Wo euch die deutsche Eiche blüht

Angespornt durch Mia, Mode und Musik beginnt die Debatte um Patriotismus wieder neu. Statt Stolz oder Selbstzerknirschung zu zelebrieren, ist es Zeit, offen mit seinen Unsicherheiten umzugehen

„Das Erlernen der Nationalhymne gehört in die Lehrpläne der Grundschulen. Das Singen der Hymne muss eine Selbstverständlichkeit bei öffentlichen Veranstaltungen werden.“

Diese und ähnliche Aussagen springen bei der Lektüre des neuen Patriotismus-Papiers der sächsischen CDU sofort ins Auge. Beschlossen wurde es auf dem Parteitag Anfang November in Schwarzenberg. Die „Junge Union Sachsen und Niederschlesien“ fordert solche Formeln schon längst, nun sind sie auch im neuen Grundsatzpapier der christdemokratischen Partei verankert. Die CDU will Lehrpläne ändern, um schon die Kleinsten zu guten Patrioten zu formen und vor der hässlichen Fratze des Nationalismus oder gar des Chauvinismus zu bewahren. Allgemeines Ziel der Union ist es, den Sachsen wieder ein gesundes Nationalgefühl einzuimpfen, um ähnliche Wahldebakel wie im September 2004 zu vermeiden. Damals zog die rechtsextreme NPD in den sächsischen Landtag ein. Bald darauf wurde das Amt eines „Patriotismusbeauftragten“ eingerichtet. Eingenommen hat es der ehemalige Wissenschaftsminister Sachsens Mathias Rößler (CDU).

Der amtierende Kultusminister Steffen Flath (CDU) hält nichts von Veränderungen der Lehrpläne zugunsten der Nationalhymne. Seiner Meinung nach gibt es genügend Gelegenheiten, das Lied der Deutschen im Unterricht zu behandeln. Die NPD nutzte die Diskussion für sich und beantragte: Regelmäßiges Singen der Hymne in den Schulen. Obwohl sie sich dabei auf das Papier der CDU berufen konnte, lehnte der Landtag den Antrag ab.

Die Debatte um die gesunde Portion Nationalgefühl beschränkt sich aber nicht nur auf Sachsen, sondern zieht sich quer durch die ganze Bundesrepublik.

Bei seinem Amtsantritt legte der neue Bundespräsident das emotionale Bekenntnis ab, sein Land zu lieben und zahlreiche Prominente schlossen sich ihm an. Auch der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder erinnerte im Zuge der SPD-Kapitalismuskritik die deutschen Unternehmen an ihre patriotische Pflicht. Gleichzeitig feiert die internationale Modebranche ein Revival des Deutschtums und kokettiert mit den deutschen Nationalfarben. Popmusiker fordern die Einführung von Quoten für deutschsprachige Musiktitel. In all diesem Wirrwarr stellt sich die Frage: Alles nur Show-Business – oder doch wahre Gefühle?

Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden, warnt davor, dass das Fehlen von Patriotismus zu einem neuen Nationalismus führe. Und aus Berlin kommt die Forderung nach einer Diskussion über Nationalstolz im Zuge der neuen Wertedebatte. Auffällig oft wird diese Haltung mit dem Argument begründet, damit den Nazis das Wasser abgraben zu können, ihnen dieses Feld nicht mehr zu überlassen. Andern Orts rockt Mia über die Bühne und singt laut: „Fragt man mich jetzt, woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber Leid“ – und die NPD applaudiert. Die taz meint dazu: „Es ist, was es ist: saudämlich.“

Aber sollten wir nicht mehr Patriotismus wagen!? Die „Anderen“, unsere europäischen Nachbarn, dürfen es doch schließlich auch. Ja, aber, was dürfen sie eigentlich? Stolz auf ein Land sein? Geht denn das überhaupt – mit unserer Vergangenheit? Viele fragen sich, wie lange sie denn noch Verantwortung für die Taten ihrer Großeltern tragen sollen. Gerade in den Zeiten der Globalisierung entwickeln die Menschen wieder ein starkes Bedürfnis nach Halt mit Hilfe einer nationalen Identität.

„Du bist Deutschland!“, schreit es den Menschen seit einigen Monaten von Plakatwänden und aus den Kinolautsprechern entgegen. Verwundert stellt man fest, dass dies kein verspäteter Wahlkampfslogan der REPublikaner ist. Prominente wie die Moderatorin Sandra Maischberger, der Sänger Xavier Naidoo und auch die „Eislaufkönigin“ Katarina Witt wollen mit dieser Kampagne eine nationale Aufbruchstimmung verbreiten.

