Meisterschaft im Herren-Handball: Die Tränen des Gudmi

Die Handballer der Rhein-Neckar Löwen aus Mannheim stehen kurz vor ihrer ersten Meisterschaft. Wie aus einem „Plastikteam“ etwas Gutes geworden ist.

Wühler am Kreis: Bjarte Myrhol. Bild: dpa

MANNHEIM taz | Thorsten Storm hat nicht lange rechnen müssen. Stattdessen hat er das flink ermittelte Ergebnis ebenso flugs in ein Sätzlein gegossen, das nahezu sportphilosophische Größe in sich trägt. „Sieben Tore Vorsprung sind besser als sieben Tore Rückstand“, sagt der Manager der Rhein-Neckar Löwen. Man kann ihm da kaum widersprechen.

Sieben Tore also! Nach 33 Spielen ist es genau diese Trefferzahl, die die Bundesliga-Handballer aus Mannheim von jenen des THW Kiel trennt, beide haben sie 57:9 Punkte gesammelt. Am Samstag (16 Uhr) muss der letzte Spieltag die Entscheidung bringen, es wird das wohl knappste Ding, das in der Handball-Bundesliga jemals gedreht wurde.

Die Kieler spielen gegen die Füchse Berlin, den Pokalsieger. Die Löwen müssen beim VfL Gummersbach ran. Bei dieser Konstellation scheinen die Vorteile aufseiten der Mannheimer zu liegen. Zumindest wenn man im Fernduell die Papierform zu Grunde legt – und wenn alles normal läuft.

Dass das im Endspurt um die Meisterschaft nicht unbedingt der Fall sein muss, haben die vergangenen Wochen gezeigt: Erst haben die Kieler den TBV Lemgo in dessen eigener Halle mit 46:24 über den Haufen gerannt, was nicht nur die FAZ als „fast schon anrüchig“ empfand – und das auch noch überschriftendick. Nur ein paar Tage später haben die Löwen mit einem 42:19-Sieg beim verletzungsgeplagten ThSV Eisenach gekontert. Dem höchsten Auswärtssieg in der Geschichte der Handball-Bundesliga ließen sie im letzten Heimspiel ein sattes 41:28 gegen den MT Melsungen folgen. Mehr Ausrufezeichen geht nicht!

Sieben Treffer Vorsprung

Die Meisterschaft, das steht eindeutig fest, machen die beiden mit Abstand besten Teams dieser Saison unter sich aus. Dass der THW, der Rekordmeister, einmal mehr um den Titel mitspielt, war – trotz des Umbruchs, den die Norddeutschen vor der Saison vollzogen haben – nicht anders zu erwarten. Es wäre ihre 19. Meisterschaft. Dass ausgerechnet das Löwen-Rudel aus dem Südwesten ihnen bis zum Schluss Paroli bieten kann, war indes keine abgemachte Sache.

Für die Mannheimer wäre es der erste nationale Titel in der Vereinshistorie; im Vorjahr feierten sie im EHF-Pokal ihren ersten großen Triumph überhaupt. Selbst in dieser für sie bislang grandiosen Spielzeit wäre mehr drin gewesen. Im DHB-Pokal verloren sie das Halbfinale gegen die SG Flensburg-Handewitt deutlich, was als so ziemlich einzige Enttäuschung in die Saisonannalen Einzug finden wird. Im Viertelfinale der Champions League schieden sie gegen den FC Barcelona nach zwei Unentschieden und großem Kampf nur wegen der weniger erzielten Auswärtstore aus.

Dass damals ausgerechnet sieben (!) Treffer Vorsprung aus dem Hinspiel nicht reichten, soll nun kein böses Omen sein. „Das war schon eine gute Saison. Jetzt geht es darum, ob wir für die gute Saison auch belohnt werden“, fasst Manager Storm das bisher Geschehene zusammen.

„Es war keine sympathische Mannschaft“

Es war ein weiter Weg bis zu dieser Erkenntnis – und ein bisweilen schmerzhafter, geprägt von so mancher Irrung und Wirrung – und, vor allem, einem ziemlich radikalen „Paradigmenwechsel“, wie Storm dem Handball-Magazin einmal anvertraut hat. Schließlich haftete den Rhein-Neckar Löwen lange Zeit nicht zu Unrecht der Ruf an, ein ebenso teures wie lebloses Plastikprodukt zu sein. Großmäulig. Großspurig. Großkotzig. Eine Art TSG Hoffenheim des Handballs.

