Acid-Folk-Wiederveröffentlichung: Sehnen, Nerven und Fleisch

Dino Valente ist eine Drop-Out-Figur der Hippieszene von San Francisco. Sein einziges, 1968 erschienenes Soloalbum wird nun neu veröffentlicht. Eine Sensation.

So sieht das Cover von Dino Valentes Album aus. Bild: Promo

Um 1968 – wann sonst? – entsteht in den USA eine Reihe vergessener, auch von Retrobewegungen meist übersehener, experimenteller Songalben: keine elektrischen Gitarrenaufbrüche, keine rockenden Entgrenzungen, keine zuckenden Beats, sondern eher Exzesse an Zartheit, an Fragilität oder Entspanntheit, bis in eine metaphysische Schläfrigkeit hinein, an die sich kein Mensch je wieder getraut hätte.

Die vergessenen Urheber dieser Werke heißen Bobby Callender oder David Stoughton, etwas bekannter ist die Solo-LP des verrückten Alexander „Skip“ Spence, einst bei Jefferson Airplane und Moby Grape, oder natürlich ein, zwei Alben von Tim Buckley oder David Ackles.

Aber die eingeschlafenste und in den inner space eingekuscheltste dieser Alben bleibt die einzige Solo-LP von Dino Valente, jetzt wieder verfügbar auf Vinyl und sogar in Mono, sodass die Hall- und Echospuren seines sich im Äther verlierenden Gesangs nicht für blöde Raumillusionen missbraucht werden können. Denn dies ist eine Reise in das Innere von Sehnen, Nerven und Fleisch, in eine intensive Körperlichkeit zu dem Ende der Skala, das dem Sport antagonistisch gegenübersteht.

Dino Valente: „Dino Valente“ (Tompkins Square/Cargo)

Als die Musik noch nicht denen gehörte, die ein Copyright besaßen oder eine Tonaufnahme vorzeigen konnten, wurde ein attraktiver dunkler Lockenkopf bekannt für und durch den Song „Hey Joe“. Chet Powers spielte das Lied in den Village-Folk-Zirkeln um 1960, und das finstere Bekenntnis zum Frauenmord galt als sein Lied. Später gab es noch andere, die ähnlich identifiziert diesen Song zum Besten gaben: Jimi Hendrix natürlich, aber auch David Crosby oder der große Tim Rose, der darauf bestand, dass es sich hierbei um ein Traditional handelt.

Powers aber war irgendwann auch tatsächlich als Autor registriert und hat Tantiemen kassiert, auch wenn inzwischen klar zu sein scheint, dass der wahre Verfasser der Folkie Billy Roberts ist – der die Akkordfolge und das Frage/Antwort-Schema indes von seiner Exfrau Niela Miller geklaut haben soll. In gewisser Weise hat Tim Rose schon recht.

Hedonistische Westcoast

Powers bringt seinen Song mit, als er das Village verlässt und in San Francisco weitermacht. Er ändert seinen für das Rockgeschäft eigentlich sehr passend klingenden Namen in Dino Valenti. Die Gründe seiner Umsiedlung sind unklar, aber die hedonistische Westküste mag seinem Naturell eher entsprochen haben als das intellektuelle Village. Dort entsteht sein nächster, hundertfach gecoverter Hit „Everybody Get Together“, die von der Dave Clark Five in die deutschen Charts gebrachte Hymne auf Hippie-Kollektivität, die authentischer aber von lokalen Helden wie den Youngbloods oder Jefferson Airplane bekannt gemacht wurde.

Dino freundet sich mit Crosby, vor allem aber mit David Freiberg an, einer echten Autorität in der sich langsam elektrifizierenden und psychedelisierenden Folk-Szene. Gemeinsam begründen sie Quicksilver Messenger Service, die neben Grateful Dead und Jefferson Airplane zu einer der Hausbands der frühen Hippie-Kultur der Bay Area werden sollte.

Exempel an Langhaarigen

Doch Dino Valenti ist bei deren ersten drei Alben nicht dabei. Geringe Mengen Marihuana bringen ihn über ein Jahr ins Gefängnis. Hätte er die Rechte an „Everybody Get Together“ nicht an das Kingston Trio abgetreten, die einen Hit damit hatten, hätte er sich nicht einmal die Verteidigung leisten können, die ihm nach einem Jahr die Freiheit zurückbringt. Man konnte damals lange für recht wenig Dope schmoren. An Langhaarigen wurden gern Exempel statuiert: Und hier war einer, der im Zirkusmilieu groß geworden, mit der Gitarre in Clubs gelebt hat; ein Drop-Out, dessen Resozialisierungsprognose nicht gerade prickelnd war.

