189.-192. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Sie können hinfliegen und fragen“

Der ehemalige FDLR-Militärchef Paul Rwarakabije kommt erneut nach Stuttgart. Er will aber nicht über alles sprechen, wonach er gefragt wird.

Hier befragte Rwarakabije zahlreiche ehemalige FDLR-Kämpfer: das Demobilisierungslager Mutobo in Ruanda. Bild: ap

STUTTGART/BERLIN taz | Paul Rwarakabije ist der prominenteste ruandische Zeuge bislang im Prozess gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, die beiden politischen Führer der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), vor dem OLG Stuttgart. Im Oktober 2011, an den Verhandlungstagen 34 und 35, sagte der ehemalige Militärchef der FDLR schon einmal in Stuttgart aus. Das reichte nicht; es wurde vereinbart, dass er wiederkommt. Über zwei Jahre später, im November 2013, kommt Rwarakabije also wieder und steht erneut Rede und Antwort, diesmal für drei Verhandlungstage.

Die Befragung beginnt am 6. November 2013 mit einem Antrag der Verteidigung auf Ausschluss der Öffentlichkeit. Grund: Über die Vernehmung 2011 berichtete die taz - und auch später die ruandische Tageszeitung New Times. Rwarakabije ist eine öffentliche Person in Ruanda: Er leitet die Gefängnisbehörde. Mit der Berichterstattung über seine Aussage in Stuttgart sei der Zeuge gefährdet, so die Argumentation.

Der Senat schließt sich dem Antrag nicht an und verweist darauf, dass man nach 190 Verhandlungstagen keine Erkenntnisse über Nachteile für Zeugen aus Ruanda habe.

Den Zeugen fragt niemand, ob er gefährdet sein könnte. Das ist aber auch nicht nötig, denn er weiß sehr genau, worüber er reden will und worüber nicht. Er definiert die Grenzen seiner Aussage selbst.

Nicht nennen will er zum Beispiel Namen von ehemaligen FDLR-Soldaten in ruandischen Gefängnisse heute, was die Verteidigung gerne wissen würde. „Weil dies unter meine Aufgaben fällt, brauche ich eine Erlaubnis für die Aussage“, erklärt er.

“Können Sie die bis Mittwoch einholen?“ fragt Musonis Verteidigerin Andrea Groß-Bölting.

“Nein“, sagt Rwarakabije. „Das ist nicht möglich. Es gibt einen Grund, warum ich herkam. Ich werde nicht darüber sprechen. Sie können selbst dort hinfliegen und selbst fragen.“

Er möge es bitte versuchen, beharrt Groß-Bölting.

„Nein, ich werde nicht versuchen es zu machen“, schließt er diesen Teil seiner Aussage ab.

Präzise Erinnerung an die FRühgeschichte

Über weite Teile werden in den drei Verhandlungstagen am 6., 11. und 13. November dieselben Themen behandelt wie bereits im Oktober 2011 - aber eben im Lichte der seither vor Gericht vorgebrachten Erkenntnisse. So werden nicht einfach Strukturen des militärischen FDLR-Flügels FOCA präsentiert, sondern Aufgabenbereiche laut Statut, das Verhältnis des FOCA-Statuts zu den Regelwerken des politischen Flügels, deren Entstehen und in welcher Form und wo die schriftlichen Regelwerke überhaupt existierten.

Rwarakabije kann dazu präzise Aussagen machen: „Es gab ein Buch beim Generalstab der FOCA, bei den Divisionen und Brigaden gab es ein Buch mit den Gesetzen... das haben wir mit der Schreibmaschine geschieben“ und es sei fotokopiert worden. Und nein, er habe es nicht mitgenommen, als er die FDLR im Jahr 2003 verließ und nach Ruanda ging.

Rwarakabije weiß vieles über die Frühgeschichte der FDLR, was sonst nicht so genau zur Sprache kommt. Wie andere vor ihm, aber präziser, führt er die Vorgeschichte der Organisation aus. Bis 2000 hießen die ruandischen Hutu-Kämpfer innerhalb der kongolesischen Armee, also „im Westen“, ALIR 2, und die Kämpfer im Ostkongo, hinter den ruandischen Linien in Kivu also, ALIR 1.

Nach der FDLR-Gründung im Jahr 2000 nannten sich beide Gruppen „Forces Spéciales“, und nach 2002 - als die Demobilisierung der ruandischen Hutu-Kämpfer innerhalb der kongolesischen Armee, wie sie Kongos Regierung im Friedensvretrag von Pretoria mit Ruanda vereinbart hatte, am Widerstand der Kämpfer scheiterte - vereinten sich beide Gruppen im Ostkongo, mit einem Zusammentreffen am 15. Februar 2003.

Dieses Datum wird seither in der FDLR als „Tag der Zusammenführung“ als Feiertag begangen. „Die Führer, die im Westen waren, haben wir an dem Tag getroffen“, erinnert sich Rwarakabije - befragt wird er hier von Murwanashyaka.