„Es war keine sympathische Mannschaft“, hat selbst Löwen-Trainer Gudmundur Gudmundsson, der die Freundlichkeit und Zurückhaltung in Person ist, einmal festgestellt. Erst mit dem Ausstieg von Jesper Nielsen, dem damals noch stinkreichen und ebenso großspurigen Schmuckhändler (Pandora), Hauptgeldgeber und Aufsichtsratschef, vor zwei Jahren gelang jene Trendwende samt Imagekorrektur, die Storm als Paradigmenwechsel versteht. Dass Nielsen mittlerweile pleite ist, hat den Löwen, wie man heute weiß, Schlimmeres erspart. „Damals standen wir vor dem Aus“, hat Storm über den Sommer vor zwei Jahren einmal zugegeben.

So aber wurde die frühzeitige Trennung zum Glücksfall für die Badener. Die Löwen haben seitdem zwar deutlich weniger Geld zur Verfügung – angeblich mussten sie ihren Etat um 2 Millionen Euro eindampfen –, können dieses aber mit Sinn und Sachverstand ausgeben, ohne dass ihnen einer ins Handwerk pfuscht.

„Diese Mannschaft gibt nie auf“

Geformt wurde eine Mannschaft, die selbst an schlechteren Tagen immer kämpft und alles gibt, an ihren guten Tagen aber mitreisenden Tempohandball zelebriert, der höchsten und modernsten Ansprüchen genügen kann. Herzstück ihres Spiels ist Andy Schmid, der Spielmacher aus der Schweiz, der Szenekennern mittlerweile als stärkster Regisseur dieser Bundesligasaison gilt. Schmid ist keiner der üblichen Haudraufs aus dem Rückraum, sondern eher ein Feingeist mit gutem Auge und sicherem Händchen. Mit seinen Nebenmännern im Angriff, Alexander Petersson, für den einst der Begriff „unermüdlich“ erfunden worden sein muss, und Kim Ekdahl Du Rietz, der so wild spielt, wie er aussieht, versteht er sich ebenso blind wie mit Kreiswühler Bjarte Myrhol.

Rechts und links wirbeln die beiden Nationalmannschaftsaußen Patrick Groetzki und Uwe Gensheimer, zwei waschechte Badener und die wohl beste Flügelzange der Liga. Im Tor wiederum steht kein Torhüter, sondern eine Sensation: Der Däne Niklas Landin, erst 25 Jahre alt, ist zumindest an guten Tagen nichts anderes als ein Hexer – und der derzeit wohl begehrteste Handballkeeper der Welt. „Diese Mannschaft hat viel Herz und Leidenschaft. Diese Mannschaft gibt nie auf“, sagt Gudmundur Gudmundsson, der Trainer, und dabei leuchten seine Augen voller Stolz.

Der kleine Mann aus Island ist kein Trainer der großen Worte oder markigen Sprüche. Die ihm eigene Bescheidenheit hat der stille Tüftler aus Reykjavík längst auf seine Mannschaft übertragen. Zum Ausbruch kommt „Gudmi“, auch das hat er mit seinen Spielern gemein, nur während der Spiele. Dann kann er schon mal brodeln und fauchen wie ein Geysir aus seiner Heimat Island.

Vier Jahre lang hat er das nun für die Löwen getan, am Samstag ist Schluss. Gudmundsson verlässt die Mannheimer. Er wird Nationaltrainer Dänemarks. Beim letzten Heimspiel in der heimischen Arena am Mittwoch vor einer Woche haben sie ihn schon mal vorab verabschiedet. Es war anrührend, sehr emotional. Die Fans lieben ihren Gudmi, so wie sie mittlerweile ihre Mannschaft lieben. „Das war sehr bewegend. Ich habe wirklich mit den Tränen gekämpft“, hat Gudmundsson später verraten. Aber auch gesagt: „Für Tränen war noch keine Zeit, noch ist es ja nicht vorbei.“

Vorbei ist es am Samstag, irgendwann gegen halb sechs. Gut möglich, dass Gudmundur Gudmundsson dann die eine oder andere Träne verdrücken wird. Gut möglich, dass es Tränen der Freude sind.

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