Auf 13 Joints mit Helmut Höge: Von Spionen und Stimmenhörern

Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen uns mit ihm auf 13 Joints, oder so. Thema diesmal: NSA und Facebook.

Agentaustausch auf der Glienicker Brücke, Berlin. Bild: dpa

Der Regenfall der letzten Tage hat die Luft abgekühlt, draußen ist es angenehm warm, aber nicht mehr drückend heiß. Ich sitze auf den verschlissenen Polstern des Sofas auf halber Treppe zwischen fünftem und sechstem Stockwerk, auf dem Rauchersofa der taz und warte auf Helmut Höge. Über Edward Snowden und Mark Zuckerberg, NSA und Facebook, Daten und Abhörskandale wollen wir heute reden. Da steckt Höge den Kopf durch die offene Tür von draußen herein. „Ich dachte, wir wollten uns auf der Dachterrasse treffen?"

Wir entscheiden uns, drinnen zu bleiben, trotz des schönen Wetters. Draußen kann man eh nicht so gut kiffen, belehrt mich Höge, da fliegen ihm immer die Blättchen weg. Höge ist Autor, Aushilfshausmeister, Urgestein der taz. Er kifft seit 1968. Damals hat ihm immer ein Assistent des republikanischen Clubs das Gras in die WG gebracht. Was der republikanische Club wohl war, frage ich mich und schäme mich ein bisschen, dass ich so wenig über die 68er weiß. Als ich mich wieder Höge zuwende, ist der schon tief in den Details der verschiedenen ideologischen Splittergruppen der APO versunken.

Ich überlege, wie ich jetzt den Dreh zu Abhörskandalen und NSA hinbekomme. Dieser Mann weiß so viel, da kommt man leicht vom Thema ab. Der republikanische Club war ein linker Treffpunkt der APO, lerne ich dann, in der Nähe des Kudamms. Hans-Magnus Enzensberger hat ihn mitgegründet. Wahnsinn. Ich stelle mir vor, wie Enzensberger Höge Gras nach Hause bringt. Höge dreht in der Zwischenzeit den ersten Joint auf einem dicken Buch. Seine Technik ist perfekt.

Wie war das damals?

Während der 66-jährige weiter dreht, referiert er die Unterschiede zwischen Maoisten, radikalen Anarchos und orthodoxen Moskowitern. Endlich finde ich die Brücke zur NSA. Heute werden wir alle abgehört, aber wie war das damals? Musste man als Linker in der 68er-Bewegung nicht ständig fürchten, bespitzelt zu werden? „Jaaa", sagt Höge ausgedehnt und sucht nach Beispielen. Es gab immer wieder westdeutsche Spitzel, die an linken Sit-Ins teilgenommen haben. Und natürlich hat auch die Stasi ihre Leute in West-Berlin gehabt. Zwei IM, informelle Mitarbeiter, gab es auch bei der taz. Das ist später aufgeflogen, aber das hat eigentlich keiner so richtig schlimm gefunden.

Höge nimmt einen langen Zug und bläst dicke Rauchschwaden in die Luft. Störender war es da schon, sagt er, wenn der westdeutsche Verfassungsschutz vorbeikam, weil die RAF mal wieder ein Bekennerschreiben an die taz geschickt hatte. Einmal hat die Polizei das ganze Gebäude geräumt. Die Redakteure wurden auf die Straße eskortiert, in der Zwischenzeit hat der Staatsschutz das Haus durchsucht.

Ich schaue durch die offene Tür auf den grünen Dachgarten. In der Abendsonne blinkt die Leuchtreklame auf dem goldenen Springer-Gebäude, das ein paar Hundert Meter weiter die Straße runter in den Himmel ragt. „Mehr WOW pro Sekunde", lese ich da. Häh?

Höge hat ein paar Züge von seinem Joint genommen und kommt allmählich in Fahrt. Neulich hat es in Berlin eine Secrecy-Stadttour gegeben, zu allen wichtigen Orten der Überwachungsgeschichte. Berlin ist heute ein wichtiges Zentrum für Hacker und Whisteblower. Laura Poitras, die Dokumentarfilmerin, der Snowden seine Dokumente überreicht hat, ist vor den amerikanischen Schikanen hierher geflohen und auch Wiki-Leaks-Mitarbeiter Jacob Appelbaum und Sarah Harrison haben im Berliner Exil gelebt.

Ein Mekka für Spione?

Früher war das andersherum, sagt Höge, da wimmelte es hier eher von Geheimdienstlern. Die Alliierten hatten hier ihre Leute, aber natürlich auch die Stasi, der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz. Das piefige West-Berlin, ein Mekka für Spione? Ich erinnere mich, wie mein Vater vor Jahren einmal ein sehr ernstes Gesicht aufsetzte. Da war gerade aufgeflogen, dass ein enger Freund der Familie für die Stasi gearbeitet hatte. Weit gebracht hat der Freund es damals nicht, statt selbst zu spionieren, musste er ostdeutsche Spionen eine glaubwürdige westdeutsche Identität besorgen. Kuckucksuhren aus Bayern an die Wand hängen, den Leuten ihren sächsischen Dialekt abtrainieren, so stelle ich mir das vor. Nicht besonders aufregend.

