Geteilte Stadt schöpft neue Hoffnung

SYRIEN I Monatelang war Ras al-Ain an der Grenze zur Türkei Schauplatz von Gefechten zwischen Islamisten und kurdischen Milizen. Nach einem Waffenstillstand können die Flüchtlinge jetzt in ihre Heimat zurückkehren

„Vom Grenzhandel können beide Seiten profitieren“

ABDULHALIM DAYAN, STADTRAT

AUS CEYLANPINAR NILS METZGER

Beinahe 100 Menschen haben sich vor dem kleinen Bahnhof des türkischen Grenzstädtchens Ceylanpinar versammelt. Sie warten mit Plastiktüten voller Kleidung und Nahrungsmittel neben den Schienen, während die türkischen Soldaten vom nahen Militärstützpunkt kritisch herüberschauen. Hinter den Gleisen liegt die Grenze nach Syrien. Sie warten darauf, dass die Wachmänner das schwere grüne Eisentor öffnen und sie in ihren Heimatort Ras al-Ain zurückkehren oder zumindest ihren Verwandten einige Decken gegen die kalten Frühlingsnächte geben können.

Mitte Februar standen sich dort noch islamistische Kämpfer, die sich selbst zur Freien Syrischen Armee (FSA) zählen, und kurdische Freiwilligenmilizen gegenüber. Seit November starben bei den Kämpfen mehr als 100 Menschen, nahezu alle Zivilisten verließen Ras al-Ain in Richtung Türkei. Erst nachdem sich syrische Intellektuelle wie der Schriftsteller Michel Kilo einschalteten und für Verhandlungen warben, konnten die FSA und die kurdische YPG-Milizen einen Waffenstillstand vereinbaren.

Laut einem am 17. Februar von kurdischen Organisationen veröffentlichten Dokument zogen sich in den kommenden Tagen alle ausländischen Kämpfer aus Ras al-Ain zurück. Die FSA und die YPG errichteten gemeinsame Kontrollposten. Die Verwaltung der Stadt wurde einem neuen Gemeinderat übergeben. Für die Menschen aus Ras al-Ain, die lange Zeit vom syrischen Bürgerkrieg verschont geblieben waren, war das ein erster Anlass zur Hoffnung.

Es sind kaum 30 Minuten zu Fuß, die den jungen Englischlehrer Buschkin und seine Familie zu Flüchtlingen machten. Das syrische Ras al-Ain und das türkische Ceylanpinar waren bis zum Ende des Osmanischen Reiches Teil der kurdischen Ortschaft Serekani. Dann zogen Türken und Syrer Grenzzäune und Stacheldraht hoch und rissen die Dorfgemeinschaft auseinander. Dass zahlreiche Familien noch immer Verwandte auf der anderen Seite hatten, habe sich während der Gefechte ausgezahlt, berichtet Buschkin. Von Ceylanpinar aus konnten sie die Kämpfe jeden Tag hören, sehen, wie ihre Häuser von Islamisten geplündert wurden. „Wir dachten nie, dass es auch hier Kämpfe geben könnte. Assad herrscht über Aleppo und Damaskus, aber in den kurdischen Städten hatte er gar keinen Einfluss. Der Angriff auf uns war ohne Grund.“

Viele Kurdenvertreter in der Grenzregion machen auch den türkischen Staat dafür verantwortlich, dass sie in den Konflikt hineingezogen wurden. Abdulhalim Dayan sitzt für die PKK-Chef Abdullah Öcalan nahestehende Partei BDP im Stadtrat von Ceylanpinar. „Die türkische Armee hat mehrfach die Grenze für die Freie Syrische Armee geöffnet. Nur so konnten sich auch drei Panzer dem Angriff auf Ras al-Ain anschließen.“ Dass die Zivilisten nun in ihre Häuser zurückkehren könnten, nehme enormen Druck von Ceylanpinar. „Wir möchten helfen, doch wir wissen nicht, wie. 7.000 Menschen haben hier Zuflucht gesucht, es gab kaum freie Wohnungen.“ Während der Kämpfe kamen weitere 20.000 Menschen, die sich keine Wohnungen in einer Stadt leisten konnten, in einem Flüchtlingslager außerhalb von Ceylanpinar unter.

Im Erdgeschoss des Rathauses sind Schreibtische an die Seite geschoben. Hier stapeln sich 10 Kilogramm schwere Nudelpackungen, Windeln und Brot. Andere kurdische Städte der Türkei wie Sanilurfa und Diyarbakir spendeten die Lebensmittel, die allabendlich von einer Gruppe von BDP-Mitgliedern verteilt werden. Auch im örtlichen Krankenhaus kam Hilfe an.

Dass die Freie Syrische Armee und kurdische Vertreter eine Übereinkunft erzielen konnten, erspart allen Oppositionskräften einen verlustreichen Zweifrontenkrieg. Sollte sich der syrische Kurdische Nationalrat hingegen nun offen auf die Seite der FSA stellen, hätte die syrische Opposition einen mächtigen Verbündeten im Kampf gegen Baschar al-Assad gewonnen.

Für die Zeit nach Ende des Bürgerkriegs lassen manche türkischen Kurdenvertreter bereits vorsichtigen Optimismus verspüren. Sollten sich die Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei wieder normalisiert haben, dann hofft Abdulhalim Dayan auf eine dauerhafte Öffnung der Grenze von Serekani. Bislang war die Armut in beiden Orten groß. „Vom Grenzhandel können beide Seiten profitieren“, sagt er. Und die jahrhundertealte Dorfgemeinschaft könnte wieder zusammenwachsen.