Vom Pin-up zur gereiften Show-Persönlichkeit

Medienstar Wollita trat im Kunstraum erstmalig live als Sängerin auf und umgarnte ihr Publikum mit Liedern von Liebe, Wolle und Schmerz

Im April 2004 verkündete Wollita noch: „Ich nehme jetzt Gesangsstunden und möchte eine CD mit selbst komponierten, anspruchsvollen Chansons aufnehmen.“ Anderthalb Jahre später hat sie dieses Ziel erreicht: Sie steht mit einem eigenen Programm auf der Bühne. Und das traditionsbewusst im Kreuzberger Bethanien, da, wo ihre steile Karriere begann.

Die Stimmung im mehr als gut gefüllten Saal ist fast zum Zerreißen gespannt, als Wollitas Begleitband Stereo Total auf die Bühne steigt, um mit dem ostinaten „Wollmensch-Maschine“ ihren Auftritt ganz kraftwerkerisch und nach allen Regeln des Suspense vorzubereiten. Dann teilt sich der Vorhang – und sie erscheint: Wollita wie eh und je – mit rötlich-braunem Haarschopf, blau-rot geringelten Overknees und dem Herzchen auf dem Schlüpfer. Schnell legt sie auf der Bühne Reste von Befangenheit ab und greift mit gekonnt abgespreiztem kleinem Finger nach dem Mikrofon. Die Musik legt los, Wollita lüftet mit kecker Handbewegung noch einmal schnell das Haupthaar. Dann legt sie die Hände auf die Hüften und beginnt, im Rhythmus zu grooven – mal nur um die Beckengegend herum, mal fast ekstatisch zuckend mit ihrem ganzen herrlichen Softbody.

Und schließlich singt sie. Ihre Stimme hat ein kristallines Timbre, an zu treffenden Tönen schlenzt sie mit jazziger Nachlässigkeit vorbei, ihr französischer Akzent ist lieblich. Sie schafft es spielerisch, eine trotzig-naive Note in ihre Melodieführung zu legen – als wäre sie zugleich Epigonin von Jane Birkin und Schnappi. Für ihre Texte schöpft sie aus ihrem bewegten Leben, was nicht ohne Verweise auf ihre beispiellose Karriere abgeht: „Ich bin, wie ich bin, und ich bleibe dabei, vom Wollknäuel zum Leben, bin glücklich und frei. Mein Wille zur Wolle. In der Hüfte ein Colt. Erst greif ich zum Mikro und später zum Gold. Wollita außer Kontrolle.“

Das letzte Mal – wenn man von Kurzauftritten in der Ausstellung „Kunst oder Königin“ und auf der Frankfurter Buchmesse absieht – sah man Wollita im Februar in der Öffentlichkeit: Damals führte sie den Demonstrationszug zum Springerhaus an, wo der Kulturpreis des Boulevardblättchens B.Z. verliehen wurde. Den hatte Wollita für sich gefordert, war sie doch ein Jahr zuvor sehr prominent Opfer und Emblem einer bösen Schmutzkampagne von B.Z. und Bild gegen die Kunstausstellung „When Love Turns To Poison“ im Kunstraum Kreuzberg gewesen. Wiederholt wurde sie damals als „große, nackte Strickpuppe“ apostrophiert – mit dem Ziel, die Ausstellung wegen unterstellter Anstiftung zur Pädophilie und Kinderpornografie schließen zu lassen und die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer aus dem Amt zu putschen. Dass die Künstlerin Françoise Cactus Wollita ausgerechnet als Kommentar auf eine gewerbliche B.Z.-Sexanzeige – „Scharfe Wollmaus, 18 Jahre jung, will dich verwöhnen. Immer bereit.“ – häkelte, als ironischen Kommentar auf die Frau als Sexobjekt, war den bigotten Skandalisierern als Konstruktion zu komplex.

Alles in allem hatte die Medienhetze zur Folge, dass die Künstler der Ausstellung einer Rufmordkampagne ausgesetzt wurden, dass ein christlicher Fundamentalist die Ausstellung verwüstete, dass ein CDU-Lokalpolitiker durch die symbolische Schließung der Ausstellung sein nicht vorhandenes Profil schärfen wollte, dass linke Autonome mit Zerstörung der Ausstellung drohten, es daraufhin Polizeischutz für die Ausstellung gab und schlussendlich die Kameradschaft Spreewacht genehmigt vorm Bethanien herumdemonstrierte – der erste Nazi-Aufmarsch in Kreuzberg seit Kriegsende.

Was aber außerdem passiert war – und das hatte die Boulevardpresse wahrscheinlich so gar nicht im Sinn gehabt: Wollita wurde knapp 30 Aufmacher-Fotos zum Medienstar, zum stadtweit bekanntesten Pin-up-Girl. Und trotzdem bekam sie den B.Z.-Kulturpreis 2005 nicht. Sie war sehr enttäuscht, erkrankte tags darauf an einer schweren Grippe und konnte nur mit einer maßstabsgetreuen Häkel-Kopie des Preises vor dem Zusammenbruch bewahrt werden.

Jetzt scheint sie sich berappelt zu haben. Mit Vehemenz schaltet sie sich wieder ein ins öffentliche Geschehen: Gerade erschien ihre Biografie samt ihrer ersten Solo-CD, sekundiert von einem umfassenden Sammel- und Analyseband zum gemachten Skandal um „When Love Turns To Poison“. Auf der Bühne zeigte Wollita sich als selbstständige, gereifte Show-Persönlichkeit, die den Umstand, dass „alle immer wollen, dass ich nach Hause gehe“, wie sie es am Freitagabend maulig formulierte, mit einer sehr selbstständigen Gainsbourg-Coverversion kommentierte: „Wollita go home“.

Mit den Titeln „Humans get all the credit“ von den Puppetmastaz und „Je m’apelle Wollita“, einer leicht abgewandelten Version von Alizees „Moi Lolita“, steigerte sie sich sowohl dynamisch als auch expressiv hin zu kesser, fast divenhaft angegrätzter Rotzigkeit. Brezel Göring begleitete sie in angemessener Zurückhaltung an den Tasteninstrumenten, und erst zur Zugabe bat sie ganz lässig „meine Freunde“ Wolfgang Müller und Françoise Cactus zu sich auf die Bühne. Im Anschluss an ihren umjubelten Auftritt erfüllte sie entspannt im Sessel zurückgelehnt und in einer grauen Pelzjacke die Signierwünsche ihrer Fans. KIRSTEN RIESSELMANN

Françoise Cactus und Wolfgang Müller: „Wollita. Vom Wollknäuel zum Superstar!“ Die Biografie mit CD. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2005, 76 Seiten, 14,50 € Stéphane Bauer, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien (Hg.): „Bild Macht Rezeption – Kunst im Regelwerk der Medien“. ID Verlag, Berlin 2005, 160 Seiten, 14,80 €