„Ich bin Deutschland!“ – Ist dies ein Grund stolz auf dieses Land zu sein? Stolz auf die deutsche Nation? Das Wort „Nation“ steht für das „Volk“, dessen Geschichte und Kultur. Eine deutsche Leitkultur? Oder doch eher Leidkultur? Aber wer ist das deutsche Volk, dessen Kultur die anderen Völker leiten soll? Deutscher ist, scheint’s, nur, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Und was ist mit denen, die ihre Lebenszeit lieber auf den Kanaren verbringen und sich trotzdem dem „deutschen Volk“ zugehörig fühlen? Wie steht es um Menschen, die zwar in Deutschland leben und arbeiten, aber auf dem Papier trotzdem keine Deutschen sind? Die „Geduldete“ sind, „ausländische Mitbürger“ oder so genannte „Illegale“.

Betrachtet man die Menschen in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands, wird schnell klar: Wir haben alles Mögliche, doch weder eine einheitliche Kultur, noch eine einheitliche Tradition. Während die Kölner „Helau“ und „Alaaf“ rufen, essen die Leipziger gemütlich ihren Broiler. Ist dieser Pluralismus also etwas, auf das man stolz sein kann? Auf die Vielfalt des Deutschen Volkes?

Heutzutage ist Deutschland unleugbar ein Einwanderungsland und deshalb auch eine multikulturelle Gesellschaft, selbst wenn mit Angela Merkel viele meinen, diese wäre gescheitert. Doch vielleicht sollten wir einfach Dankbarkeit für unser Leben hier entwickeln, uns freuen, nicht in der Sahel-Zone verdursten zu müssen, sondern in deutschen Hallenbädern planschen zu dürfen. Man sollte sich dieses Privilegs, in einem immer noch reichen Land leben zu können, bewusst sein und dementsprechend verantwortungsvoll handeln. Ist dies nicht wichtiger, als sich den Kopf über Nationalitäten und ihren jeweiligen Stolz zu zerbrechen?

Neulich lief ein Neonazi durch die Stadt. Auf seinem T-Shirt prangte die Forderung nach deutschen Kolonien in Afrika. So kann man seine Verantwortlichkeiten natürlich auch definieren. Hätte man ihn gefragt, ob er stolz auf Deutschland sei, wäre ihm wahrscheinlich die Brust geschwollen vor lauter Nationalgefühl und ein kräftiges „Ja!“ seinen Nüstern entwichen. Aber mal ehrlich, wer will schon „Deutschland einig Vaterland!“ skandierend durch Berlin marschieren?

Bei der Nationalstolzdebatte scheinen viele Menschen von der fixen Idee besessen, sie müssten sich auf eine deutsche Identität festlegen. Vieles in dieser Diskussion erscheint dabei als aufgezwungen und kaum nachvollziehbar. Der Fortschritt unserer Nation liegt doch in ihrem positiven Handeln, nicht in ihrer Existenz. Denn gleichzeitig gilt: Es gibt viele, die es als unsinnig ansehen, Grenzen zu ziehen und damit das Leben der Menschen zu reglementieren. Trotzdem freuen sie sich darüber, in diesem Landstrich, genannt Deutschland, zu leben. Und vielleicht sind sie sogar ein kleines bisschen stolz. Auch diese Meinung gilt es, zu tolerieren.

Daneben leben in Deutschland noch Millionen anderer Menschen, die eine andere Meinung dazu haben, was ihnen Deutschland bedeutet. Genau das macht diese Diskussion spannend. Denn alle, die sich tiefer mit diesem Thema befassen, werden eine Relevanz erkennen, die das plumpe „Ich bin stolz, Deutscher zu sein!“-Platitüden überdauert. Und das mit Bravour. Frei von Vorverurteilungen der linkeren Seite und frei von unüberlegten Bravorufen der extrem rechten. Es ist noch offen, ob diese Debatte den Nationalisten neuen Zulauf bescheren wird, oder ob ihnen damit tatsächlich eine ihrer zentralsten Parolen entwendet werden kann. Dennoch ist der offene Umgang mit dem Thema nötig, um Unsicherheiten und Missverständnisse zu beseitigen.

Als letztes sei erwähnt, dass Mia nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf einem „Gemeinsam gegen rechts“-Sampler rocken und sich im „Schule ohne Rassismus“-Projekt engagieren. Da hat die NPD wohl zu früh gejubelt. VL, LP, DH