Quicksilver Messenger Service gingen aber trotz des Sängerproblems ab. Die beiden Gitarristen (John Cipollina und Gary Duncan) kompensierten dieses durch glitzernde, sonnige Gitarrentremoli und lange euphorische Jam-Schlachten über hispanisierende Harmonien, zu denen Menschen meiner Generation reichlich Sachen einpfiffen, für die ihre Urheber aber immer wieder einfuhren (Freiberg musste noch zweimal länger in den Knast).

Erst nach dem Flop des Soloalbums, für das der Name erneut von Valenti in Valente geändert wurde, kam dieser zu Quicksilver und machte aus der beliebten Gitarristenband ein Forum für seine edel-schlaffen Dope-Delirien, was ihm von den Spießbürgern der offiziellen Rock-Geschichtsschreibung übel genommen wurde. Dabei ist es zumindest bei dem ersten („Just For Love“) und dritten (ohne Titel) Versuch nicht schlecht gelungen, auch wenn Jesse Oris Farrow (Valentis dritte Identität) nie wieder so radikal sein durfte wie auf dem wunderlichen Album von 1968, bei dem er mit sich allein war.

Cowboy-Lied als Genre-Pfahl

Nur drei konventionelle Songs gibt es: „Me And My Uncle“, ein John-Phillips-Lied, das zum Repertoire der Grateful Dead gehörte, rammt hier als Cowboy-Lied den einzigen staubigen Genre-Pfahl in den Boden dieser endlosen inneren Landschaft. „Time“ macht zu Beginn klar, dass man den Sinn für diese Dimension im Folgenden verlieren wird. „Tomorrow“ eröffnet die zweite Seite mit einer Absage an seine Freundin, den schönen Dino in die Zukunftspläne einzubauen, man möge sich doch lieber der Magie des Moments hingeben.

Dann geht es immer tiefer in eine ätherische Abgedrehtheit, bei dem langen „Children of the Sun“ noch vage an eine Hippie-Utopie angedockt, deren Plural (Children) aber der intimen Stimmung keinen Abbruch tut. Valente umschmeichelt und umzirpt seine imaginären (weiblichen) Gegenüber mit immer neuen Stimmpersönlichkeiten, schlängelt sich durch Szenarien, die ihm selbst bald entgleiten – mal ist es kalt, dann sind da sonnendurchflutete Räume –, schwingt sich zu ganz großen Gefühlen auf, wenn auch immer souverän durch die Nase serviert, und kippt schließlich in ein geiles atonales Nichts mit bassig verwundeten Hauch- und Klagetönen, Flöten und akustischem Klöterkram.

Valente hat, so Ralph J. Gleason, versucht, durch Musik „Liebe zu machen“. Das wollen viele, aber niemand hat es so wörtlich genommen. Valente imaginiert sich in experimentelle zärtliche Situationen mit offenem Ende. Was bei Schlafzimmersoul sympathisch routiniert rüberkommt, ist bei Dino ganz authentisches Gesäusel. Mit seiner Stimme zieht er alle Register, und das Beste ist, dass er nicht wirbt, sondern die meisten Songs auf dieser Platte eher nach dem Sex spielen, bei endlosen postkoitalen Joints auf San Franciscos Flauschfußböden.

Ein genuiner Ladies Man

Lillian Roxon, erste Autorin eines Rocklexikons, schreibt in ihrem Valente-Eintrag von 1969, dass dieser zwar eine Menge musikalische Talente hätte, in erster Linie aber wohl ein Ladies Man sei. Die Pointe ist, dass dies genau sein musikalisches Talent ist: eine andere, nämlich nicht werbende, protzende, sondern tiefenentspannte Form des Rock-Macho – ist natürlich auch historisch und kann einem auch auf die Nerven gehen, bleibt aber künstlerisch unique. Der bekannte Radio-DJ Tom Donahue, der mit seinem Autumn-Label auch die Karrieren von Sly Stone anstiftete, hat auch mal ein paar Stücke mit Dino aufgenommen, die erst vor Kurzem erschienen sind. Er meinte damals: „Wenn all die Frauen, mit denen Dino geschlafen hat, auch seine Platte kaufen würden, wäre er in den Charts.“ Ja, aber warum sollte man das tun, wenn man ihn auch live haben konnte.

So war das in der Welt des Folk, vor den Tonträgern und dem Copyright. Man konnte sich die Musik anhören oder mit den Musikern ins Bett gehen. Schallplatten sind nur Ersatz. Dino Valenti ist 1994 gestorben.

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