Führungswechsel bei der FDP: Der Heiland heißt Lindner

Brüderle und Rösler sind grandios gescheitert. Die neue Hoffnung der FDP heißt Christian Lindner. Der 34-Jährige kandidiert für den Parteivorsitz.

Christian Lindner macht auf sich aufmerksam. Bild: dpa

BERLIN taz | Zwischen Vergangenheit und Zukunft liegen nur 17 Minuten. Mehr als ein Dutzend Kameras klicken, weit mehr Journalisten schauen zu, als auf der Präsidialebene des Reichstagsgebäudes um 13.13 Uhr eine Ära endet. Vor einer blauen Stellwand, auf der schlicht „FDP Die Liberalen“ steht, verkünden ein müder Rainer Brüderle und ein gefasster Philipp Rösler ihren Abgang.

17 Minuten darauf wird ein ausgeruht wirkender Christian Lindner vor die Mikros treten. Dem 34-Jährigen gehört die Zukunft der FDP. Zumindest das, was davon übrig ist. Im Bundestag tagen am Montagmittag Bundestagsfraktion, Präsidium und Vorstand der FDP. Noch einmal gehört der Partei die volle Aufmerksamkeit der Politjournalisten. Vielleicht zum letzten Mal.

Als Rösler und Brüderle vor die Stellwand treten, bleibt ihnen nur, erneut ihr Scheitern einzugestehen. Mit 4,8 Prozent der Zweitstimmen haben sie am Sonntag das bis zuletzt Undenkbare zu verantworten: den ersten Rauswurf der FDP aus dem Bundestag seit Bestehen der Bundesrepublik. Mit ihnen stürzen die fünf Bundesminister, 93 Bundestagsabgeordnete – und deren bis zu 600 Mitarbeiter im Bundestag und den Wahlkreisbüros.

„Sehr offen“, sagt Brüderle mit schwacher Stimme, hätten die FDP-Gremien über „Konsequenzen“ und „Neuausrichtungen“ der Niederlage gesprochen. Der 68-jährige Exspitzenkandidat weiß, dass seine Karriere bereits seit dem Vorabend zu Ende ist. Matt sagt Brüderle über seine Zukunft: „Ich werde weiter ein liberaler Mensch bleiben.“

Als Rösler dran ist, spricht er erneut von der „schwersten, der größten Niederlage der FDP“. Bevor er das ausspricht, was schon alle wissen, sagt der 40-Jährige trotzig: „Ich habe die Partei in schwierigen Zeiten übernommen.“ Dann fügt er an, „dass ich mein Amt zur Verfügung stelle“. Auch das gesamte Präsidium hat seinen Rückzug angekündigt. Nach nur zwei Jahren geht die Zeit des Parteivorsitzenden Rösler zu Ende. Besser sind die Zeiten für die Partei in dieser Zeit nicht gerade geworden.

Sarkastischer Rösler

Als ein Reporter wissen will, wer nun die Partei führen könne, antwortet Rösler sarkastisch: „Mit Twitter und Kurznachrichten hat das anscheinend nicht richtig funktioniert.“ Denn es scheint, dass noch kein FDPler die Nachricht des Tages durchgestochen hat. Rösler erklärt, „dass Christian Lindner angekündigt hat, für den Bundesvorsitz zu kandidieren“.

Christian Lindner, 34 Jahre, einzig verbliebenes Vorzeigetalent der FDP, hat, rückblickend betrachtet, alles richtig gemacht. Zwar zählte er lange zur sogenannten Boy Group der FDP, der Gruppe jüngerer Politiker um Rösler und Daniel Bahr. Auch erklärte er als Generalsekretär, warum die irrlichternde Politik der Parteichefs Guido Westerwelle und Rösler Sinn ergebe. Aber Ende 2011 zog sich Lindner im Streit aus Berlin zurück und ging in seine Heimat Nordrhein-Westfalen.

Damals war noch nicht ersichtlich, dass ein halbes Jahr darauf der dortige Landtag neu gewählt würde. Und erst recht nicht, dass Lindner die FDP bei der Wahl, dem Bundestrend zum Trotz, zu 8,6 Prozent führen würde. So erscheint ausgerechnet der Politologe, der schon mit 21 Jahren in den Düsseldorfer Landtag einzog, vielen FDPlern heute als ehrliche Haut, der nicht allein auf Posten aus ist. 17 Minuten nach dem Abgang Röslers und Brüderles redet Lindner. Frisch, im dunkelblauen Anzug, sagt Lindner: „Die FDP braucht nun eine Phase der Erneuerung und Besinnung.“

Die Frage ist nur: Welche Richtung wird die Partei einschlagen? Bekämpft sie die Konkurrenz in Form der AfD mit deren eigenen Mitteln, also auch mit nationalkonservativen Tönen? Immerhin hat die erst vor einem halben Jahr gegründete Partei am Sonntag mit 4,7 Prozent fast ebenso viele Stimmen erzielt wie die FDP. Oder sollte die Partei nach 31 Jahren, in denen sie sich an die Union band, für Bündnisse mit SPD und Grünen öffnen?

In Scheels und Genschers Tradition

Lindner darf und kann noch nicht viel dazu sagen. Er hat ja gerade erst seine Kandidatur angekündigt. Nicht einmal das Datum eines Wahlparteitages steht bislang fest. Aber zumindest will Lindner Befürchtungen entgegentreten, die FDP könne einen europafeindlichen Kurs einschlagen: „Die FDP steht in der Tradition von Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher.“ Soll heißen: Die Freidemokraten werden die EU in Zukunft nicht zum Quell allen Übels stilisieren. „Wir bleiben eine Partei der Mitte, die an Europa glaubt.“

Doch diese Worte lassen sich auf mehrere Arten deuten. Auch die AfD betonte im Wahlkampf, sie sei für Europa. Gerade weil sie die europäische Einigung nicht gefährden wolle, setze sie auf ein Ende des Euro und einen Austritt der „Südländer“ aus der Eurozone. Damit schaffte die Partei es fast in den Bundestag.

Machtzentrum löst sich auf

Die Entwicklung der Partei hängt nun vom Machtkampf der Landesverbände ab. Denn das bisherige Machtzentrum der FDP, die Bundestagsfraktion, löst sich auf. Die Verträge von 120 festen Angestellten laufen Ende Oktober aus. Noch 2012 gab sie nach den Rechenschaftsberichten mehr als 5 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit aus - mehr als die Fraktionen von Union, SPD, Linke und Grünen zusammen.

Die Macht liegt nun in den Händen der Landesverbände. Eindeutig im Vorteil sind die Nordrhein-Westfalen mit ihrem Vorsitzenden Lindner. Sie haben die meisten Mitglieder, ohne die Delegierten aus NRW geht auf Parteitagen nichts. Zudem sitzt die Partei im Düsseldorfer Landtag. In ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg sind die Freidemokraten geschwächt. Die NRWler gelten als progressiver und toleranter als die mittelständisch geprägten Südwest-FDP.

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