Bei Höge klingt das anders, größer irgendwie. Er erzählt jetzt von Hans Helmcke, einem westdeutschen Bordellbesitzer, der in den 60er Jahren in der Nähe des Kudamms die „Pension Clausewitz" betrieb. Im teuersten Bordell Westberlins hat die Stasi Prostituierte bezahlt, damit sie westdeutsche Politiker aushorchen. Das klingt nach James Bond. Vielleicht sollte ich das mit dem Journalismus lassen und stattdessen Spionin werden. Das ist ja durchaus was für Frauen. Mata Hari, Elisabeth Schragmüller - nur mussten die sich entweder ausziehen, oder als Männer ausgeben. Nicht so attraktiv, aber da hat sich in der Zwischenzeit bestimmt einiges getan. Ob es beim BND eine Frauenquote gibt? Selbst wenn nicht, journalistische Vorkenntnisse sind da bestimmt gern gesehen. Leute ausfragen, Berichte schreiben - „transferable skills" nennt man das heute.

Helmut Höge hat den zweiten Joint zur Hälfte aufgeraucht und reicht ihn weiter. Ist es noch der Zweite oder schon der Dritte? Mein Kopf schwirrt; es ist, als wäre da eine Mauer, an der ich nicht vorbeidenken kann. Apropos Mauer: Höge erzählt jetzt von Fluchthelfern, die DDR-Flüchtlingen geholfen haben, in den Westen zu kommen. Anfangs waren das linke Gruppen, die die Fliehenden dann mit der Mao-Bibel in der Hand empfangen haben. „Seht her, es gibt auch einen anderen Kommunismus", wollten die damit sagen. Die Armen, denke ich, gerade aus der DDR entkommen, werden sie gleich wieder mit kommunistische Parolen zugedröhnt.

Die DDR konnte entscheiden?

Hinter Höges Kopf, auf der anderen Straßenseite, blinkt noch immer die Springer-Reklame. Zwei riesige Augen starren mich an, dann verwandeln sie sich plötzlich in wirbelnde Fussbälle. WM-Reklame. Springer war ja der einzige, der direkt an der Mauer bauen durfte, sagt Höge. Das hat die DDR ihm erlaubt. Wieso konnte die DDR entscheiden, wer auf Westberliner Seite bauen durfte, denke ich. Doch die Frage versickert in den Rauchschwaden, die an mir vorbeiwabern.

Interessant ist es aber, dass Springer seinen Goldkasten so nahe an die Mauer bauen durfte, ohne Ärger zu kriegen. Angeblich wollte er damit ein Zeichen setzen: So gut geht es uns in der freien Welt. Ein Hochaus direkt neben dem Springer-Komplex hatte damals angeblich eine Leuchtband auf dem Dach, auf dem West-Schlagzeilen in den Osten gesandt wurden. Die Armen, denke ich wieder, hoffentlich waren das nicht nur BILD-Schlagzeilen. Da kriegen sie schon mal Westmedien umsonst und dann ist es nur so absurdes Zeug: „Mehr wow pro Sekunde" und wirbelnde Fussbälle.

Der Springer-Turm hat plötzlich etwas Bedrohliches. Ein bisschen wie ein Panoptikum. Jeremy Bentham hat das perfekte Gefängnis entworfen; von einem einzigen Turm aus konnte ein einzelner Gefängniswärter alle Gefangenen sehen. Sie ihn aber nicht. Weil die Insassen nie wissen, ob sie beobachtet werden, verstößt keiner gegen die Regeln. So ähnlich, schrieb Foucault, funktioniert die moderne Disziplinargesellschaft. „Halte ich mich seit den NSA-Enthüllungen mehr an die Regeln?", frage ich mich. Mein Blick fällt auf Höges Joint. Scheint bei mir nicht zu klappen, aber man kann verstehen, dass andere paranoid werden.

Höge kann das auch verstehen; er kennt mehrere „Stimmenhörer", wie er diese Leute nicht ohne Sympathie nennt. Das sind Menschen, die glauben, dass die Regierung ihnen durch elektromagnetische Strahlen Signale sendet. Dass sie in ihren Kopf will, um sie zu manipulieren oder umzubringen. Manche dieser Stimmenhörer prozessieren jetzt schon seit Jahren, damit endlich mal untersucht wird, ob über Fernsehen und Radio geheime Signale versendet werden. Es ist doch interessant, sagt Höge, dass die sich einerseits vom Staat verfolgt fühlen und sich andererseits hilfesuchend an ihn wenden.

Das Dilemma

Das fasst das Dilemma der Whistleblower eigentlich gut zusammen. Einerseits ist die NSA eine staatliche Behörde, andererseits können wir nur hoffen, dass sich die Regierenden durch genügend öffentlichen Druck in ihren Abhörpraktiken irgendwann selbst beschränken.

Ich blicke wieder auf die wirbelnden Fussball-Augen, die vom Bild-Turm herüberblicken. Vielleicht sitzt da auch jemand drin, der uns ausspioniert. Die BILD als allwissender Gefängniswärter Deutschlands. Einen hohen Turm haben sie ja schon und wissen tun sie auch oft mehr als sie sollten. Demonstrativ starre ich zurück. In den leeren Raum zwischen mir hier, rauchend im obersten Stockwerk der taz, und den imaginären Wächter im BILD-Panoptikum.

Kennen Sie das auch – das Gefühl, überwacht zu werden? Ist das Panoptikum durch die NSA zur Realität geworden? Kann die Politik das regeln? Oder müssen wir uns selbst vor Überwachung schützen? Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Mark und Ed verändern die Welt" lesen Sie in der taz. am wochenende vom 15./16. Juni 2014. Darin erklärt taz-Redakteur Johannes Gernert, warum Whistleblower Edward Snowden, der die Überwachungsmethoden der NSA aufdeckte, und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der für totale Transparenz eintritt, eigentlich trotzdem ganz ähnlich ticken.

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