“Nachdem die Zusammenführung der ganzen Armee zustandegekommen war, haben wir daran gedacht, Ruanda anzugreifen“, führt Rwarakabije weiter aus. Er selbst verließ die FDLR, wie er bereits 2011 detailliert aussagte, im November 2003 aus Protest gegen diese Angriffspläne, die er nicht mittrug.

Murwanashyaka befürwortete Angriff auf Ruanda

Anders als 2011 sagt Rwarakabije diesmal eindeutig, dass Präsident Murwanashyaka diesen Angriff befürwortete: „Wäre er nicht dafür gewesen, hätten wir den Angriff nicht vorbereitet.“ Allerdings habe die politische Führung „keine Rolle“ bei der Planung gespielt.

Von wem erfuhr Murwanashyaka von den Plänen, fragt also dessen Anwältin Ricarda Lang. „Ich war derjenige, der ihn informiert hat, da ich mit ihm kommunizierte“, sagt Rwarakabije. „Ich habe ihn vor der Versammlung des Oberkommandos informiert - aber schriftliche Pläne schickten wir ihm nicht.“ Das war im September 2003, „in dem Monat wo das Oberkommando sich traf, denn das Oberkommando konnte nicht zustandekommen, ohne ihm vorher zu sagen, was wir debattieren werden.“

Kommunikation mit Deutschland über Brazzaville

Die Kommunikation zwischen den FDLR-Kämpfern im ostkongolesischen Wald der Kivu-Provinzen und der politischen Führung in Deutschland lief damals über Brazzaville, verrät Rwarakabije. Zwischen Kivu und Brazzaville gab es Funkverkehr; in Brazzaville saßen „Soldaten und Politiker der FDLR“ als „militärischen Antenne“, die den Funkverkehr dann in E-Mail-Form nach Deutschland weiterleiteten - und umgekehrt. Mindestens einer dieser hochrangigen FDLR-Mitarbeiter in Brazzaville sei noch heute dort.

Ein weiteres Thema, das breiten Raum einnimmt, ist die Befragung ehemaliger FDLR-Soldaten, nachdem sie aus dem Kongo nach Ruanda kommen und dort zunächst im Demobilisierungslager Mutobo untergebracht und auf die Rückkehr ins zivile Leben vorbereitet werden. Bevor er Chef der Gefängnisbehörde wurde, arbeitete Rwarakabije in Ruandas Demobilisierungskommission und führte zahlreiche Befragungen in Mutobo durch.

Die Verteidigung ist davon überzeugt, dass die Rückkehrer auch nach militärischen Interna befragt wurde, um beispielsweise Angriffe der ruandischen Armee auf die FDLR 2009 besser vorbereiten zu können. Es entspannen sich lange Dialoge, in denen die Verteidigung mit unterschiedlich gestellten Fragen danach, worüber Rwarakabije mit den Rückkehrern sprach, auf Granit beißt, weil der Zeuge „präzise Fragen“ verlangt.

„Wenn Sie mich nicht genauer fragen, wird es schwierig“, antwortet er. Und er lässt, nicht zum ersten Mal und nicht als einziger Zeuge, durchblicken dass Ruanda eigentlich schon alle FDLR-Interna kennt und einzelne Kämpfer gar nicht danach auszufragen braucht.

"Widerstandsrecht" als Legitimation der FDLR?

Man könnte Rwarakabije noch viel mehr fragen - über die Zeit des Völkermordes in Ruanda, der Flucht der Täter in den Kongo und ihre Reorganisation, zu Ruandas Angriffen auf die Flüchtlingslager im Kongo 1996 und den Gang der Hutu-Kämpfer in den Untergrund. Es wird auch immer wieder zur Sprache gebracht. Aber dieser Prozess ist kein historisches Seminar, obwohl das mit diesem Zeugen ausgesprochen interessant wäre. So bleibt diese Dimension der Befragung marginal oder wird gar von der Bundesanwaltschaft oder vom Senat abgeblockt, obwohl sie aus Sicht der Verteidigung wichtig ist.

Kann der Umstand, dass ruandische Hutu-Kämpfer im Kongo sich 1996 gegen Angriffe von Ruandas Armee wehrten, als Begründung dafür dienen, dass 2008-09 die FDLR kongolesische Zivilisten angriff? Die Verteidigung sagt: Ja - im Hinblick auf die Kennzeichnung der FDLR in der Anklage als terroristische Vereinigung und auf das „Widerstandsrecht“. Die Anklage sagt: Nein; es sei „irrelevant, ob 1996 die Vorgänger die FOCA aus nachvollziehbaren Gründen bildeten“.

Der Senat stimmt der Anklage prinzipiell zu - und unterbindet die Fragen der Verteidigung trotzdem nicht. Richter und Zeuge sind sich an diesen drei Tagen sehr ähnlich: Sie lassen sich nicht in die Karten gucken, und sie lassen ihre Souveränität im Verborgenen wirken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.