Rollbrett: Unsichtbare Fahrerinnen

Skateboarden ist in; nur nicht bei Mädchen. Selbst die, die skaten, scheuen oft das öffentliche Training. Workshops sollen Abhilfe schaffen.

Mit Schwung auf die Rampe, Mädchen! Bild: dpa

Der Mittelstreifen der Warschauer Straße in Friedrichshain ist ein beliebter Treffpunkt für Skater. An manchen Tagen rattern hier bis zu 30 junge Männer auf ihren Brettern herum. Passanten beeilen sich, auf die andere Straßenseite zu kommen.

Die Jugendlichen stehen geduldig Schlange. Immer zwei gleichzeitig nehmen Tempo auf, springen, einer rutscht rechts über eine Bank, der andere links. Wer ganz geschickt ist, wirbelt das Skateboard noch in der Luft unter seinen Füßen herum. Einer hat sich den Ellenbogen aufgeschlagen und blutet. Trotzdem reiht er sich wieder in die Schlange ein.

Mädchen skaten hier nicht. Warum eigentlich? „Frauen können sich nicht mit Narben identifizieren“, sagt Nico. Der 17-Jährige ist mit zwei Freunden aus Passau zum Skaten nach Berlin gekommen, bis zu sechs Stunden am Tag stehen sie auf dem Brett oder filmen sich bei ihren Tricks. Kennen sie denn Mädchen, die skaten? „Nein“, sagen die Passauer. Berühmte Profiskaterinnen, ja, die kennen sie: Elissa Steamer aus den USA zum Beispiel. Noch besser finden sie Leticia Bufoni aus Brasilien. Die habe den besseren Style, es sehe einfach lockerer aus bei ihr. Die Jungs sind einstimmig dafür, dass mehr Mädchen skaten sollten. Ach, übrigens: Gestern sei doch eine hier gewesen.

Auf dem RAW-Gelände, nicht weit von der Warschauer Straße, wird in der Halle geskatet. Wo früher Züge gewartet wurden, trainieren heute Profis und Amateure auf Rampen, Bänken, Treppen und Geländern. Immer wieder knallt es, wenn jemand mit Schwung auf dem Holzboden landet. Hier steht auch die größte Indoor-Halfpipe Europas, 4,20 Meter ist sie hoch.

„Klar skaten hier auch Mädchen“, sagt die Frau hinter dem Café-Tresen, „da kommt gerade eins.“ Eine junge Frau, die rot-blonden Haare zum Zopf gebunden, in T-Shirt und Jeans, trägt ihr Brett unter dem Arm. Jelena Lufen heißt sie, sie fährt seit einem Jahr Skateboard. Warum nicht wie die anderen auf der Straße? „Da wäre ich alleine“, sagt sie. Außerdem seien die Verletzungen, die man sich auf der Straße zuzieht, viel schwerer.

Als sie zehn war, habe sie sich zu Weihnachten ein Skateboard gewünscht, erzählt Jelena. Nicht weil ihr Bruder skatete, „einfach so“. Dann habe sie aber das Brett jahrelang nicht angerührt. Bis sie ihre Mutter in die Skatehalle brachte. Seitdem komme sie fast jeden Tag. Am liebsten übe sie am Boden: „Die Halfpipe ist eher was für Speed-Freaks. Für Sprünge über Bänke und Treppen muss man geschickt sein“, sagt sie, das liege ihr mehr.

Joest Schmidt, ihr Trainer, kommt dazu. „Jelena ist sehr talentiert und lernt schnell. Sie kann es besser als jeder Junge“, sagt er, sichtlich stolz. Dass immer noch so wenige Mädchen skaten, hat für Schmidt auch etwas mit der sozialen Funktion der Sportart zu tun. „Den Jungs geht es darum, mit der Clique rumzuhängen“, sagt er, „ das Skateboard ist dabei oft nur cooles Accessoire.“ Sie würden auch skaten, wenn sie es nur mittelmäßig beherrschten: „Mädchen hingegen genieren sich, wenn sie das erste Mal auf einem Skateboard stehen und es noch nicht so gut aussieht.“

Schon Anfang der 60er Jahre in Kalifornien erfunden, erlebte das Skateboard seinen ersten großen Boom in den 80ern, aber erst seit dem neuen Jahrtausend werden Frauen wahrnehmbarer. Den ersten Girl’s Jam der europäischen Skater-Meisterschaft gab es 2002, nur neun Frauen nahmen daran teil. 2007 waren es schon 24 – neben 150 Männern.

Dass Jungen auf dem Rollbrett dominieren, wundert Gabriele Rohmann vom Kreuzberger Archiv für Jugendkulturen nicht. „Mädchen sind in Jugendkulturen meist unsichtbar“, erklärt sie, die Jungen nähmen traditionell die Vorreiterrolle ein. Jungen Frauen hingegen fehlten die Vorbilder und damit das Selbstvertrauen. „Sie fangen mit dem Skaten nicht an, weil sie es nicht können, und sie können es nicht, weil sie nicht damit anfangen.“ Ein Teufelskreis.

In ihrem Film „Fliegen Lernen“ von 2006 porträtiert die Regisseurin Kim Koch drei Skaterinnen: Nina, Rodi und Ester mischen mit in der Szene, statt nur dekorativ danebenzustehen. Hat Jelena weibliche Vorbilder? Nein, sagt sie, sie kenne keine Skaterinnen. „Cool“ findet sie Mike Mo Capaldi aus den USA – ein Profiskater („Pro“), der von den Preisgeldern aus Wettbewerben und Webeeinnahmen seinen Lebensunterhalt bestreitet.

Dass sie beim Skaten so ziemlich allein unter Jungen ist, bedauert sie schon. Andererseits: „Die sind ja auch ganz nett.“ Sie erlebt den Unterschied zwischen Jungen und Mädchen übrigens anders als ihr Trainer: Mädchen gehe es mehr um Spaß, Jungen seien verkrampft am Erfolg orientiert: „Sie wollen immer gleich Weltmeister werden.“

Seit einem Jahr bietet die Skatehalle Berlin spezielle Kurse für Mädchen an, damit diese ihre ersten Versuche in einem geschützten Rahmen ohne musternde Blicke machen können. Aber viele Mädchen kommen anschließend nicht mehr, weil sie sich dann in der männlich dominierten Umgebung alleine fühlten, sagt Trainer Schmidt. „Außerdem denken sie, dass die Jungs besser sind.“ Das stimme meist nicht, versichert er, aber die männlichen Skater kompensierten das durch „mackerhaftes“ Auftreten.

Tamila Markgraf ist elf und nimmt schon zum vierten Mal an einem gemischten Workshop der Skatehalle teil. Das Skaten liebt sie, weil es ihr das Gefühl gibt zu schweben. „Wenn man eine Rampe herunterfährt, hat man das Gefühl, abzuheben“, sagt sie. Tamila hätte lieber mehr Mädchen im Kurs, dann würde der Unterricht auch ruhiger verlaufen, glaubt sie: „Die Jungs geben ganz schön an.“

Von berühmten Skaterinnen hat Tamila noch nie gehört. Die Namen Elissa Steamer und Leticia Bufoni hört sie zum ersten Mal, sie versucht sie sich zu merken. Dass immer mal wieder Skate-Wettbewerbe für Mädchen und junge Frauen stattfinden, wusste sie auch nicht. Sie würde gerne hingehen, sagt sie. „Ich will kein Weltmeister werden wie mein kleiner Bruder, aber zugucken würde ich gerne.“

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