Filmstart „Exit Marrakech“: Das Vater-Sohn-Gerangel

Oscar-Preisträgerin Caroline Link bemüht sich in „Exit Marrakech“, das Land jenseits des Klischees ins Spiel zu bringen.

Inbegriff undeutscher Unvernunft: Ben (Samuel Schneider). Bild: http://www.exitmarrakech.de

Wenn die Zufriedenheit mit sich selbst schon routiniert ausfällt und auch die berufliche Anerkennung einen viel zu selbstverständlich über ganze Lebensdekaden umspült, dann reicht einem wohl ein abgehangener Paul-Bowles-Roman („Himmel über der Wüste“), um sich risikofrei in der Trägheit einer vergangenen Boheme zu spiegeln.

Dann muss man nicht mehr höchstselbst in die Wüste, um den lebensherbstlichen Leib noch einmal den Witterungen der Extreme auszusetzen. Um noch etwas Überraschendes zu spüren, und sei es so etwas wie eine wirkliche Gefährdung. Dann reicht es wohl, wie Heinrich (Ulrich Tukur), Vater eines gerade groß werdenden Sohns und bekannter Theaterregisseur, in den Spielpausen seiner nach Nordafrika exportierten „Emilia Galotti“ an den Hotelpools herumzuhängen und das Marrakesch, das hinter den europäischen Annehmlichkeiten beginnt, einen fernen Ort bleiben zu lassen.

Bis Sohn Ben (Samuel Schneider) eintrifft, die Hauptfigur des neuen Films von Caroline Links „Exit Marrakech“. Er fordert den alten Sack Heinrich heraus. Und zwar nicht nur mit dem üblichen pubertären Trotz oder der Gekränktheit eines übersehenen Kindes, – auf die er jedes Anrecht hätte –, sondern auch mit einer undeutschen Unvernunft, Risikofreude und Offenheit.

„Exit Marrakech“. Regie: Caroline Link. Mit Ulrich Tukur, Samuel Schneider u. a. F/D 2012, 123 Min.

Der 16-Jährige taucht ein in den maghrebinischen Kosmos und riskiert dabei – ganz im Bowles’schen Sinne und der ihm mit aller Kompromisslosigkeit folgenden Beatgeneration – selbst verloren zu gehen. Nicht nur um den Sinnvagabunden vor seiner Zeit die Ehre zu erweisen, sondern schlicht auch, um seinen Vater, der sich nie ums Elternsein gekümmert hat und stets nur um seine eigene Sonne rotierte, dazu zu bringen, endlich seinen Sohn zu suchen.

Wohlstandssöhnchen der alten Kolonialmacht Europa

Ben trifft die Prostituierte Karima, gespielt von der Französin Hafsia Herzi, die manchem noch aus „Couscous mit Fisch“ in allerbester Erinnerung sein dürfte, und folgt ihr durch die dunkel mäandernden Gassen der Medina, bezahlt sie, aber schläft nicht mit ihr. Damit ihre Liebesgeschichte beginnen kann, bevor Karimas Familien- und Sittenregelungen dem ein rasches Ende setzen. Bens Zuckerkrankheit sorgt für weitere dramaturgische Zuspitzung, die man vielleicht lieber ohne diesen pathologischen Zwang gehabt hätte.

Ansonsten aber beweist Caroline Link ein gutes Gespür für die Fallhöhen, ihrer Vater-Sohn-Geschichte für den Mehrwert eines Ulrich Tukur und die schlummernden Stärken des hier entdeckten Samuel Schneider. Sie domestiziert Eitelkeiten und Rampenwucht und lockt klug dezentere Brüche aus ihrem Ensemble. Ihr geht es allein um den Konflikt, der Plot ist bloßes Vehikel.

Und genau hier liegt das Problem. Denn nur allzu leicht lässt sich Ben als Wohlstandssöhnchen der alten Kolonialmacht Europa interpretieren, der kleinen Maghrebinerinnen die Liebe lehrt und das freie Leben, bis er am orientalischen Patriarchat scheitert. Letzteres lässt seinen ignoranten Vater dafür in einem umso annehmbareren Licht erscheinen.

Über Wüstendünen surfen

Mit dem Wissen um die Gewinne westlicher Aufklärung, bis hin zur sexuellen Befreiung, einem geschwächten Patriarchat und und der Vernichtung unpraktischer Mystik, lässt sich der Orient schließlich nur umso intensiver genießen. Könnte man argumentieren. Marrakesch wäre in dieser Logik nur eine Kulisse. Pathetisch, folkloristisch, kitschig.

Doch Link und ihre Kamerafrau Bella Halben bemühen sich ums Gegenteil, lassen jede noch so kurz erscheinende Nachbarin Karimas als Charakter und nicht als Statistin erscheinen. Und wenn Ben über Wüstendünen surft, ist das sicher fern jedes Saharaklischees.

Zumindest ein koloniales Opfer hat auch Links Erzählung bei aller Vorsicht dann doch zu verantworten. Es ist Karima, die der Plot einfach zurücklässt und damit zur fernen Katalysatorfigur reduziert. Sie hätte etwas Besseres, vor allem Differenzierteres, verdient. Doch nach ihrer letzten Szene gehört die Bühne allein dem Vater-Sohn-Gerangel und natürlich der Versöhnung der Generationen. Karima nützt das wenig. Ihre Geschichte, die muss jemand anderes erzählen. Und das wäre dann hoffentlich eine aus dem Inneren Marrakeschs.

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