreibt. Es zeigt, wie schwer es ist, in der Politik sich selbst treu zu bleiben. Besonders im Berliner Politzirkus.

So habe ihn Parteikollege Daniel Bahr gefragt, warum er nun doch für den Bundestag kandidiere und warum er seine Führungsrolle in Kiel gegen das Dasein eines einfachen Parlamentariers in Berlin eintauschen wolle. Kubicki wäre nicht Kubicki, wenn ihm dazu nichts Schlagfertiges eingefallen wäre. Seine Antwort: „Herr Bahr, ich will mich nicht hinten anstellen, ich will einfach die Fahrtzeit zu den Talkshows verkürzen.“

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