Razzien gegen Fußballfans: Zur Strafe nur Frauen und Kinder

Der Fußballclub Besiktas wird für Ausschreitungen bestraft. Die Polizei nimmt bei Razzien 80 Fans der drei großen Istanbuler Vereine fest.

Der Fußballplatz als polizeilich besetze Zone Bild: dpa

ISTANBUL taz | Vier Heimspiele wird der Istanbul Fußballclub Beşiktaş ohne Zuschauer austragen müssen, wie der Türkische Fußballverband am Donnerstagabend bekannt gab. Der Verband reagiert damit auf die Ausschreitungen beim Derby gegen Galatasaray, am Sonntagabend als einige hundert Beşiktaş-Fans den Platz stürmten, Ordner und Polizisten mit Plastikstühlen angriffen und einen Spielabbruch provozierten.

Das Spiel wurde nun mit 0:3 für Galatasaray gewertet. Beşiktaş-Trainer Slaven Bilic wurde für drei Spiele gesperrt, Galatasaray-Spieler Felipe Melo für zwei. Zudem muss Beşiktaş eine Geldstrafe von umgerechnet rund 25.000 Euro zahlen, davon knapp 15.000 Euro wegen „schlechter und hässlicher Parolen“ der Fans.

Zehntausende Zuschauer hatten am Sonntagabend vor Spielbeginn und zuweilen auch während des Spiels regierungskritische Parolen skandiert. Als Reaktion auf die tragende Rolle, die Fußballfans – insbesondere Fans von Besiktas – bei den Gezi-Protesten im Frühjahr dieses Jahres gespielt hatten, hat der Verband zu Beginn dieser Saison politische Parolen in Stadien verboten.

Allerdings ist derzeit nicht klar, ob Beşiktaş die kommenden vier Heimspiele tatsächlich vor leeren Rängen spielen wird oder vor einer besonderen Kulisse. Während in der offiziellen Erklärung von einer generellen Zuschauersperre die Rede ist, sagte der stellvertretende Verbandsvorsitzende Ufuk Özerten am Freitagmorgen, dass Frauen und Kinder unter zwölf Jahren zugelassen sein würden.

Dies bestätigte ein Sprecher des Verbandes auf Nachfrage der taz: Frauen und Kinder dürften diese Spiele besuchen. Falls es aber zu „Beleidigungen und unerlaubten Parolen“ kommen sollte, werde der Verband den Fall erneut beraten und gegebenenfalls auch die Frauen aussperren.

Ausschreitungen bei Fenerbahçe – Galatasaray 2012

Fenerbahçe, der dritte im Bund der großen Istanbuler Clubs, musste im vergangenen Jahr nach Ausschreitungen im Spiel gegen Galatasaray fünf Heimspiele vor Frauen und Kindern austragen.

Im Zusammenhang mit diesem Derby vom Mai 2012 stehen offenbar auch die Razzien, bei denen die Polizei am frühen Freitagmorgen in rund 80 Anhänger der drei großen Istanbuler Clubs festgenommen hat. Presseberichten zufolge werden den Festgenommen Gewalttaten, Erpressung und illegaler Tickethandel vorgeworfen.

Die meisten Festnahmen gab es in Istanbul, weitere in Izmir, der westürkischen Industriestadt Kocaeli und im südanatolischen Mersin. Anders als von ausländischen Medien zunächst dargestellt, stehen jedoch nicht die Anführer der linksgerichteten Beşiktaş-Ultras von Çarşı im Mittelpunkt. Vielmehr gehören die meisten Verdächtigen der Gruppe Genç Fenerbahçeliler an, einer Ultravereinigung, die im Ruf steht, mit der regierenden AKP zu sympathisieren. Unter den Festgenommenen befindet sich auch Sefa Kalyan, der Anführer der Genç Fenerbahçeliler, sowie Muzaffer Şirin, Chef der Ultraslan, einer rechtsgerichteten Ultravereinigung von Galatasaray.

Çarşı nicht im Mittelpunkt der Razzien

Im Zusammenhang mit Çarşı ist nur von einer Festnahme die Rede: Alen Markaryan. Allerdings hatte sich dieser schon vor einiger Zeit von Çarşı zurückgezogen. Bei den Protesten hielt er sich zurück und kritisierte im Sommer in einem Interview die Rolle, die Beşiktaş-Ultras in der Gezibewegung einnahmen. Andere Anführer von Çarşı, die nach der Räumung des Geziparks im Juni 2013 zuhause festgenommen wurden und einige Tage in Untersuchungshaft verbrachten, sind von den Razzien am Freitag nicht betroffen, wie der Çarşı-Anwalt Koray Kırca der taz bestätigte.

Dennoch sehen manche Fans in diesen Razzien den Versuch, generell die Stadien unter staatliche Kontrolle zu bringen. „Die Regierung hat ja nicht erst seit Gezi ein Problem mit uns“, sagte ein Mitglied von Çarşı der taz. „Die Tribüne ist ein unkontrollierter Raum. Und so etwas ist in der Ideologie der AKP nicht vorgesehen ist. Wie anderswo in Europa auch will man die Fans in Kunden und die Stadien in Einkaufszentren verwandeln.“

Unterdessen sind die Hintergründe des Platzsturms vom Sonntag etwas klarer. In die Schlägerei, die an der Nordseite der Gegentribüne begann, waren wohl weder Mitglieder von Çarşı noch der neuen, vermeintlich unpolitischen Fangruppe „1453 Kartalları“ beteiligt. Vielmehr war es wohl eine gewöhnliche Tribünenschlägerei: Einige Fans wollten beim Spielstand von 1:2 das Stadion vorzeitig verlassen, andere ärgerten sich darüber, ein Wort ergab das andere, schließlich flogen die Fäuste.

Wer kurz darauf aus der Mitte der Gegentribüne auf das Spielfeld stürmte, ist hingegen nach wie vor ungewiss. Fest steht nur, dass sich etliche hundert Leute gewaltsam Zugang zum Stadion verschafft haben. Dies berichten mehrere Augenzeugen übereinstimmend, was sich auch mit der Darstellung des Fußballverbandes deckt. Ungeklärt ist auch die Frage, warum die Sicherheitskräfte alledem tatenlos zusahen. Çarşı jedenfalls fordert, dass die Beteiligten ein lebenslanges Stadionverbot erhalten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.